Asylproblematik spaltet Europa

Eine Gruppe von Menschen steht hinter einem Zaun.
In Süditalien traf erneut ein Tanker mit 250 Migranten ein. Die EU-Innenminister suchten Konsens.

Nach dem Schiffsunglück von Lampedusa mit über 270 Toten stritten die EU-Staaten über eine gerechtere Verteilung von Flüchtlingen: Eine „Taskforce“, die prüfen soll, wie die europäischen Mittelmeerländer im Kampf gegen Schlepper finanziell entlastet werden können, und mehr Geld für die EU-Grenzschutzagentur Frontex – darauf einigten sich die EU-Innenminister bei ihrem Gipfel in Luxemburg. In der Frage der Verteilung von Flüchtinglingen gab es keine Einigung.

Italien forderte mehr Hilfe bei der Aufnahme von Schiffsflüchtlingen. Doch Innenminister Alfano biss damit – vor allem bei Deutschland und Österreich – auf Granit. Es bleibt bei der Regelung, dass Flüchtlinge im ersten EU-Land, dessen Territorium sie betreten, zu versorgen sind. Außerdem nehme Italien vergleichsweise ohnehin weniger Flüchtlinge auf, so der deutsche Innenminister Friedrich.

Innenministerin Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) sagte, es gelte, die Rettungskapazitäten zu erhöhen und den Kampf gegen die Schlepper zu intensivieren – sie trügen die Verantwortung für die toten Flüchtlinge. Eine Änderung der Erstaufnahme-Regelung erachtet sie nicht als notwendig. Außerdem trage Österreich schon einen Teil der Last: „Österreich kommt der Flüchtlingstradition sehr wohl nach, nicht umsonst ist es an vierter Stelle, was die Asylquote in der EU betrifft.“

Die derzeitige Lage sei „nicht gerecht“, so Mikl-Leitner. In diese Kerbe schlägt auch Schwedens Innenminister Tobias Billström. Sein Land habe mit Deutschland zwei Drittel der syrischen Bürgerkriegsflüchtlinge in der EU aufgenommen. Aber alle Mitgliedsstaaten müssten ihr „Äußerstes“ zur Aufnahme von Flüchtlingen tun. „Denn heute gibt es sechs, sieben Länder, die die gesamte Verantwortung übernehmen, und wir sind 28.“

Flüchtlinge aus Syrien

Ein graues Kriegsschiff mit mehreren kleineren Booten auf dem Wasser.
epa03900724 Italian search and rescue teams enter in to Lampedusa harbour, Lampedusa, Italy, on 07 October 2013. Divers in Italy resumed the search for bodies after a shipwreck in which over 300 African refugees are feared to have died, as a government minister called for an easing of immigration rules. Hundreds of rescuers and army personnel have been deployed to the island of Lampedusa whose seas were described as a "giant cemetery", with 211 bodies now pulled from the water. EPA/CORRADO LANNINO

Dienstagvormittag traf indes im Hafen der sizilianischen Stadt Catania ein Tanker mit Flagge aus Panama ein, der 250 Migranten, mehrheitlich aus Syrien und Palästina, gerettet hatte. Diese befanden sich an Bord eines Fischerbootes, das in Seenot geraten war. Die UNO erwartet im kommenden Jahr weitere MillionenFlüchtlinge aus Syrien. Nochmals zwei Millionen Syrer würden voraussichtlich ihr Heimatland verlassen, 2,25 Millionen würden außerdem innerhalb Syriens auf der Flucht sein, hieß es in einem UN-Bericht, der am Montag publik wurde.

Die Tragödie vor Lampedusa – bisher wurden mehr als 270 Tote nach dem Kentern eines Flüchtlingsbootes am Donnerstag geborgen – lässt den Ruf nach einer neuen gemeinsamen Asylpolitik in der EU laut werden. Doch wie das Treffen der EU-Innenminister am Dienstag in Luxemburg wieder einmal zeigte, gehen die Haltungen der einzelnen Staaten diametral auseinander. Der KURIER erläutert die wichtigsten Themen und Streitpunkte.

Was ist der zentrale Streitpunkt für die EU?

Im Kern geht es um die sogenannte Dublin-II-Verordnung, in der die Erstaufnahme von Flüchtlingen in der EU festgelegt ist. Diese Verordnung sieht vor, dass EU-Staaten Asylwerber immer in jenes Land zurückschieben können, von dem aus sie in die EU eingereist sind. Vorausgesetzt, es handelt sich um ein sogenanntes sicheres Drittland. Ist das nicht der Fall (wie etwa bei Libyen im Fall der Bootsflüchtlinge) ist das EU-Land zuständig, durch das die Flüchtlinge in die EU gelangt sind. Im Fall der Bootsflüchtlinge Italien.

Wie unterscheiden sich die Länder-Positionen?

Die Staaten im Süden der EU die die Hauptlast des Flüchtlingsansturms aus Nordafrika und dem Nahen Osten tragen müssen, fordern eine gerechtere Verteilung der Asylwerber auf alle EU-Staaten. Doch die Länder im Norden der EU, darunter auch Deutschland und Österreich, verweisen darauf, dass sie ohnehin im Verhältnis zu ihrer Bevölkerung genügend Flüchtlinge aufnehmen.

Gib es eine gemeinsame Asylpolitik der EU?

Trotz jahrelanger Beratungen beschränkt sich die gemeinsame EU-Asylpolitik auf einige Grundlinien über Aufnahme, Behandlung und Rechte von Flüchtlingen. So hat jeder Asylwerber das Recht, dass sein Asylantrag ordnungsgemäß behandelt wird. Recht auf Asyl haben nicht nur Kriegsflüchtlinge nach der Genfer Konvention, sondern auch Menschen, für die in ihrem Heimatland keine persönliche Sicherheit im Sinne der Europäischen Menschenrechtskonvention gegeben ist.

Was tut die EU, um den Ansturm von Flüchtlingen zu bremsen?

Zu allererst einmal ihre eigenen Außengrenzen sichern. Dafür verantwortlich ist die EU-Agentur Frontex. Sie unterstützt die lokalen Grenz- und Polizeibehörden mit Beamten aus anderen EU-Staaten und finanziert technisches Gerät zur Grenz­überwachung. Als Folge der Lampedusa-Katastrophe will Frontex jetzt mehr Boote ins Mittelmeer schicken, die in Not geratenen Flüchtlingsbooten rasch helfen können. Im Rahmen des Projekts Eurosur soll die grenzüberschreitende Zusammenarbeit der Behörden ausgebaut werden (Austausch von Überwachungsdaten und Wissen über Schlepperrouten). Eine neue Taskforce der EU soll auch die Entlastung der Mittelmeerländer im Kampf gegen die Schlepper prüfen.

Woher kommen die Flüchtlinge?

Im Osten der EU vor allem aus Afghanistan und Tschetschenien, im Süden aus Somalia, Eritrea, Nigeria, Mali oder Burkina Faso. „Wir brauchen mehr Mittel, um die Lebensbedingungen der Menschen dort zu verbessern, damit sie in ihrer Heimat bleiben können“, fordert Martin Ledolter, Chef der österreichischen ADA, die Entwicklungshilfe-Projekte finanziert.

Eine Grafik zeigt die Anzahl der Asylanträge in der EU im Jahr 2012 pro 1.000 Einwohner. Malta führt die Liste an.

Wie Asylbewerber in Europa verteilt werden, legt das europäische Asylrecht fest. Die sogenannte Dublin-II-Verordnung regelt seit 2003 eindeutig, dass zunächst das Land zuständig ist, über das der Asylbewerber in die EU eingereist ist. Damit will die EU dem "Asyl-Shopping" einen Riegel vorschieben: Kein Asylbewerber soll in mehreren EU-Ländern gleichzeitig einen Antrag stellen können. Eine Fingerabdruck-Datenbank (Eurodac) hilft bei der Kontrolle.

In der Praxis werden somit Flüchtlinge, die in einem anderen Land Asyl beantragen, in dieses erste EU-Land abgeschoben. Die Begründung lautet, dass sie über einen sicheren Drittstaat eingereist sind. Ausnahmen gibt es aus humanitären Gründen für Familienmitglieder, die über verschiedene Wege in die EU gekommen sind.

Wegen dieses Prinzips kontrollieren Staaten mit EU-Außengrenzen diese streng, weil sie sonst für alle nachfolgenden Asylverfahren und die damit verbundenen Kosten zuständig wären. Die Regeln sind seit Jahren umstritten, weil Südländer wie Italien, Malta und Griechenland mit den Flüchtlingsströmen aus Nordafrika überfordert sind.

Eine Gruppe junger Männer steht mit Plastiktüten und Wasserflaschen an einem Kai.
Ein überfülltes Boot mit Menschen auf dem Wasser, möglicherweise Flüchtlinge.

ITALY LAMPEDUSA MIGRANTS INFLUX
Ein Mann mit Kapuze blickt durch ein schmutziges Fenster.

ITALY LAMPEDUSA MIGRANTS INFLUX
Ein überfülltes Boot mit Menschen auf dem Meer nähert sich der Küste.

ITALY LAMPADUSA MIGRATION
Mehrere Leichensäcke liegen am Ufer, während Helfer in der Nähe eines Lieferwagens stehen.

ITALY MIGRATION REFUGEES
Eine Mutter hält ihr Kind in einer Rettungsdecke, während es ein Stück Brot isst.

ITALY MIGRANTS CRISIS

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