Tipps für Renzi: "Lass Dich in Rom nicht verarschen"

Matteo Renzi trägt eine Schärpe in den Farben der italienischen Flagge.
Matteo Renzi dürfte neuer Premier werden – und erhält schon Tipps für das Amt von Freunden.

Renzi verschrottet Letta", titelte die italienische Tageszeitung La Repubblica über die "blitzartig" eingetretene Regierungskrise. Italiens Noch-Premier Enrico Letta hat am Freitag nach nur zehn Monaten im Amt bei Staatspräsident Giorgio Napolitano seinen "unwiderruflichen" Rücktritt eingereicht. Nach einer 40-minütigen Unterredung war die Ära Letta Geschichte. "Ich danke allen, die mir geholfen haben", verabschiedete er sich. Letta fuhr, wie schon beim Amtsantritt, mit seinem Privatauto zum Quirinalspalast.

Nun ist wieder einmal das Verhandlungsgeschick des 88-jährigen Napolitano gefragt. Erneut muss er eine rasche Lösung aus der Krise finden. Napolitano startete sofort mit den Konsultationsrunden. Schon nächste Woche könnte eine neue Regierung vorgestellt werden.

Ein Mann mit Brille sitzt auf einem Stuhl und hält eine Krawatte vor das Gesicht.
Italy's Prime Minister Enrico Letta attends a confidence vote at the Senate in Rome in this October 2, 2013 file photo. Letta said he would tender his resignation on February 14, 2014 opening the way for centre-left leader Matteo Renzi to take the helm of Italy's third government in less than a year. REUTERS/Tony Gentile/Files (ITALY - Tags: POLITICS)
An deren Spitze dürfte der ehrgeizige Chef der Demokratischen Partei (PD), Matteo Renzi, stehen. Dieser bereitet schon eifrig die Ministerliste seiner Regierungsmannschaft vor. Machtbewusst, risikofreudig, anmaßend, rücksichtslos – so lässt sich der 38-jährigen Florentiner beschreiben. Mit seinem atemlosen Tempo und seinem riesigen Ego ist Renzi das Gegenteil des gelassenen, besonnenen "Parteifreundes" Letta, den Renzi über die Klinge springen ließ.

Valentinstag

Während Letta seine letzte Ministerratssitzung in Rom abhielt, feierte der scheidende Bürgermeister Renzi im Palazzo Vecchio in Florenz mit 1500 Ehepaaren den Valentinstag und gratulierte allen, die sich "schon seit 50 Jahren lieben und vor allem ertragen".

"Vai avanti", "weiter so", ermunterte Renzi die Festgäste zu einem Tempo, mit dem er selbst binnen zwei Monaten vom Sieg der PD-Primärwahlen zum Premieramt sprintete. Mit einer hastig vorgetragenen Rede hatte Renzi den altgedienten Parteifunktionär Letta am Donnerstag überraschend ins Aus gedrängt. Eine "neue Phase" solle beginnen. Dabei steht die neue Wahlrechtsreform "Italicum", die mit Ex-Premier Silvio Berlusconi im Jänner vereinbart wurde, ganz oben auf seiner Agenda.

Champions League

Weiters plant Renzi die Abschaffung des italienischen Senats. Der "Akrobat des Risikospiels" (La Repubblica) lässt allerdings offen, wie er sein ambitioniertes Vorhaben umsetzen wird. "Es ist, als ob man einem jungen, unerfahrenen Trainer die Verantwortung für eine alte, angeschlagene Fußballmannschaft überträgt, mit dem Ziel, die nächste Champions League zu gewinnen", findet Autor Massimo Gramellini.

Journalist und Blogger Gad Lerner schätzt Renzi als unberechenbar ein: "Ich finde ihn nicht vertrauenswürdig, vor allem was seine Pläne für Sozialpolitik und Umgang mit Schwächeren betrifft – alles linke Werte." Wofür Renzi genau stehe, sei, so Lerner, eine "große Unbekannte". Noch vor wenigen Tagen hatte Renzi in einem Fernsehinterview betont, dass es ihn nicht in das Regierungsamt ziehe: "Wer bringt mich dazu, mir das anzutun?"

Die Aversionen zwischen Letta und Renzi waren von Beginn an nicht zu übersehen. Doch die rasante Skrupellosigkeit von Renzis Machtintrige, der die PD mehrheitlich zustimmte, überraschte dann selbst abgebrühte Beobachter des italienischen Politzirkus’.

Berlusconi frohlockt

Politologe Giovanni Orsina ist überzeugt, dass vor allem für Berlusconi Renzis Vorstoß sehr gelegen kommt: "Berlusconi ist sicher froh darüber." Ganz ohne Zutun der rechten Opposition brachte eine parteiinterne Fehde die Regierung Letta zu Fall. Berlusconi war mit seinem Putschversuch vergangenen Herbst noch gescheitert.

Die Hintertür für seine Rückkehr steht nun wieder offen. Die italienische Anomalie gipfelt darin, dass der wegen Steuerbetrugs seit Sommer vorbestrafte Berlusconi für seine Partei Forza Italia die Koalitionsverhandlungen im römischen Quirinalspalast anführen wird.

Ein Dorn im Auge ist Renzi allen aus dem sozialistisch-kommunistischen Umfeld – etwa den Anhängern des früheren Parteichefs Pier Luigi Bersani. Mit Sozialdemokratie habe, so die Kritiker, seine ideologiefreie, opportunistische Politik nichts zu tun.

Renzi aber ließ sich den "schönsten Tag seit fünf Jahren" (so sein Tweet) von seinen Widersachern nicht verderben. Lieber hörte er auf den Rat seiner Florentiner Fans: "Matteo, lass dich in Rom nicht verarschen!" Renzi kontert: "Das ist eine klare Ansage, die ich gerne befolge."

Wahlrecht

Das bisherige Wahlrecht wurde für verfassungswidrig erklärt.

Arbeitslosigkeit

Sie liegt derzeit bei 12,5 Prozent. Vor allem junge Menschen sind betroffen: Mehr als 40 Prozent unter 25 Jahren haben keinen Job.

Bürokratie-Abbau

Die öffentliche Verwaltung muss vereinfacht und reformiert werden.

Staatsstrukturen

Sowohl das Parlamentssystem mit zwei gleichberechtigten Kammern als auch die Struktur des Landes mit den 20 Regionen stehen immer wieder in der Kritik.

Wirtschaftswachstum

Zum ersten Mal seit Jahren gab es im 4. Quartal 2013 ein Plus – von 0,1 Prozent.

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