Dort gilt seit Jahrzehnten auf vielen Autobahnen nämlich gar kein Tempolimit. Man darf straffrei mit Geschwindigkeiten jenseits der 200 Stundenkilometer rasen, dabei tonnenweise CO₂ in die Atmosphäre blasen und für überproportional viele Verkehrstote sorgen – alles im Namen der Freiheit.
Besonders unbeweglich im Streit um die deutsche Raserei waren bisher traditionell die Wirtschaftsparteien CDU und FDP. Diese Phalanx scheint nun erstmals zu wanken: Weil die Regierung ihre Bürger aufruft, die Klimaanlagen abzudrehen und kalt zu duschen, auch bei der Bevölkerung die Zustimmung zu Tempolimits steigt, zeigt sich die CDU erstmals gesprächsbereit.
Jens Spahn, unter Merkel Gesundheitsminister, jetzt Merz’ Stellvertreter als Fraktionschef und damit kein politisches Leichtgewicht, plädierte kürzlich ganz unideologisch für ein temporäres Limit. Auch andere Parteikollegen – vornehmlich jene mit Energie- oder Klimaexpertise – stimmten da mit ein; die Grünen fordern dies ohnehin seit Jahrzehnten, die SPD – eigentlich – auch.
Ist damit der heilige Bann gebrochen, ein Limit tatsächlich in Reichweite?
So einfach wird es wohl nicht. Denn das Thema „freie Fahrt für freie Bürger“ ist in Deutschland so emotional aufgeladen, dass sich in den letzten Jahrzehnten kaum ein Kanzler daran zu rütteln traute. Grund dafür ist – ähnlich wie bei der Neutralität in Österreich – dass das eigene Auto und die schrankenlose Mobilität sinnbildlich für den Aufstieg nach 1945 stehen.
Die Autobranche war in den 50ern und 60ern der Wirtschaftswundermotor, die gebeutelte Nachkriegsgesellschaft zog aus den eigenen vier Rädern neues Selbstbewusstsein, Italienurlaub mit dem VW-Bus inklusive. Da war auch egal, dass die „freie Fahrt“ ohne Limit eine Erfindung Hitlers war: In den 1950ern gab es nicht mal in Ortschaften ein Tempolimit, wer angesichts der exorbitant steigenden Unfallzahlen danach rief, wurde des „Angriffs auf die Freiheit“ bezichtigt.
Einzig SPD-Kanzler Willy Brandt traute sich in der Ölkrise in den 1970ern, an der staatlich erlaubten Raserei zu rütteln – seine Argumente damals waren dieselben wie die der Grünen heute. Es ging um Teuerung und Energiesparen, später auch ums Waldsterben. Allein: Brandts 130er-Limit auf den Autobahnen galt nur ein paar Monate, danach setzten Autolobby, ADAC und Wirtschaft alles in Bewegung, um die Temposchilder wieder abzumontieren.
Nicht nur deshalb kann man daran zweifeln, dass Kanzler Olaf Scholz – dessen Tatendrang bisher ja nicht gerade kennzeichnend für seine Politik war – sich nun an dem Thema versucht. „Zu ängstlich“ sei er dafür, attestieren ihm Beobachter, dazu kommt, dass er wohl die CDU brauchen würde, um einen Beschluss durchzubringen – ein Umdenken der FDP, dem kleinste Koalitionspartner der Ampel, ist quasi ausgeschlossen.
Die Union allerdings hat signalisiert, dass sie sich nur durch einen Kuhhandel zu einem Zugeständnis beim Tempolimit überreden ließe; etwa dem grünen Ja zu einer Laufzeitverlängerung der Atomkraftwerke. Die sollten eigentlich mit Jahresende vom Netz gehen.
Das haben selbst die Grünen jetzt nicht mehr ganz kategorisch ausgeschlossen. Nur Scholz scheint nicht beweglich. Er meinte kürzlich, dass diese Regierung ja „kein Limit vereinbart“ habe. „Deshalb kommt es auch nicht“, sagte er – und ließ keine Nachfrage zu.
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