Von der Steppe bis zum Strand: Wie ein Plastikmeer den Senegal überschwemmt

von Annika Meyborg aus dem Senegal
"Egal, wohin man schaut, ob in den Städten oder auf dem Land, alles ist voll mit Plastik", erzählt Christoph Riedl betroffen. Sackerl wehen über Felder, Flaschen liegen umher und alte Verpackungen hängen in den Baumkronen der sonst so majestätischen Affenbrotbäume. Für den Generalsekretär der Caritas St. Pölten ein alltägliches Bild im Senegal.

Rinder leben im Müll einer senegalesischen Kleinstadt
Das westlichste Land Afrikas liegt am Atlantik zwischen Guinea-Bissau und Mauretanien und zählt rund 19 Millionen Einwohner. Mehr als die Hälfte ist unter 25 Jahre alt und lebt unter der Armutsgrenze, Analphabetismus und Arbeitslosigkeit sind große Herausforderungen. Ein weiteres Problem ist Senegals Müllsituation.
Mangroven-Müllkippen an Plastikstränden
Jährlich entstehen fast 200.000 Tonnen Plastikmüll. Recyclingstrukturen fehlen weitgehend, die Abfallbewirtschaftung ist unzureichend. Viele Strände, Gewässer und Mangrovenwälder verkommen zu Müllhalden. Besonders betroffen ist die Hauptstadtregion; immer mehr Menschen ziehen vom Land nach Dakar, die Stadt wird immer voller. Das bringt auch mehr Müll mit sich.
Auf der städtischen Mülldeponie Mbeubeuss werden täglich über 3.000 Tonnen Abfall abgeladen. Darunter leiden Tourismus und Fischerei, Mikroplastik stellt zudem ein Gesundheitsrisiko dar. Offiziell gibt es seit 2020 ein Verbot für bestimmte Plastikprodukte, realistisch gesehen hat sich wenig verändert. Riedl erklärt: "Nur verbieten reicht nicht, es braucht Bildungsmaßnahmen", denn in einem Land ohne Mistkübel fehlt das Bewusstsein für den richtigen Umgang mit Müll.
Ein weiteres Problem: Im Senegal sind Wasserhähne, falls vorhanden, oft abgeschlossen. Teile des Landes liegen in der Sahelzone, Wasser ist knapp - und oft schmutzig. Daher trinken die meisten Senegalesen aus Plastik-Trinkwasserpäckchen.
Das durchschnittliche Jahreseinkommen liegt bei rund 1.600 US-Dollar. Das heißt: Die Menschen sind auf günstige Verpackungen angewiesen, können sich Alternativen nicht leisten - oder leben sogar als Müllsammler von den Abfällen. Allein auf der Mbeubeuss-Deponie sammeln mehr als 4.000 Menschen Verwert- und Veräußerbares. Um die Plastikkrise nachhaltig zu bekämpfen, braucht es dringend ein flächendeckendes System.

Täglicher Überlebenskampf: Kinder suchen im Müll nach Essensresten
Müllabfuhr mit Hufen
Im Osten des Senegal, in Koumpentoum, setzt sich die Caritas seit Jahren gegen die Plastikkrise ein. Rund 20.000 Menschen leben dort in einfachen Häusern an staubigen Straßen. Die Wenigsten haben Strom, Wasser oder ein stabiles Einkommen. Umweltthemen stehen ganz unten auf der Prioritätenliste.
Ändern möchte das Emmanuel Yera Boubane, Mitarbeiter der Caritas Tambacounda: Der 36-jährige Senegalese leitet das ursprünglich französische Plastik-Pilot-Projekt DYT-ECO in Koumpentoum. Jeden Morgen verlässt er früh das Haus, um sich mit lokalen Umweltkomitees und Projektteilnehmern auf der Straße zu treffen. Ein eigenes Büro hat und braucht er nicht der Caritas-Mitarbeiter nicht: "Wir treffen uns, wo Platz ist. Der Ort ist egal".
Die Komitees sprechen mit den Menschen vor Ort. Jeder, der sich für die Projektteilnahme entscheidet, bekommt mehrere Mistkübel für daheim. "Viele denken, Müll ist einfach Müll. Dass man Abfälle trennen kann, wissen sie nicht", sagt Boubane. Deswegen finden Schulungen zum richtigen Umgang mit Müll statt.
Die Teilnehmer lernen, wie man zwischen Plastik-, Rest- und Biomüll trennt. Müllwagen gibt es hier keine, stattdessen kommen Eselskarren. Am Monatsende zahlt man eine kleine Abholgebühr. "Esel müssen schließlich auch was essen", erklärt der Caritas-Mitarbeiter.

Koumpentoum: Drei Männer holen mit Eselskarren Müll ab
Plastikfreie Zukunft
Knapp 850 Personen sind es, die mittlerweile in Koumpentoum Müll trennen und im Projekt mitwirken. "Heute sind wir schon mehr als gestern, morgen noch einmal mehr", sagt Boubane. Er hat große Pläne, spricht von einem Zentrum mit einer Recyclingstation, das schon in den Startlöchern steht.
Für Veränderung braucht es nicht immer Millionenbudgets: manchmal reichen Motivation und ein paar Esel. Das Projekt steht noch am Anfang, aber Karren für Karren bewegt sich Koumpentoum voran. Und auch wenn mal eine Achse bricht, hat Emmanuel Yera Boubane mittlerweile genug Menschen hinter sich, die ihm ein Ersatzrad geben können.

Emmanuel Yera Boubane vor ausgetrocknetem Flussdelta
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