Sebastian Kurz: "Der Islam gehört zu Europa"
67 Stunden unterwegs, davon zwei Nächte im Flieger über dem Atlantik. Die 15.562 Flugkilometer legte Kurz wie immer in der Economy Class zurück. "Ich kann zum Glück überall schlafen", sagt Kurz. Über Jetlag klagt der Außenminister selten bis nie. Es ist Samstagmittag. München ist der letzte Stopp der Monster-Tour, die Kurz von Kiew nach New York und München führte. Hier im Freistaat Bayern, wo die Politik zwischen Laptop und Lederhose schwankt, sucht man nach einem neuen politischen Weg. Die CSU will sich ein neues Parteiprogramm verpassen: "Die offene Gesellschaft und ihre Feinde" – ist der Titel des Kongresses.
Sebastian Kurz ist – wie sollte es auch anders sein – wegen des Exportschlagers Islamgesetz eingeladen. "Die Bayern sind ja konservativ. Ich habe eine knackige Rede gehalten, mit Botschaften wie ,Der Islam gehört zu Europa‘, aber auch ,Integration durch Leistung‘, um die Bayern ein wenig herauszufordern." Auch wenn bei den Veranstaltungsteilnehmern die Sakkoträger dominieren, sind für Kurz viele der CSUler im Kopf noch "Lederhosenträger".
Bierflasche in der Hand
Die Rede des Außenminister ist – nomen est omen – kurz, prägnant, stets am Punkt. Die CSU-Mitglieder hören interessiert mit der Bierflasche in der Hand zu, anschließend entsteht eine hitzige Debatte und bei vielen ein Wunsch: ein Selfie mit Sebastian Kurz. Nur 16 Stunden und ein Nachtflug liegen zwischen seinem Auftritt in Bayern und der Debatte im UN-Sicherheitsrat.
Frankreichs Außenminister Laurent Fabius lud Kurz ein, eine Rede zum Thema Religionsfreiheit zu halten. Auch hier waren die Integrationspolitik und das Islamgesetz das Sprungbrett für seinen Auftritt vor dem höchstem UN-Gremium. Dabei wäre die Anreise zur UNO fast gescheitert, von einem Schreckmoment begleitet. Beim Transfer in Amsterdam wäre der Außenminister fast nicht an Bord des Flugzeuges gekommen. Der Grund für die Debatten mit den holländischen Behörden: Der Außenminister hatte den falschen Diplomatenpass eingesteckt –nämlich jenen, in dem kein Visum für die USA eingetragen war. Erst eine Mail mit der Bestätigung, dass Kurz ein US-Visum hat, rettete die Situation und den pünktlichen Abflug Richtung Big Apple.
Vor dem UN-Sicherheitsrat machte der Minister vor allem auf die Verfolgung der Christen im Mittleren und Nahen Osten aufmerksam. "Bis zu 100 Millionen Christen sind von der Verfolgung betroffen. Allein im Irak hat sich die Zahl der Christen seit 2003 halbiert", so Kurz bei seiner Fünf-Minuten-Rede. Sowohl Frankreichs Außenminister Fabius, der die offene Sitzung des UN-Sicherheitsrates initiiert hatte, als auch sein österreichischer Amtskollege forderten, dass die UNO im Kampf gegen IS-Terror mehr Engagement zeigen müsse. Österreich-Freund Ban Ki-moon empfängt Kurz während der Sitzung für 30 Minuten. "Wir haben über die Feierlichkeiten für die beiden gemeinsamen Jubiläen ,70 Jahre UNO‘ und ,60 Jahre Österreich bei der UNO‘ gesprochen", schildert Kurz.
"Boxkampf ist ein Kinderspiel"
Schauplatzwechsel: Ukraine. Kiew war der erste Stopp der Tour de Force. Vier Mal reiste Kurz bis jetzt in die Krisenregion, vier Mal traf er auf Poroschenko. Die Termine beim Präsidenten nützt er, um die Interessen der österreichischen Wirtschaft zu deponieren. So kämpfen die Banken und Versicherer vor allem mit der Korruption, einem einbrechenden Markt mit einer Inflation von 28 Prozent und einer Rezension von minus 8,2 Prozent. Dazu kommen überraschende Einberufungsbefehle, wo von einem Tag auf den anderem plötzlich wichtige Mitarbeiter im Unternehmen fehlen, weil sie an die Front müssen.
Abends trifft Kurz Außenminister Pavlo Klimkin zum Dinner. Gegen 22.00 Uhr kommt Kiews Bürgermeister Vitali Klitschko dazu. Der Ex-Boxer schildert dem Außenminister, wie mühsam es ist, Demokratie zu leben, und die Macht der Oligarchen zu bekämpfen: "Ein Boxkampf ist ein Kinderspiel dagegen." Und der ehemalige Boxchampion weiter: "Mir tun meine Beine schon weh." Warum, will Kurz wissen. "Weil ich ständig jemanden in den Hintern treten muss", lacht er.
Aufgrund zunehmend unsachlicher Postings wurde diese Diskussion geschlossen. Die Redaktion.
In New York hielt der Außenminister seine erste Rede vor dem UN- Sicherheitsrat. In München sprach er auf dem CSU-Zukunftskongress.
KURIER: Herr Kurz, Sie haben in vier Tagen 15.562 Flugkilometer zurückgelegt und einen Termin-Marathon in Kiew, New York und München absolviert. Kann man bei diplomatischen Gesprächen, die maximal 30 Minuten dauern, wirklich zu konkreten Abschlüssen kommen?
Sebastian Kurz: Es ist üblich, 30- bis 60-minütige Termine zu machen, wobei ich nichts von endlos langen Terminen und noch weniger von langen Reden halte. Manchmal erfährt man in zweiminütigen Vier-Augen-Gesprächen mehr als in langen Konferenzen. Ich bin ein Verfechter von prägnanten Sätzen, wo man sehr schnell am Punkt bringt, worum es geht. Bei Auslandsbesuchen treffe ich immer, wenn möglich, Wirtschaftstreibende aus Österreich, die mir ihre Probleme schildern. Bei Petro Poroschenko habe ich die Sorgen der österreichischen Wirtschaft gleich angesprochen und in einem konkreten Fall etwas in Bewegung gebracht.
Sie forderten vor dem UN-Sicherheitsrat, dass die UNO im Kampf gegen den IS-Terror aktiver wird. Hat die UNO hier die dramatische Entwicklung verschlafen?
Verschlafen ist vielleicht der falsche Ausdruck. Die UNO hat die Schwäche, teilweise sehr starre Strukturen zu besitzen, und hat dadurch oftmals einen nur begrenzten Handlungsspielraum. Am Freitag hat aber ein erster wichtiger Schritt bei der UN-Sicherheitsratssitzung stattgefunden. Die Verbrechen in Syrien müssen an den Internationalen Strafgerichtshof verwiesen werden. Was hier passiert, ist ein Genozid. Es sind zehn Millionen Menschen auf der Flucht und 20 Millionen auf humanitäre Hilfe angewiesen. Das darf nicht ungestraft bleiben.
Sie hatten auch einen Termin mit UN-Generalsekretär Ban Ki-moon. Er sagt gerne, dass er eine Hälfte seines Herzens in Wien gelassen hat. Spürt man das bei den Gesprächen?
Ja, das spürt man etwa daran, dass Ban Ki-moon die einleitenden Sätze immer auf Deutsch spricht. Er macht sich für Österreich als Amtssitz für internationale Organisationen stark. Das schafft eine Umwegrentabilität von mehreren Hundert Millionen Euro und sichert zahlreiche Arbeitsplätze. Er plant, auch zu den Feierlichkeiten „60 Jahre Österreich in der UNO“ wieder zu Besuch zu kommen.
Die UN-Sicherheitskonferenz stand unter dem Thema Religionsfreiheit. Wie wichtig ist Ihnen persönlich der Glaube?
Ich bin ein gläubiger Mensch. Der Glaube ist mir wichtig.
Sie hatten nun knapp 1,5 Jahre Zeit, sich in das Amt einzugewöhnen. Welche Vision haben Sie für das Außenministerium?
Als mir das Amt von Michael Spindelegger angeboten wurde, habe ich ihn gefragt: „Wie soll ich in die Breite an Themen und auch in die geografische Breite des Ministeriums hineinfinden?“ Seine Antwort war: „Das Ministerium ist zwar thematisch sehr breit, aber es gibt selten große Krisen.“ Wenige Wochen später war die Ukraine-Krise am Höhepunkt. Ich bin mir daher nicht sicher, ob ich eine Eingewöhnungsphase hatte. Es war ein intensives Jahr. Es war gleichzeitig ein Jahr, wo ich mit meinem Zielen vorangekommen bin: Erstens dem Schwerpunkt auf dem Westbalkan. Wir sind keine Supermacht, aber wir können in geografischen und thematischen Nischen unseren Beitrag leisten wie etwa am Westbalkan, beim Religionsdialog und dem Islamgesetz. Außerdem ist es meine Zielsetzung, den Servicecharakter des Außenministeriums auszubauen. Unser Motto ist: Weltweit für Sie da. Die Strukturreform wird diese Entwicklung beschleunigen.
Sie hatten ein Treffen mit Ex-Boxer Vitali Klitschko und Ex-Schachweltmeister und Kreml-Gegner Garri Kasparow. Trifft da politischer Bauchmensch Klitschko auf den messerscharfen Analytiker?
Das sind zwei unterschiedliche Politiker-Typen. Klitschko ist in der Ukraine erfolgreich, weil er für eine neue Politikergeneration steht. Er ist ohne Korruption oder Oligarchentum zu Geld gekommen ist. Er ist natürlich auch jemand, der ganz klar westlich sozialisiert ist und eine harte Linie gegen Russland einfordert. Und Kasparow ist ein genialer Redner, den ich sehr schätze.
Sie haben zu Ukraines Präsident Poroschenko ein sehr amikales Verhältnis. Wie kam es dazu?
Bei meinem ersten Ukraine-Besuch habe ich Petro Poroschenko kennengelernt, da wusste im Ausland noch kaum jemand, wer er ist. Damals wechselten wir Handynummern, und seither führen wir regelmäßig intensive Gespräche.
Sie sind gegen einen NATO-Beitritt der Ukraine, aber sehen auch keinen Platz in der EU. Wo sehen Sie die Zukunft der Ukraine?
Ich halte nichts von einer Entweder-oder-Entscheidung bei der Ukraine. Wir müssen zu einer Sowohl-als-auch-Entscheidung kommen. Derzeit gibt es wohl keine Option auf einen NATO-Beitritt. Deswegen halte ich vom ständigen Liebäugeln nichts, denn das wird von russischer Seite wiederum als Entschuldigung für weitere Provokationen gesehen.
Kommentare