"EU muss oft als Schwarzer Peter herhalten"

Eine Frau steht vor dem Europäischen Parlament in Straßburg.
Sie ist 32 und schon europaweite Spitzenfrau der Grünen. Ska Keller im KURIER-Interview über einen "knallgrünen" Wahlkampf, eine mögliche Unterstützung für Martin Schulz und warum die EU ein "echtes Problem" hat.

Die Wahl zur europaweiten Spitzenkandidatin Ende Jänner hat nicht zuletzt Ska Keller selbst überrascht. Nun gilt die deutsche Abgeordnete im Europaparlament als Nachwuchshoffnung der Grünen – und forciert einen Generationenwechsel in der Partei. Im KURIER-Gespräch gibt sich die 32-jährige Keller selbstbewusst und unkompliziert, außerdem als leidenschaftliche Europäerin. Am Freitag treffen sich die Euro-Grünen in Brüssel, um Keller und den französischen Globalisierungskritiker José Bové als Kandidatendoppelspitze abzusegnen.

Frau Keller, Sie sind mit dem Slogan "Nicht nur Opa für Europa" bei der vergangenen Wahl ins EU-Parlament eingezogen. Ist jünger tatsächlich besser?

Nicht unbedingt besser, aber es ist wichtig, dass alle Generationen in der Politik vertreten sind. Eben nicht nur Opa, sondern auch jüngere Menschen, die lange politisch unterrepräsentiert waren. Alter an sich ist aber keine Qualität.

José Bové und Sie wurden durch ein europaweites Online-Voting zur Kandidatenspitze gewählt. Die dürftige Beteiligung von knapp 23.000 Bürgern bei rund 380 Millionen Stimmberechtigten wird als Flop kritisiert…

Wir hätten uns natürlich eine höhere Teilnahme erhofft. Allerdings sind wir eine kleine Partei mit wenigen Ressourcen. Wir haben uns nicht nur an Grüne, sondern auch an Sympathisanten gerichtet: Viele wussten davon allerdings nicht. Aus diesen Fehlern müssen wir lernen.

Der EU-Wahlkampf spielt sich oft auf nationaler Ebene ab. Welche Rolle haben Sie als gesamteuropäische Spitzenkandidatin?

Gerade weil der Wahlkampf stark auf nationaler Ebene abläuft, bringe ich eine europäische Dimension hinein. Als europaweiter Spitzenkandidat gibt man der Gesamtkampagne Kopf und Gesicht.

Auf Ihrer Website kündigen Sie einen "knallgrünen" Wahlkampf an…

"Knallgrün" heißt für mich: Spaß und Leidenschaft an der Sache vermitteln, aber trotzdem Inhalte bieten und auch verteidigen.

Welche Inhalte wären das?

Wir müssen Wege aus der Krise aufzeigen. Die hohe Jugendarbeitslosigkeit beschäftigt die Menschen. In Griechenland können sich viele ihre Medikamente nicht leisten. Die Frage ist: Wie kommen wir aus dieser Krise heraus? Wir wollen grüne Jobs schaffen, also nachhaltige Arbeitsplätze für die Zukunft. Und den Menschen zeigen, dass es einen Unterschied macht, wen sie wählen.

"Jung und eine Frau sein ist nicht das Einzige, was ich den ganzen Tag mache."

Sie betonen gerne, dass Sie einer Generation junger Europäer angehören, die mit der EU aufgewachsen sind. Wie beeinflusst das Ihre Politik?

Ich stehe für eine Generation, für die Europa selbstverständlich ist. Für mich geht es nicht darum, ob pro oder contra Europa. Mir ist wichtig: Was kann ich ändern, um die Union zu verbessern? Wir wollen Europa anders und besser machen.

Ihr Alter und ihr Geschlecht werden oft hervorgehoben. Stört Sie das?

Nicht unbedingt, ich bin ja jung und eine Frau. Allerdings frage ich mich schon: Wann hört man auf jung zu sein? Ich bin schließlich schon über dreißig. Jung und eine Frau sein ist auch nicht das Einzige, was ich den ganzen Tag mache.

Von Ihrer Themensetzung her gelten Sie als Parteilinke. Sind Sie und Bové ein Zeichen dafür, dass die Grünen sich für die EU-Wahl links positionieren wollen?

Rechts und links sind Begriffe, die sehr von nationalen Debatten geprägt sind. Diese kann man auch nicht auf die europäische Ebene überschreiben. Ich glaube, dass die Menschen die Kandidaten und ihre Themen gewählt haben. Wir haben jetzt ein gutes, durchmischtes Team. Aber am Ende stehen wir für ähnliche Einstellungen, wir sind schließlich alle Grüne.

Dem Sozialdemokraten Martin Schulz werden gute Chancen eingeräumt Kommissionspräsident zu werden. Werden die Grünen Schulz unterstützen?

Herr Schulz muss ein Angebot an die Grünen machen, wenn er unsere Unterstützung möchte. Beispielsweise beim Thema Freihandelsabkommen ist er Befürworter, wir haben da allerdings unsere Bedenken. Wenn Schulz von uns gewählt werden will, muss er uns entgegenkommen und tragfähige Angebote machen. Dann sehen wir weiter.

"Die EU erreicht die Menschen nicht."

Laut Umfragen wird ein Zuwachs am rechten Rand und für EU-Kritiker erwartet. Hat die EU ein Imageproblem?

Nicht nur ein Imageproblem, sondern ein echtes Problem: Die EU erreicht die Menschen nicht. Es muss besser kommuniziert werden, was die Union für die Rechte des Einzelnen bedeutet. Das Bild der EU ist aber von nationalen Politikern geprägt, die aus Brüssel heimkommen und schimpfen. Dadurch muss die EU oft als Schwarzer Peter für unliebsame, aber gemeinsam getroffene Entscheidungen herhalten.

Einer Ihrer Schwerpunkte ist die Flüchtlingspolitik, ein emotional sehr aufgeladenes Thema. Was läuft in dem Bereich - Stichwort Lampedusa - derzeit falsch?

Einiges. Wir müssen uns mit der Grundsatzfrage auseinandersetzen: Warum müssen Leute in kleine Boote steigen? Ein Problem ist, dass es keinen legalen Weg zum europäischen Asylsystem außerhalb der EU gibt. Deshalb riskieren Menschen ihr Leben, ertrinken auf der Flucht im Mittelmeer, klettern über Stacheldrahtzäune. Das empört uns. Wichtig ist auch, die Fluchtursachen zu bekämpfen. Oft verstärkt die EU selbst die Probleme in diesen Ländern, zum Beispiel durch Waffenexporte, Fischereiabkommen oder Dumpingpreise.

Sie wurden durch ein Online-Voting zur Spitzenkandidatin. Welche Rolle spielt das Internet und soziale Medien für Sie im Wahlkampf und in der Politik?

Soziale Medien sind unglaublich wichtig. Es lassen sich Botschaften direkter kommunizieren, man bekommt Feedback und erreicht vor allem junge Menschen leichter. Ich selbst bin auf Twitter, Facebook, Instagram. Als Politiker kann ich ja nicht überall persönlich sein.

Franziska "Ska" Keller wurde 1981 in Guben in der damaligen DDR geboren. Die Deutsche gilt als Vertreterin eines neuen und jungen Europas. Regelmäßig berichtet sie mit Video-Podcasts aus Brüssel.

Keller hat in Berlin und Istanbul Islamwissenschaften, Turkologie und Judaistik studiert. Sechs Sprachen beherrscht sie fließend. Von 2005 bis 2007 führte Keller die Europäische Grüne Jugend. Seit 2009 sitzt sie im Europaparlament. Bei der Europawahl 2014 geht sie gemeinsam mit dem Franzosen José Bové als europaweite Spitzenkandidatin ins Rennen. Der französische Globalisierungskritiker Bové machte in den 90ern Schlagzeilen, als er eine McDonald's Filiale zertrümmerte.

Beim Kampf um Listenplatz eins der deutschen Grünen musste sich Keller gegenüber Rebecca Harms geschlagen geben.

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