Moskau kontert mit Einfuhrverboten

Eine ältere Frau in Rot überquert eine Straße, bewacht von einem bewaffneten Soldaten.
Während Donezk im Belagerungszustand verharrt, reagiert der Kreml auf die Sanktionen.

Die Vergeltung lautet Einfuhrverbot: Als Reaktion auf die Sanktionen des Westens hat Russland für ein Jahr Verbote für Lebensmittel und andere Waren verhängt. So soll es ein Importverbot für US-Agrarprodukte geben, die EU darf nach Angaben der Nachrichtenagentur von RIA Nowosti weder Obst noch Gemüse nach Russland einführen. Eine konkrete Liste soll noch ausgearbeitet werden. Von den Sanktionen wären möglicherweise auch österreichische Agrarprodukte betroffen. Vor allem der Export von Schweinefleisch könnte leiden. In Deutschland sind viele Firmen ohnehin verunsichert über die Zukunft ihres Russland-Geschäfts. Im Gegenzug will Russland mehr Waren aus Südamerika importieren. Gespräche seien für diesen Donnerstag mit den Botschaftern Ecuadors, Brasiliens, Chiles und Argentiniens geplant, meldete die Agentur Interfax.

Russland hatte zuletzt bereits mehrere Importverbote für westliche Produkte erlassen, diese aber mit Hygienefragen und Verbraucherschutz begründet. Nun wies Putin die Regierung zu einer strengen Preiskontrolle an, damit die Maßnahmen nicht zulasten der Verbraucher gingen. Westliche Lebensmittel sind in Russland bisher überall erhältlich. Allerdings greifen viele Russen eher auf heimische Produkte zurück, weil westliche Ware in der Regel deutlich teurer ist.

Sorge um Truppenkonzentration

Eine Karte der Ostukraine, die die Lage der Kämpfe und die Absturzstelle MH17 zeigt.
Karte Ostukraine, von Rebellen derzeit und vor dem 18. Juni kontrollierte Gebiete, Kämpfe, Factbox humanitäre Situation Grafik 0938-14-Ukraine.ai, Format 88 x 112 mm

Auch an militärischer Front schwelt der Streit weiter: Nach den USA und Polen zeigte sich am Mittwoch auch die NATO besorgt über die zunehmende russische Truppenkonzentration im ukrainischen Grenzgebiet und einen möglichen Einmarsch Moskaus im Osten der Ukraine. Das Land habe rund 20.000 Soldaten im Grenzgebiet stationiert, hieß es in einer Aussendung des Verteidigungsbündnisses am Mittwoch. Die Verstärkung der russischen Präsenz im Grenzgebiet trage weiter zur Eskalation der Situation bei und untergrabe die Bemühungen, einen diplomatischen Ausweg aus der Krise zu finden, erklärte NATO-Sprecherin Oana Lungescu. "Es handelt sich um eine gefährliche Situation."

Hier gibt sich der Kreml aber weiterhin bedeckt und weist die Vorwürfe mit Nachdruck zurück. Die jüngsten Behauptungen der USA und der NATO seien eine "Irreführung der Weltöffentlichkeit", teilte das Verteidigungsministerium mit."Wir haben Mitleid mit den Pressesprechern, die immer wieder zu solchen Vorwürfen gezwungen werden", sagte Generalmajor Igor Konaschenkow. Die Behauptungen würden "platzen wie Seifenblasen". "Die USA sprechen von 10.000 Soldaten, die NATO spricht gar von 20.000. Das wäre den OSZE-Beobachtern in der Region kaum entgangen", sagte Konaschenkow.

Luftangriff in Donezk?

Während die Diplomaten einander Nachrichten zuschicken, ist der Konflikt für die Menschen in der Ostukraine bitterer Ernst: Nach Angaben der Stadtverwaltung wurde die Separatistenhochburg Donezk in der Nacht auf Mittwoch erstmals aus der Luft angegriffen. Ein ukrainischer Armeesprecher dementierte dies jedoch. Sollte der Angriff stattgefunden haben, würde es sich um die erste Attacke aus der Luft handeln, seitdem die Armee im Mai den Flughafen am Rand der Stadt bombardiert hatte, um die prorussischen Separatisten von dort zu vertreiben. Bei dem Angriff selbst habe es keine Opfer gegeben, durch Artilleriebeschuss seien jedoch drei Zivilisten getötet worden, teilte die Stadtverwaltung mit. Ein Geschoss habe in einem Wohngebiet einen vier Meter breiten und eineinhalb Meter tiefen Krater in einer Straße hinterlassen. Zudem seien Artilleriegranaten in mehrere Wohnhäuser eingeschlagen. Dabei sei auch eine Gasleitung beschädigt worden.

"Die Erstürmung steht unmittelbar bevor, aber wir sind gut darauf vorbereitet", sagte der Separatistenführer Sergej Kawtaradse. Immer mehr Frauen und Kinder würden Donezk durch einen Fluchtkorridor verlassen. Ein Sprecher des ukrainischen Militärs erklärte, die Truppen bereiteten sich auf die "Befreiung" von Donezk sowie die Eroberung von Luhansk und Gorlowka vor, die ebenfalls von den Rebellen kontrolliert werden. Er widersprach jedoch Berichten, dass die Luftwaffe in der Nacht Angriffe auf die von Separatisten kontrollierte Stadt Donezk geflogen habe. Es sei nur ein Flugzeug der ukrainischen Luftwaffe in der Nähe der Millionenstadt im Einsatz gewesen, und das habe die Kommunikation mit den Bodentruppen aufrechterhalten. "Das ukrainische Militär bombardiert weder Donezk oder Luhansk noch andere dicht besiedelte Orte", sagte der Sprecher.

Auch in Gorlowka berichteten die Behörden von einer steigenden Zahl von Toten. In den vergangenen Tagen seien bei Artilleriebeschuss 33 Zivilisten getötet und 129 verletzt worden, hieß es. In mehreren Vierteln sei die Gas- und Wasserversorgung ausgefallen. In der Großstadt Luhansk müssen nach Behördenangaben ebenfalls viele Menschen weiter ohne Strom und Wasser auskommen. Schwierigkeiten gibt es demnach zudem mit der Lebensmittel- und Treibstoffversorgung sowie mit der Müllabfuhr. Zudem sei der ukrainische Grenzort Djakowo von russischem Gebiet aus beschossen worden.

Auch das Militär beklagte zahlreiche Opfer. Innerhalb von 24 Stunden seien bei erbitterten Gefechten 18 Soldaten getötet und 54 verletzt worden, sagte der Sprecher des Sicherheitsrates in Kiew, Andrej Lyssenko. An dem "Anti-Terror-Einsatz" beteiligte Regierungstruppen meldeten, mehrere ihrer Stellungen in den Regionen Donezk und Lugansk seien von den Separatisten angegriffen worden.

Bergungsmission eingestellt

Wegen der anhaltenden Kämpfe wird nun auch die Mission zur Bergung sterblicher Überreste und persönlicher Gegenstände an der Absturzstelle der MH17 zunächst eingestellt. Das teilte der niederländische Ministerpräsident Mark Rutte Mittwochabend in Den Haag mit.

Der Einsatz sei für die rund 100 Kräfte aus den Niederlanden, Australien und Malaysia zu gefährlich geworden, sagte Rutte. Sie solle fortgesetzt werden, wenn die Sicherheitslage dies ermögliche. Bisher wurden 228 Särge mit Opfern des mutmaßlichen Abschusses der malaysischen Passagiermaschine am 17. Juli in die Niederlande geflogen. Dort laufen die zentralen Ermittlungen zu der Katastrophe, weil die weitaus meisten der insgesamt 298 Toten Niederländer waren. Auch die OSZE hatte zuvor schon ihren Einsatz verringert.

Die ehemals von 460.000 Bürgern bewohnte Stadt ist in weiten Teilen menschenleer. Wasser- und Stromversorgung sind in Lugansk zusammengebrochen. Krankenhäuser können ihre Patienten nicht mehr ausreichend versorgen. Der Mobilfunk ist außer Betrieb. Bei tagelanger Hitze hat die Müllabfuhr den Dienst eingestellt. Was Christian Wehrschütz, ORF-Korrespondent in der Ukraine, dem KURIER erzählt, klingt dramatisch. "Wenn man nach der Definition einer Geisterstadt sucht, dann ist Lugansk aktuell das perfekte Beispiel". 200.000 Menschen hätten haben die Stadt mittlerweile verlassen, "geblieben sind ältere Menschen und vor allem Einwohner, die aufgrund ihrer hier aufgebauten Lebensgrundlage nicht weg können und wollen".

Ein Mann mit Brille gestikuliert und spricht.
Austrian State broadcaster ORF director nominee Christian Wehrschuetz talks to journalists as he arrives for his hearing at a supervisory board (Stiftungsrat) meeting before the election of a new director in ORF's headquarters in Vienna, August 9, 2011. REUTERS/Heinz-Peter Bader (AUSTRIA - Tags: POLITICS MEDIA)

Diese Zustände vor allem in den von Rebellen besetzten und umkämpften Städten zwingen Tausende und Abertausende Ukrainer zur Flucht. Rund 117.000 Binnenflüchtlinge haben ihr Zuhause verlassen und sich in andere Regionen der Ukraine begeben. Weitere 730.000 Menschen sind seit Jahresbeginn laut UNO-Angaben nach Russland geflohen. Dabei entsprechen diese Zahlen nur offiziellen Schätzungen. Die Dunkelziffern dürften weitaus höher sein.

Der Flüchtlingsstrom nach Russland hat seit Juni vor dem Hintergrund der Kampfhandlungen zwischen Anhängern der Unabhängigkeit des Donezkbeckens und dem ukrainischen Militär stark zugenommen, berichtet die russische Nachrichtenagentur RIA Novosti. Landesweit gibt es inzwischen viele Aufnahmestellen. "Solch einen massenhaften Zustrom von Flüchtlingen hat Russland noch nie erlebt", sagt die prominente Moskauer Flüchtlingshelferin Svetlana Gannuschkina gegenüber der Agentur. Sie spricht von einer kaum überschaubaren Lage. Menschen werden in zahlreichen russischen Regionen aufgenommen, darunter Rostov, Brjansk, Belgorod und Kursk.

Viele kommen bei Freunden, Verwandten oder freiwilligen Helfern unter, der Großteil behaust staatlich-organisierte Einrichtungen.

Eine strukturierte Hilfe von Seiten des Staates ist bei jenen Flüchtlingen, die in der Ukraine bleiben, sehr schwierig: "Zum einen, weil der Staat selbst sehr chaotisch, unorganisiert ist und wenig Geld hat, zum anderen, weil es keine stehende Registrierung aller Flüchtlinge gibt", so Wehrschütz. Einziger Lichtblick in der Flüchtlingskrise: die enorme Hilfsbereitschaft der ukrainischen Bevölkerung. "Sanatorien laden keine Gesundheits-Urlauber mehr ein, sondern nehmen Flüchtlinge auf".

In der EU haben sich einige wenige Länder offiziell bereit erklärt, ukrainische Flüchtlinge aufzunehmen – darunter Polen, Rumänien und Ungarn. Polen kündigte eine Aufnahme von 3500 Flüchtlingen an. Von einer großen Flüchtlingswelle in Richtung Westeuropa geht Wehrschütz jedoch nicht aus. "Die Menschen sind aufgrund ihrer Mentalität nicht gerne weit weg von ihrer Heimat".

(Von Alexandra Koller)

Ein Junge geht an einer Reihe blauer Zelte vorbei, im Vordergrund hängt Wäsche zum Trocknen.
Ein ukranischer Bub in einem Lager auf der Krim
Vor blauen Zelten stehen Menschen, darunter viele Kinder.
Kinder in einem Lager auf der Krim

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