Schweden: Ein Land kippt nach rechts

Jimmi Akesson.
Rechtspopulisten im einstigen Paradeland der Sozialdemokraten vor Wahlsieg: Unmut über Migration schlägt gute Wirtschaftsdaten.

„Missnöje“, Unmut, ist ein Wort, das ein älterer Herr am Tresen einer Kneipe im Göteborger Stadtteil Lundby mehrfach wiederholt, wenn es um die Lage der schwedischen Nation geht. Stärkster Faktor der „Missnöje“ ist die Einwanderungspolitik der Sozialdemokraten und der liberal-konservativen Moderaten und die 2015 aufgenommenen rund 163.000 Asylsuchenden. „Wenn ich Straßenbahn fahre, dann bin ich manchmal die einzige Schwedin“, erzählt eine Krankenschwester an der Bar. Leise gesteht sie, damit es die anderen nicht hören, dass sie die rechtspopulistischen Schwedendemokraten ( SD) wählen wird.

Und damit ist sie bei Weitem nicht allein. Am 9. September stehen Parlaments- und auch Kommunalwahlen an und die Migrationsproblematik gilt als wichtigste Frage in dem skandinavischen Land. Die SD konnten die Sozialdemokraten und die Moderaten in Umfragen einholen. Trotz guter Wirtschaftsdaten hat die rot-grüne Regierung von Premier Stefan Löfven durch das lange Leugnen der Probleme viel Vertrauen verspielt, zu lange hielt man an der großzügigen Einwanderungspolitik fest.

Einer der berüchtigsten Vororte Schwedens liegt gleich neben Lundby: Biskopsgarden. Segregation, Arbeitslosigkeit, Schießereien, Islamismus, Jugendgangs, das sind die Schlagworte, die bei diesem Namen fallen. „Nein, hier ist alles ruhig, man kann sehr gut hier leben“, sagt Mohammed, der zusammen mit seinem Kumpel eine Falafel auf einer Bank in dem Göteborger Stadtteil Biskopsgarden verzehrt. Tito Rojas, ein Mann im Trikot der chilenischen Fußballnationalmannschaft, hat ihn angesprochen, er kennt den gebürtigen Somalier schon länger von Fußballaktivitäten. Doch das Gespräch mag nicht recht in Gang kommen. „Wir müssen jetzt gehen“, verabschieden sich die beiden rasch.

Dies mag daran liegen, dass der KURIER-Reporter als neugieriger Eindringling in dem Migrantenviertel stört – oder aber auch daran, dass das Zusammentreffen von einem Mann im arabischen Jabador-Gewand, mit Rauschebart, verschränkten Armen und demonstrativ finsterer Mine aus nächster Nähe begutachtet wird.

„Schweden ist feige, wir hätten diese Debatte schon längst führen sollen“, sagt Tito Rojas. Der heute 54-Jährige brach vor 30 Jahren sein Maschinenbaustudium in Chile ab und flüchtete, da er sich gegen die damalige Regierung Pinochet gestellt hatte. Er habe dann mit Analphabeten zusammen Schwedisch gelernt, die Regierung schere alle Migranten über einen Kamm, es gebe zu viel Bürokratie, klagt Rojas.

Tod im Kinderzimmer

Einige Jahre lebte er in Biskopsgarden und wirkte als Lehrer und Sozialarbeiter und bis heute als Fußballtrainer. Mit seinem Verein „Cruz Azul“ versucht er, Jugendliche verschiedener Herkunft vom Abdriften in die Kriminalität in Göteborg abzubringen. Es gebe zu viele ethnisch orientierte Vereine, die von der Stadt unterstützt würden – auch die beiden Somalier kämen aus dem Fußballklub „Geederup“, der eben nur Somalier aufnehme. „Das leistet null Beitrag zur Integration“, ärgert sich der Chilene, der weiter die Straße Godvädersgatan mit seinen lang gestreckten Wohnblocks aus Ziegelstein hinaufführt. Hier erlebte er zweimal mit seinen Fußball-Eleven eine Schießerei, ein paar Hundert Meter weiter wurde vor zwei Jahren ein achtjähriger Bub in seinem Kinderzimmer durch eine hineingeworfene Handgranate getötet. Ein versehentliches Opfer im Verteilungskampf um Drogenreviere. 2016 gilt mit seinen Gewalttaten als das Schlimmste in Biskopsgarden.

Lena Bjugard Bränfeld, Leiterin für Soziale Angelegenheiten in der Stadtteilverwaltung, weist auf Gegenmaßnahmen hin: „Die Polizei war sehr aktiv, sie hat die öffentlichen Plätze von Drogendealern gereinigt.“ Im Zuge des Projekts „Mitbürgerversprechen“ gibt die Gemeinde in Kooperation mit der Polizei Ziele vor: besondere Beobachtung der Hotspots, Einrichten eines Mitbürgerrats, Unterstützung für alle, die aus der Kriminalität raus wollen. Auch mit den Imamen sei man im Gespräch.

Schweden: Ein Land kippt nach rechts

Egal, wo der Chef der rechten Schwedendemokraten auf Wahlkampftour Station gemacht hat, stieß er auch auf Protest. Den Umfragen zufolge steht er am Sonntag vor einem Triumph.

Extremisten-Problem

Göteborg, das seit den 90er-Jahren eine selbstbewusste Salafisten-Szene beherbergt, hat ein großes Extremismusproblem. Von den 300 IS-Kämpfern, die nach Schweden zurückkehrten, leben 130 hier. Die Polizei hat sie mit Hilfe des Inlandsgeheimdienstes ausfindig gemacht und verhört. „Anders als etwa in Großbritannien lässt es die schwedische Rechtslage nicht zu, die Rückkehrer direkt beim Grenzübertritt aufzugreifen“, sagt Zan Jankovski. Er arbeitet als Koordinator gegen gewaltbereitenden Extremismus. Die Stadt leistet Aufklärungsarbeit und bietet Aussteigerprogramme an. Er beobachtet keine gute Entwicklung: „Es gibt einen großen Kreis von Personen in Göteborg, die sich radikalisiert haben.“

Auch die soziale Misere in Biskopsgarden ist nicht rasch zu beheben. Bei 17 Prozent liegt die Arbeitslosigkeit laut Statistik – inoffiziell bei 40 Prozent. Neue Schulen, neue Wohngebäude würden gebraucht, die Immobilienpreise stiegen.

Von der Unzufriedenheit profitieren die Schwedendemokraten. In Göteborg haben sie ihren Sitz in einem

Industrieviertel, nur ein kleiner Notizzettel an der Glastür verrät ihre Anwesenheit. „Nach den Wahlen ziehen wir ins Zentrum um und dann kommt dort ein großes Schild hin“, sagt Jörgen Fogelklou, Stadtparteichef, der als Gegenkonzepte zu den Verhältnissen in den Vororten folgendes nennt: die Kriminellen einsperren und mehr in die Ausbildung der Jugend investieren.

Und: Wer keine Asylberechtigung hat, gehört abgeschoben. Weniger konkret wird er, wenn es um die Regierungsverantwortung geht. Dazu fehle es noch an Erfahrung. Eine Rechtskoalition mit den Moderaten gilt jedenfalls als nicht ausgeschlossen.

Verluste für Traditionsparteien erwartet

Umfragen Schweden steht vor einer Umwälzung der politischen Landschaft: Die Sozialdemokraten von Premier Stefan Löfven müssen laut Umfragen mit einem Minus von vier bis acht Prozentpunkten rechnen. Die zweite große Traditionspartei, die konservativen Moderaten, müssen mit einem Verlust von drei bis sechs Punkten rechnen. Ein Plus von fünf bis zehn Punkten wird den Schwedendemokraten  prognostiziert, sie könnten sogar stärkste Partei werden. Linkspartei und Zentrumspartei wird ein Plus von je 4 bis 5 Punkten vorhergesagt.

Jens Mattern

Kommentare