Ultimatum
Die Frage, wie einflussreich Prigoschin tatsächlich ist, treibt Experten seit Langem um. Bislang wurde er sowohl von Kommentatoren als auch Putins Eliten belächelt, war kein Teil des engsten Zirkels. Seine Macht bezog er nur aus dem direkten Kontakt zum Präsidenten, dessen Drecksarbeit er stets übernahm – seine Trollfabriken beeinflussten etwa Trumps Wahl 2016.
Jetzt, da er von Putins Hilfsarbeiter zum Nachwuchspopulisten aufgestiegen ist und seine neue Stellung mit immer härteren Attacken auf die Armeeführung auskostet, macht das vor allem Putins Eliten Sorgen. Nachdem er vor Kurzem einen russischen Kommandeur kidnappen und auf Video demütigen ließ, weil der auf Wagner-Leute geschossen hatte, antwortete Verteidigungsminister Sergej Schoigu mit einem Ultimatum: Er verfügte, dass alle Privatarmeen in der Ukraine – mit Wagner sind es etwa 40 – sich per Vertrag an den russischen Staat binden müssen. Die Botschaft lautete: Füge dich – oder du musst raus aus der Ukraine. Prigoschin wies das – freilich mit viel unflätigem Vokabular – zurück.
Teile und herrsche
All das passt gut zu dem Prinzip „teile und herrsche“, nach dem Putin schon seit jeher regiert: Er ließ seine Eliten stets gegeneinander kämpfen, um selbst in einer unantastbaren Rolle zu bleiben. Jetzt allerdings scheint sich das Ganze verselbstständigt zu haben, sagen Beobachter: „Jeder fängt an, für sich selbst zu arbeiten“, analysiert der Politologe Abbas Galljamow, der Putin bis 2010 als Redenschreiber diente und heute im israelischen Exil lebt. „Es wird für Putin immer schwieriger, seine Rolle als Moderator zwischen den verfeindeten Eliten zu erfüllen.“
Gut sichtbar war das am Mittwoch, als Putin bei einem seiner raren TV-Auftritte in einer Menschenmenge zu sehen war. Er stellte sich den Fragen sogenannter „Wojenkory“, also dem Kreml genehmer Journalisten und Blogger, die von der Front berichten dürfen. Als er dort nach Prigoschins Weigerung gefragt wurde, sich dem Staat zu unterwerfen, blieb er abgehoben-vage: Putin stellte sich zwar an die Seite Schoigus, der als einer der loyalsten Putinisten überhaupt gilt. Aufforderung an Prigoschin sprach er aber keine aus, sondern nur eine höfliche Empfehlung: „Das sollte passieren“, sagte er lapidar, nur um danach auch noch "ineffektive" Generäle zu geißeln.
"Unfähig, den Konflikt zu lösen"
Das ist mehr als untypisch für den Kremlherrscher, der sonst gern den starken Mann markiert. Für Galljamow ist Putin mittlerweile „unfähig, den Konflikt zu lösen“, was andere in der Elite zu ähnlich eigennützigem Verhalten animieren könnte. „Das System beginnt zu zerfallen“, prognostiziert Galljamow.
Prigoschin selbst, der seit Kurzem massiv aufgeholt hat und in Beliebtheitsrankings Ex-Premier Dmitrij Medwedew hinter sich gelassen hat, gibt sich über seine Ambitionen mehr als kryptisch. Jenen, die munkeln, er wolle mit seinen Männern die Macht in Russland an sich reißen, ließ er jetzt ausrichten: „Der Marsch auf Moskau? Ein interessanter Gedanke – den ich noch nicht angedacht habe.“
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