Griechenland: Einen Schritt vor der Einigung

Alexis Tsipras steigt aus einem Auto.
Übereinkunft auf griechische Haushaltsziele. Ein großer Deal soll im Lauf der Woche erfolgen.

Erst in der Nacht zum Dienstag ging der Gipfel der Staats- und Regierungschefs aller 28 EU-Staaten in Brüssel zu Ende. Und zumindest scheint eine Einigung in der Griechenland-Krise nun näher zu rücken. EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker war nach dem Treffen sehr zuversichtlich, dass es in dieser Woche einen Deal geben wird, "weil es ihn geben muss". Die Eurogruppe werde am Mittwoch Ergebnisse für den EU-Gipfel am Tag darauf liefern. Die Staats- und Regierungschefs aller 28 EU-Staaten treffen einander Donnerstag und Freitag erneut - zum letzten offiziellen Gipfel vor der Sommerpause.

Die Griechen hätten einen großen Schritt in Richtung der europäischen Institutionen gemacht, so Juncker. Damit spielte der Kommissionschef wohl auf das zuletzt von der griechischen Regierung vorgelegte Papier mit Einsparungsvorschlägen an. Es sieht für 2015 und 2016 eine Summe von 7,9 Milliarden Euro vor. In griechischen Medien wurden die Zahlen für Sparmaßnahmen veröffentlicht.

Nun müssen sehr schnell die griechischen Vorschläge unter die Lupe genommen werden, damit der Zeitplan noch aufgeht. Diverse Gipfelteilnehmer gingen daher von viel Arbeit in wenig Zeit aus. Doch es überwog der vorsichtige Optimismus, selbst bei Eurogruppen-Chef Jeroen Dijsselbloem. Die neuen Vorschläge Athens seien zu begrüßen und ein positiver Schritt.

Auch die internationalen Geldgeber bewerten die neuen Reformvorschläge Griechenlands nach Angaben von Bundeskanzlerin Angela Merkel als guten Ausgangspunkt auf dem Weg zu einer Einigung. Um zu einem Abschluss zu kommen, sei aber noch sehr viel Arbeit zu leisten und es müsse „unglaublich konzentriert gearbeitet werden“, sagte eine sichtlich müde Kanzlerin Merkel nach dem Abschluss des Gipfels.

Einigung auf Haushaltsziele

Auch wurde schon ein Schritt Richtung Deal getan: Es gab am Abend eine Verständigung auf die griechischen Haushaltsziele für die nächsten Jahre. Der sogenannte Primärüberschuss, bei dem Zinszahlungen und Tilgungen ausgeblendet werden, solle im laufenden Jahr ein Prozent der Wirtschaftsleistung betragen und im kommenden Jahr zwei Prozent. Der Primärüberschuss ist eine wichtige Größe bei der Sanierung des Budgets. Die Verständigung auf diese Werte hatte sich zuvor bereits abgezeichnet.

Auch für griechische Banken gibt es eine Verschnaufpause. EZB-Chef Mario Draghi versichert laut Athen, das Bankensystem sei geschützt, solange
sich das Land an das Hilfsprogramm halte.

"Erste realistische Vorschläge"

Eine Grafik zeigt Griechenlands Schulden gegenüber verschiedenen Gläubigern in Milliarden Euro.
Griechische Verbindlichkeiten in Milliarden Euro - Balkengrafik Grafik 0730-15-Griechenland.ai, Format 88 x 58 mm
Ratspräsident Donald Tusk hatte bereits angekündigt, man müsse die griechischen Vorschläge prüfen; die Griechen hätten "erstmals seit Wochen" realistische Vorschläge gemacht. Die wichtigste Aufgabe sei es, einen „unkontrollierbaren, chaotischen Grexit“ zu vermeiden. Auch Bundeskanzler Faymann hat am Montagabend in Brüssel vor einer Pleite Griechenlands gewarnt. „Ich möchte nicht mit dem Konkurs Griechenlands spekulieren, in keiner Weise“. Vielmehr sollte „etwas Positives herauskommen, auch wenn es bis Donnerstag dauert“.

Was niemand breittreten wollte, war ein veritabler Streit im Kreis der Euro-Finanzminister. Wolfgang Schäuble holte zum Rundumschlag aus, sowohl gegen die Griechen als auch gegen die EU-Kommission, der er vorwarf gemeinsame Sache mit Tsipras zu machen. Süffisant erklärte er, dass es die Euro-Gruppe sei, die letztendlich die Entscheidung über weitere Hilfe treffe und nicht die Kommission. "Hier findet ein Match zwischen Finanzministern, Regierungschefs und der Kommission statt", erklärte ein hochrangiger Beamter.

Ein Ausstieg Griechenlands aus der Eurozone wäre vor allem "ein Drama für die griechische Bevölkerung". Jean Claude Trichet, Ex-Präsident der Europäische Zentralbank (EZB), gab sich am Montag bei einem Vortrag in Wien überzeugt, dass ein Verbleib in der Eurozone mit einem "geordneten Anpassungsprozess" die bessere Option für die Griechen sei.

Die EZB habe schon 2010 gesehen, dass der Zustand Griechenlands der schlimmste unter den hoch verschuldeten Euroländern sei. "15 Prozent Defizit in der Leistungsbilanz und 15 Prozent Budgetdefizit. Das war der ’worst case’", sagte Trichet. Denn dieses Defizit mussten die ausländischen Gläubiger finanzieren. Schuld daran seien jene, die Griechenland früher regiert haben. Trotzdem müsse die jetzige Regierung einen Plan vorlegen, wie sie aus der Überschuldung kommen wolle. Denn Philanthropen, die dieses Loch stopfen, gebe es auf der ganzen Welt nicht.

Trichet persönlich würde Griechenland zum Anlass nehmen, um einen neuen EU-Pakt zu schließen. Kernpunkt: Das "demokratisch gewählte EU-Parlament sollte als Schiedsrichter zwischen den Ländern und der Kommission" eingesetzt werden. So ein Pakt hätte drei Vorteile. Er wäre leicht umsetzbar, demokratisch und speziell auf Notfälle gerichtet.

Die griechische Regierung hat nach Informationen der Athener Finanzpresse den Gläubigern harte Steuererhöhungen und Einsparungen angeboten, um die Schuldenkrise zu lösen. Ministerpräsident Alexis Tsipras "hat ein schweres Sparpaket nach Brüssel mitgenommen", schreibt Capital auf seiner Homepage. Die Liste liegt dem KURIER vor. Ein Überblick über die wichtigsten Punkte:

Die von Tsipras vorgeschlagenen Maßnahmen sollen demnach in den kommenden eineinhalb Jahren 5 Mrd. Euro einbringen. Unter anderem solle der Mehrwertsteuersatz für Grundnahrungsmittel wie Reis und Nudeln von 13 auf 23 Prozent erhöht werden. Die Mehrwertsteuer im Hotelgewerbe solle von 6,5 auf 13 Prozent verdoppelt werden. Zudem sollen die Mehrwertsteuern in Tavernen, Restaurants und Cafés von 13 auf 23 Prozent steigen.

Sieben Prozent Sonder-Gewinnsteuer

Neu eingeführt werden solle eine Sondersteuer auf Einkommen von 30.000 Euro jährlich, die von ein Prozent stufenweise bis sieben Prozent steigen könnte. Unternehmen, die 2014 mehr als 500.000 Euro Gewinne hatten, sollen bis zu sieben Prozent Sonder-Gewinnsteuer zahlen.

Bleiben solle eine Immobiliensteuer, die die linke Regierung eigentlich abschaffen wollte. Allein diese Maßnahme soll gut 2,6 Mrd. Euro in die Kassen spülen. Inhaber von Jachten, Luxusautos und Schwimmbäder müssten noch tiefer in die Tasche greifen.

Die meisten Frührenten sollen nach dem Tsipras-Angebot abgeschafft werden. Das war eine der Forderungen der Geldgeber zur Sanierung des Rentensystems. Außerdem sollen die Arbeitnehmer- und Arbeitgeberbeiträge für die Renten- und Krankenkassen um zwei Prozent erhöht werden.

Maßnahmen noch nicht bestätigt

Als Gegenleistung fordere Athen unter anderem eine Umschichtung seiner Schulden, berichtet die griechische Finanzpresse. Zudem solle es ein umfangreiches Investitionsprogramm geben, damit die griechische Wirtschaft wieder wachse.

Aus offiziellen Quellen wurden diese Maßnahmen nicht bestätigt. Wie es aus Regierungskreisen am Montag hieß, sei alles noch auf dem Verhandlungstisch.

Experten in EU und Griechenland sind sich einig: Die Faktoren, die zur größten Krise Griechenlands seit dem Zweiten Weltkrieg geführt haben, sind eine nicht wettbewerbsfähige Wirtschaft, ausufernde Verschuldung, mangelhafte Verwaltung, Korruption und Steuerbetrug. Fehlende Reformen, rigorose Sparprogramme und kaum Investitionen haben die Konjunktur abstürzen lassen.

STRUKTURSCHWÄCHEN: Die Wirtschaft krankt vor allem an der mangelnden Exportkraft. Griechenland hat kaum eigene Industrie. Die Agrarwirtschaft kann den Bedarf der Bevölkerung an Lebensmitteln nicht decken. Als größter Wirtschaftszweig läuft nur der Tourismus noch gut. Das Rentensystem gilt als extrem reformbedürftig.

DEFIZIT: Das Haushaltsdefizit lag 2009 auf dem extrem hohen Niveau von 15,4 Prozent. Es soll nun auf etwa zwei Prozent gedrückt werden. Sparmaßnahmen trafen vor allem die sozial Schwachen. Im Durchschnitt haben die Griechen nach Gewerkschaftsschätzungen mehr als 30 Prozent ihres Einkommens verloren. Weil der Gürtel immer enger geschnallt wird, wird immer weniger konsumiert. Der Wirtschaftsabsturz führte zu Entlassungen und einer Arbeitslosigkeit um die 26 Prozent. Jeder zweite junge Mensch ist ohne Job.

SCHULDEN: Aktuell liegt die Schuldenquote Griechenlands bei etwa 180 Prozent der Wirtschaftsleistung und damit höher als in irgendeinem anderen Euroland. Am Kapitalmarkt kann Griechenland praktisch keine Kredite mehr aufnehmen, weil die Investoren das Vertrauen verloren haben, dass Athen seine Schulden überhaupt zurückzahlen kann. Deshalb ist das Land auf eine Einigung mit der EU, der Europäischen Zentralbank und dem Internationalem Währungsfonds (IWF) angewiesen.

STEUERHINTERZIEHUNG: Dem Staat entgeht viel Geld wegen Korruption, Freunderlwirtschaft und Steuerbetrug. Experten haben ausgerechnet, dass Griechenland binnen zehn Jahren schuldenfrei sein würde, wenn es Steuerhinterziehung erfassen und Abgaben - vor allem die Mehrwertsteuer - eintreiben könnte.

DYNASTIEN: Etwa Tausend Familien und wenige Politikerdynastien beherrschen den Staat und besitzen große Teile des Landes und der Wirtschaft.

MISSTRAUEN: Die Griechen haben wenig Vertrauen in die politischen Institutionen. Die Traditionsparteien der Konservativen und Sozialisten haben es verspielt. Im Jänner wählten die Griechen erstmals eine linke Regierung. Ministerpräsident Alexis Tsipras holte als Koalitionspartner die Rechtspopulisten. Nur wenige Minister der Links-Rechts-Regierung haben Regierungserfahrung.

Kommentare