USA lassen Kurden fallen: Türkei kann Syrien-Offensive starten

September 2019: US-Truppen, die an einem türkischen Militärfahrzeug vorbeigehen
Wegen der geplanten Offensive der Türkei in Nordsyrien wird die US-Armee künftig nicht mehr in der "unmittelbaren Gegend" präsent sein.

Im Konflikt um Nordsyrien - derzeit von kurdischen Milizen besetzt - beziehen die USA nun Stellung: Sie überlassen das Feld der Türkei.

Die US-Truppen in Nordsyrien ziehen sich wegen einer bevorstehenden Offensive der türkischen Armee von der türkischen Grenze zurück. Wie die US-Regierung am Sonntag nach einem Telefonat von Präsident Donald Trump mit dem türkischen Staatschef Recep Tayyip Erdogan mitteilte, würde die US-Armee künftig nicht mehr in der "unmittelbaren Gegend" präsent sein. Demnach sollen die 100 bis 150 Soldaten abgezogen werden und somit den Weg für eine türkische Militäroffensive freimachen.

Der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu betonte entschlossen zu sein, die Region von "Terroristen zu säubern". Seit Beginn des Syrien-Krieges habe die Türkei die "territoriale Integrität" Syriens unterstützt, betonte Cavusoglu. Dies werde seine Regierung weiterhin tun.

Warnende Worte von der EU

Die EU warnte die Türkei eindringlich von einer Militäroffensive. Bewaffnete Auseinandersetzungen im Nordosten des Landes würden "nicht nur das Leiden von Zivilisten verstärken und zu massiven Vertreibungen führen", sondern bedrohten auch laufende politische Bemühungen für eine Beilegung des Syrien-Konflikts, sagte eine Sprecherin der EU-Außenbeauftragten Federica Mogherini am Montag in Brüssel.

Die deutsche Bundesregierung warnte die Türkei ebenfalls vor einer Militäroffensive im Norden Syriens. "Die Bundesregierung nimmt die wiederholten Ankündigungen türkischer Politiker eine einseitige Militäroperation in Nordsyrien zu starten, sehr ernst", sagte die stellvertretende Regierungssprecherin Ulrike Demmer am Montag in Berlin. "Ein solches militärisches Eingreifen würde zu einer weiteren Eskalation in Syrien führen", fügte sie hinzu. Sie zeigte jedoch gleichzeitig Verständnis für die Sicherheitsinteressen der Türkei im Grenzgebiet.

US-Armee wird vom Spielfeld genommen

Der Vorgang zeigt ein klares Umdenken der USA in ihrer Syrien-Politik. Die Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF) in Nordsyrien galten lange Zeit als enger Verbündeter der USA. Von der Türkei wird die kurdische Miliz hingegen als terroristische Bedrohung eingeschätzt - und soll nun dementsprechend bekämpft werden. Immerhin: Die US-Armee wird die geplante türkische Offensive in der von einer Kurdenmiliz kontrollierten Region nicht unterstützen.

Mittlerweile haben auch die SDF den Abzug bestätigt. Auf Twitter schrieb SDF-Sprecher Mustafa Bali, US-Truppen hätten "begonnen, sich von der Grenze zurückzuziehen". Sie ließen damit zu, dass die Gegend zum Kriegsgebiet werde. Nach Angaben der "Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte" und SDF zog sich das US-Militär von Schlüsselpositionen in Ras al-Ain und Tel Abyad zurück.

SDF: "Dolchstoß in den Rücken"

Die SDF-Rebellen werten die Aktion der USA als "Dolchstoß". Es habe Zusicherungen der USA gegeben, dass sie keinen türkischen Angriff auf die Region zulassen würden, sagte ein Sprecher der von der Kurden-Miliz YPG angeführten Syrischen Demokratischen Streitkräfte (SDF) am Montag.

Die SDF selbst seien einem von den USA garantierten Sicherheitsmechanismus für die Grenzregion zwischen Syrien und der Türkei vollständig verpflichtet gewesen. Die Erklärung der USA aber sei eine Überraschung. "Wir können sagen, dass sie für die SDF ein Dolchstoß in den Rücken ist."

Ruben Gallego, demokratischer Abgeordneter in Arizona und Irak-Veteran, kritisierte Trump auf Twitter: "Die Kurden werden Amerika nie wieder vertrauen. Sie werden neue Allianzen suchen oder um ihre Unabhängigkeit kämpfen, um sich selbst zu schützen."

"Operation wird bald beginnen"

Trumps Entscheidung, US-Truppen aus Nordsyrien abzuziehen, widerspricht laut US-Medien dem, was ihm von Beratern empfohlen wurde: Nämlich wenigstens mit einem kleinen Kontingent an Truppen präsent zu bleiben, um weitere Operationen gegen den Islamischen Staat (IS) durchführen zu können und ein Gegengewicht zu den ebenfalls involvierten Mächten - Russland und Iran - darzustellen.

"Die Türkei wird bald mit ihrer lange geplanten Operation in Syrien beginnen", stellte das Weiße Haus in einem Statement jedenfalls fest. "Die US-Kräfte werden die Operation nicht unterstützen oder darin involviert sein."

"Sicherheitszone" in Nordsyrien vorerst gescheitert

Erdogan hatte in den vergangenen Tagen wiederholt mit einer baldigen Offensive gegen die kurdische YPG-Miliz im Norden Syriens östlich des Euphrat gedroht. Die Türkei betrachtet die kurdischen Volksverteidigungseinheiten (YPG) als Bedrohung, da sie eng mit den kurdischen PKK-Rebellen in der Türkei verbunden sind. Die USA unterstützen sie dagegen mit Waffen und Spezialkräften im Kampf gegen Jihadisten. Die Türkei ist seit 2016 bereits zwei Mal gegen die YPG-Miliz in Nordsyrien vorgegangen.

In seiner Mitteilung kritisierte das Weiße Haus zudem, dass "Frankreich, Deutschland und andere europäische Nationen" ihre in Nordsyrien inhaftierten Staatsangehörigen, die sich dem IS angeschlossen hatten, nicht zurückholten. Die Türkei werde nun für alle IS-Kämpfer in der Region verantwortlich sein, die in den vergangenen zwei Jahren festgenommen wurden, erklärte das Weiße Haus.

In dem Telefonat am Sonntag sprachen Erdogan und Trump über die Schaffung einer von der Türkei seit langem geforderten "Sicherheitszone" in Nordsyrien. Im August hatten die USA eine entsprechende Vereinbarung mit der Türkei getroffen. Erdogan zeigte sich in dem Gespräch mit Trump seinem Büro zufolge enttäuscht "über das Scheitern der US-Militär- und Sicherheitsbürokratie" bei der Umsetzung des Vorhabens. Er vereinbarte demnach mit dem US-Präsidenten ein Treffen in Washington nächsten Monat, bei dem über die "Sicherheitszone" diskutiert werde.

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