Ukraine bittet Westen um Militärhilfe

Vermummte Personen mit Flaggen der Ukraine und des Asow-Regiments vor einem Gebäude.
"Krise könnte noch schlimmer werden", sagt Steinmeier beim Außenminister-Treffen in Berlin.

Der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier hat vor einer direkten Konfrontation der ukrainischen und russischen Streitkräfte im Osten der Ukraine gewarnt. "Gerade die Nachrichten vom heutigen Tage zeigen, dass es noch schlimmer werden könnte", sagte Steinmeier am Sonntagabend zum Auftakt eines Treffens mit seinen Kollegen aus Frankreich, der Ukraine und Russland in Berlin.

Es bestehe die Gefahr, "dass wir immer weiter hineinschlittern in eine Konfrontation unmittelbar zwischen russischen und ukrainischen Streitkräften", sagte der Außenminister. "Das muss auf alle Fälle vermieden werden."

Das Berliner Treffen der Außenminister soll dazu dienen, einen Ausweg aus dem seit vier Monaten andauernden Konflikt im Osten der Ukraine zu finden. Die Kämpfe zwischen ukrainischen Regierungstruppen und prorussischen Rebellen dauerten dort am Wochenende unvermindert an.

Kampf um Luhansk

Unmittelbar vor dem Krisentreffen in Berlin rückte die ukrainische Armee weiter auf die Großstadt Luhansk im Osten des Landes vor. Die Kämpfe zwischen Regierungstruppen und Rebellen in der Ostukraine dauerten unvermindert an. In der von den Regierungstruppen unter Beschuss genommenen Industriestadt Donezk wurden den örtlichen Behörden zufolge binnen 24 Stunden mindestens zehn Menschen getötet.

Im Verlauf der seit vier Monaten andauernden Kämpfe im Osten der Ukraine wurden bereits mehr als 2.100 Menschen getötet. Besonders die Industriestadt Luhansk war in den vergangenen Tagen Schauplatz heftiger Gefechte. Die Region befindet sich am Rande einer humanitären Katastrophe. Luhansk mit ursprünglich 420.000 Einwohnern ist seit zweit Wochen ohne Wasser und Strom.

Kampfjet abgeschossen

Die prorussischen Separatisten in der Ostukraine haben laut Armee ein ukrainisches Kampfflugzeug abgeschossen. Das Flugzeug vom Typ MiG-29 sei am Sonntag früh in der Region Luhansk abgeschossen worden, nachdem es erfolgreich gegen eine Gruppe von Rebellen vorgegangen sei, sagte der ukrainische Armeesprecher Leonid Matjuchin. Der Pilot habe sich mit dem Schleudersitz retten können.

Ein Anlass mehr für die ukrainische Regierung, die Hilfe des Westens zu erbitten: Außenminister Pawel Klimkin sagte im Deutschlandfunk, eine russische Invasion sei allgegenwärtig. Man brauche militärische und politische Unterstützung von EU und NATO.

Waffenlieferungen aus Russland

Die Ukraine, die EU und die USA werfen dem Kreml vor, anhaltend in den Konflikt zu intervenieren. Dass Russland Waffen liefert, haben die Separatisten selbst bestätigt: 30 Panzer sowie 1.200 auf russischem Gebiet ausgebildete Kämpfer seien zur Verstärkung gekommen, verkündete ihr Anführer Andrej Sachartschenko in einem Video. Am Sonntag dementierte das der Kreml erneut.

Hilfskonvoi genehmigt

Mehrere weiße Lastwagen stehen vor einer Lagerhalle mit roten Flaggen.
A Russian convoy of trucks carrying humanitarian aid for Ukraine is parked at a camp near Kamensk-Shakhtinsky, Rostov Region, August 16, 2014. If Russia and Ukraine slide into outright war, the United States and allies will face tough choices on how to support a friendly state they have no intention of making a full NATO member. REUTERS/Maxim Shemetov (RUSSIA - Tags: MILITARY POLITICS TRANSPORT CIVIL UNREST CONFLICT)
Immerhin gibt es im Streit um den russischen Hilfskonvoi eine Einigung: Kiew erkannte ihn offiziell als Hilfslieferung an. Sozialministerin Ljudmila Denissowa bestätigte dem Internationalen Roten Kreuz, dass die Lastwagen insgesamt fast 2.000 Tonnen Lebensmittel, Schlafsäcke und Generatoren transportieren, wie die prowestliche Regierung in Kiew mitteilte. Weiter unklar war, wann die etwa 280 Lastwagen den Grenzübergang Donezk/Iswarino durchfahren können. Das Rote Kreuz warte auf Sicherheitsgarantien für den Transport durch das umkämpfte ukrainische Territorium, hieß es.

Die weißlackierten Lastwagen waren am 12. August im Raum Moskau losgefahren und standen zum Großteil am Sonntag zunächst weiter etwa 30 Kilometer vor der Grenze bei Kamensk-Schachtinski. 16 der Fahrzeuge erreichten nach Medienberichten den Übergang Donezk/Iswarino und wurden dort geparkt. Moskau wirft Kiew aber vor, die Hilfe mit bürokratischen Hürden zu blockieren. Die Lieferung ist für die Stadt Luhansk bestimmt. Etwa 200.000 Einwohner sind in der Separatistenhochburg seit zwei Wochen ohne Versorgung.

Die Ukraine lehne den russischen Hilfskonvoi nicht ab, betonte Außenminister Klimkin. Moskau müsse aber die Kontrolle über die Kolonne an der Grenze komplett dem Roten Kreuz übergeben.

Importstopp

Russland kann nach Einschätzung des deutschen Landwirtschaftsminister Christian Schmidt seinen Importstopp für europäische Agrargüter nicht über längere Zeit durchhalten. "Der Selbstversorgungsgrad der russischen Landwirtschaft beträgt 60 Prozent. Die Lücken, etwa in der Milchwirtschaft, kann Russland nicht alleine schließen", sagte der CSU-Politiker der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung. Deshalb solle die Europäische Union mit Konsequenzen aus dem Importstopp vorsichtig sein. Schmidt erwartet für den europäischen Agrarmarkt "eher geringe Auswirkungen" des Importstopps. Diesen hatte Russland als Reaktion auf die EU-Sanktionen im Zuge der Ukraine-Krise verfügt.

Ukrainische Truppen haben nach Militärangaben eine russische Fahrzeugkolonne auf ukrainischem Boden angegriffen. Teile des Konvois mit gepanzerten Fahrzeugen seien zerstört worden, sagte ein Sprecher der ukrainischen Armee am Freitag. Zuvor waren in den britischen Medien The Guardian und The Telegraph Berichte aufgetaucht, wonach russische Militärfahrzeuge offenbar beim Eindringen auf ukrainisches Territorium beobachtet wurden. Ein Konvoi aus 23 gepanzerten Mannschaftstransportwagen sei gemeinsam mit Tanklastwagen und anderen Versorgungsfahrzeugen am späten Donnerstagabend über die Grenze zum Nachbarland gefahren. An allen Fahrzeugen seien Kennzeichen des russischen Militärs angebracht gewesen. Es sei zwar unwahrscheinlich, dass es sich um eine großangelegte russische Invasion handle. Es gebe damit aber einen klaren Beleg, dass russische Truppen in der Ukraine aktiv seien, berichtete die Zeitungen.

NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen hat die Medienberichte später bestätigt. "In der vergangenen Nacht haben wir einen russischen Einfall erlebt, eine Überschreitung der ukrainischen Grenze", sagte Rasmussen. "Dies bestätigt nur die Tatsache, dass wir einen dauernden Fluss von Waffen und Kämpfern aus Russland in die Ostukraine sehen". "Und es ist eine deutliche Demonstration der anhaltenden russischen Beteiligung an der Destabilisierung der Ostukraine."

Sebastian Kurz im Gespräch mit einer Frau.
APA19824736-2_15082014 - BRÜSSEL - EUROPÄISCHE UNION: (v.l.) Außenminister Sebastian Kurz (ÖVP) im Gespräch mit Italiens Außenministerin Federica Mogherini am Freitag, 15. August 2014, anl. eines Sondertreffens der EU-Außenminister zu den Krisen im Irak und in der Ukraine in Brüssel. +++ WIR WEISEN AUSDRÜCKLICH DARAUF HIN, DASS EINE VERWENDUNG DES BILDES AUS MEDIEN- UND/ODER URHEBERRECHTLICHEN GRÜNDEN AUSSCHLIESSLICH IM ZUSAMMENHANG MIT DEM ANGEFÜHRTEN ZWECK ERFOLGEN DARF - VOLLSTÄNDIGE COPYRIGHTNENNUNG VERPFLICHTEND +++ FOTO: APA/PHOTONEWS.AT/GEORGES SCHNEIDER/PHOTONEWS.AT/GEORGES SCHNEIDER
Auch nach Worten des schwedischen Außenministers Carl Bildt gibt es Beweise. "Es gibt konkrete fotografische Beweise von russischen Armeefahrzeugen, die in die Ukraine eingedrungen sind", sagte Bildt. "Es ist ein grober Verstoß". Die EU müsse zuerst ihre Einschätzung der Lage diskutieren, "dann müssen wir sehr klar sein in unserer politischen Botschaft", sagte Bildt. Auch Litauens Außenminister Linas Linkevicius zeigte sich "sehr besorgt". Österreichs Außenminister Sebastian Kurz sagte zu diesen Berichten, er "hoffe, dass sich diese Meldungen nicht bestätigen".

Russland bestritt auch am Abend noch angebliche Gefechte seiner Einheiten in der Ukraine. "Eine russische Militärkolonne, die die Grenze überquert haben soll, existiert nicht", sagte Generalmajor Igor Konaschenkow. "Weder am Tag, noch in der Nacht" sei ein solcher Konvoi auf ausländisches Gebiet gefahren. "Aber es ist immer noch besser, die ukrainische Artillerie schießt auf ein Phantom und nicht auf Flüchtlinge oder die eigenen Soldaten", sagte Konaschenkow. Der ukrainische Präsident Petro Poroschenko hatte behauptet, die Armee habe in der Nacht eingedrungene russische Militärfahrzeuge zerstört.

Die diplomatischen Bemühungen gehen indessen am Sonntag in Berlin weiter: Die Außenminister der Ukraine, Pawel Klimkin, sein russisches Pendant Sergej Lawrow und die Kollegen aus Frankreich, Laurent Fabius, und Deutschland, Frank-Walter Steinmeier, kommen zu Gesprächen zusammen.

Hilfe für Bevölkerung

Für die notleidenden Menschen in der umkämpften Region rückt unterdessen Hilfe näher. Erste ukrainische Regierungs-Lastwagen mit Medikamenten und Lebensmitteln trafen am Donnerstagabend an einem Sammelpunkt nördlich von Lugansk ein.

Ein bewaffneter Hubschrauber überfliegt eine Reihe weißer Militärlastwagen.
epa04353316 Russian military helicopter in the sky over Russian convoy carrying humanitarian aid for residents in rebel eastern Ukrainian regions standing in a field outside the town of Kamensk-Shakhtinsky in Rostov region, about 30 km from the Russian-Ukrainian border, Russia, 14 August 2014. The convoy moves through Russian territory in full coordination with and under the aegis of the Red Cross, according to Russian authorities. Russia named absurd suspicions that Moscow might use humanitarian convoy as a cloak of an armed invasion in Ukraine. EPA/YURI KOCHETKOV
Auch bei dem nun inzwischen dritten Konvoi - der seit drei Tagen anrollende russische Hilfskonvoi - dürfte es Fortschritte geben: Russland und die Ukraine hätten eine Einigung erzielt, hieß es am Freitag aus Kiew. Die etwa 280 russischen Lastwagen waren an der Grenze wegen Unstimmigkeiten über die Abfertigung zum Stehen gekommen. Ukrainische Grenzbeamte hatten nach Angaben des russischen Grenzschutzes damit begonnen, die Ladung zu überprüfen. Der Konvoi mit 2.000 Tonnen Hilfsgütern hat ebenfalls Lugansk als Ziel, das mit mehr als 200.000 Einwohnern seit fast zwei Wochen ohne Strom und Wasser auskommen muss.

Bomben auf Donezk

Die Kämpfe in der Ostukraine nahmen indes erneut an Härte zu. In Donezk sind nach Angaben der Stadtverwaltung seit Donnerstag elf Zivilisten getötet worden. Acht weitere Bewohner seien verletzt worden, hieß es in einer Erklärung des Rathauses. Besonders heftig sei in den Bezirken Petrowski und Leninski gekämpft worden. Beobachter sprachen von einem der verlustreichsten Tage seit Beginn der "Anti-Terror-Operation" der ukrainischen Regierung gegen die Separatisten Mitte April. Die Regierungstruppen bombardierten Donezk, sagte Separatistenanführer Andrej Purgin. Regierungstruppen und Aufständische tauschten je 26 Gefangene aus.

Kremlchef Putin forderte bei einem Treffen mit Ministern und Abgeordneten auf der von der Ukraine annektierten Schwarzmeerhalbinsel Krim ein Ende des Tötens in der Ostukraine. Die Lage in der Ukraine sei eine humanitäre Katastrophe. "Russland wird alles in seiner Macht stehende tun, um die Kämpfe so schnell wie möglich zu beenden", betonte er.

Der Separatistenführer Igor Strelkow zog sich indes aus der Führung der Aufständischen zurück. Der gebürtige Russe war "Verteidigungsminister" der selbst ernannten "Volksrepublik Donezk". Er gilt als Schlüsselfigur in den Kämpfen.

Eine Karte der Ostukraine, die die Rebellengebiete und die Absturzstelle MH17 zeigt.
Karte Ostukraine, von Rebellen derzeit und vor dem 18. Juni kontrollierte Gebiete Grafik 0959-14-Ukraine.ai, Format 88 x 102 mm

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