Schulz nennt Grenzschließungen "katastrophal"

Martin Schulz gestikuliert während einer Rede vor einem blauen Hintergrund.
Der EU-Parlamentspräsident meint, dass Schengen zu Grabe getragen wird.

EU-Parlamentspräsident Martin Schulz hat nach dem Beschluss zu Flüchtlings-Obergrenzen in Österreich vor nationalen Abschottungsmaßnahmen gewarnt. "Mir scheint, dass viele, die nach einer Schließung der Grenzen rufen und damit Schengen zu Grabe tragen, nicht sehen können oder wollen, dass die Auswirkungen katastrophal wären", sagte Schulz der Passauer Neuen Press von Freitag.

Grenzkontrollen richteten "wirtschaftlich massiven Schaden" an und seien "eine Gefahr für Arbeitsplätze und Wachstum". Wenn die Lastwagen stundenlang an den innereuropäischen Grenzen warten müssten, "kommt so manche Produktion ins Schleudern oder zum Stillstand", sagte Schulz weiter. Zur Obergrenze äußerte sich Schulz jedoch nur vage. Zum KURIER meinte der Deutsche, dass Österreich diese Maßnahmen setzen müsse, weil "andere Länder nicht bereit und willig sind, ihren Beitrag zu leisten. Österreich und auch Deutschland haben das Problem, dass sie allein gelassen wurden"

Kosten auf einen Blick

Auf die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel wächst der Druck, angesichts des anhaltenden Flüchtlingszustroms auch die deutschen Grenzkontrollen zu verschärfen. Slowenien und Österreich wollen sogar Grenzschließungen. EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker und die Wirtschaft warnen vor den Folgen der Wiedereinführung von Grenzkontrollen im Schengen-Raum. Sie rechnen mit folgenden Kosten:

  • WAS DIE WIRTSCHAFT BEFÜRCHTET

Der Außenhandelsverband BGA rechnet mit Milliardenschäden, sollte es zu permanenten Grenzkontrollen in Europa kommen. Allein die internationalen Straßentransporte könnten sich um rund 3 Mrd. Euro im Jahr verteuern. Der DIHK hält es für möglich, dass sich durch Staus, Wartezeiten, Bürokratie und Umstellungen bei der Lagerhaltung schnell Zusatzlasten für die Wirtschaft von 10 Mrd. Euro im Jahr ergeben könnten. Betroffen wäre vor allem der Landverkehr von Waren zwischen Deutschland und seinen Partnerländern in Europa, also über die Straße. Hierauf entfallen nach Zahlen aus der Wirtschaft rund 80 Prozent des Handelsvolumens von Deutschland mit anderen EU-Ländern, das 2014 bei 1,2 Bill. Euro lag.

  • TRANSPORTWESEN

Laut Studie der EU-Kommission gibt es pro Jahr 57 Millionen grenzüberschreitende Straßentransporte in der EU. Die Behörde nimmt an, dass zusätzliche Kosten von 3 Mrd. Euro entstehen würden, wenn bei diesen Fahrten jeweils eine Stunde zusätzlicher Wartezeit in Kauf genommen werde müsste.

Die deutsch-österreichische Grenze passieren demnach pro Jahr rund 740.000 Lkw mit über zwölf Tonnen. Bei einer zusätzlichen Wartezeit von ein bis zwei Stunden kämen auf die Spediteure Kosten von 18,5 Mio. Euro pro Jahr zu.

Die Brüsseler Behörde weist zudem auf die zusätzlichen Belastungen für Unternehmen hin, weil sie zu höheren Lagerbeständen gezwungen seien oder auf nationale Zulieferer umstellen müssten, um Verzögerungen infolge der Grenzkontrollen zu vermeiden.

  • PENDLER

Die EU-Kommission beruft sich auf eine Studie des dänischen Forschungsinstituts Cepos, wonach die Öresund-Brücke zwischen Dänemark und Schweden täglich von 100.000 Pendlern genutzt wird. Demnach verlängert sich die Fahrzeit wegen der Passkontrollen um 20 Minuten, wodurch allein an dieser Brücke ein volkswirtschaftlicher Schaden von 300 Mio. Euro pro Jahr entsteht. Die Kosten durch Grenzkontrollen zwischen Deutschland und Dänemark beziffert Cepos laut EU-Kommission auf 90 Mio. Euro pro Jahr.

Die Kommission weist auf eine Erhebung des Forschungsinstituts Bruegel hin, wonach der Anteil der Pendler an der Gesamtbevölkerung in der Slowakei mit 5,7 Prozent, in Estland mit 3,5 Prozent und in Ungarn mit 2,4 Prozent besonders hoch sei. Die slowakische und ungarische Regierung gelten als scharfe Kritiker der Flüchtlingspolitik von EU-Kommission und deutscher Bundesregierung.

  • STIMMUNGSKILLER

Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) bezeichnet Grenzschließungen als Gift für die Konjunktur. Sie erhöhten die Unsicherheit noch, die angesichts der Turbulenzen an den Öl- und Finanzmärkten ohnehin schon sehr groß sei. Das könnte die Investitionen deutscher Unternehmen bremsen, die wegen der ungewissen Aussichten auf wichtigen Absatzmärkten wie China ohnehin vorsichtig planten.

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