Russland: Chemiewaffen-Inspekteure an angeblichem Angriffsort

Die gebeutelte Stadt Douma rund 20 Kilometer von Damaskus.
Moskau lässt nach Vorwürfen des Westens die Muskeln spielen: Man erwarte in Syrien eine "maximal unvoreingenommene Untersuchung".

Nach tagelangen Verzögerungen haben Chemiewaffenexperten erste Proben in der syrischen Stadt Douma genommen. Die Untersuchungsmission habe "einen der Orte in Douma aufgesucht, um Proben für die Analyse im Zusammenhang mit den Vorwürfen eines Einsatzes von Chemiewaffen am 7. April" zu sammeln, teilte die Organisation für das Verbot von Chemiewaffen (OPCW) am Samstag in Den Haag mit.

Die Proben würden in das OPCW-Labor in Holland und dann zur Analyse in ausgewählte Labore gebracht werden. Nach einer Bewertung der Lage vor Ort werde über einen weiteren Besuch in Douma entschieden. Experten zufolge kann die Analyse der Proben zwei bis drei Wochen dauern.

Moskau, ein wichtiger Verbündeter des syrischen Machthabers Bashar al-Assad, hatte zuvor mitgeteilt, eigene Proben in Douma hätten keine Hinweise auf den Einsatz von Chemiewaffen gezeigt. Russland erwarte eine "maximal unvoreingenommene Untersuchung" der Ereignisse in Douma, sagte Außenamtssprecherin Maria Sacharowa in Moskau. Auch die syrische Regierung dementierte wiederholt den Einsatz chemischer Waffen.

Tagelanges Warten in Damaskus

Die OPCW-Experten waren bereits am vergangenen Wochenende in Syrien eingetroffen - wenige Stunden nach den Raketenangriffen der USA, Frankreichs und Großbritanniens auf Einrichtungen der syrischen Chemiewaffenproduktion. Sie verbrachten jedoch die ganze Woche in der Hauptstadt Damaskus.

Syrien und Russland erteilten zunächst unter Verweis auf Sicherheitsbedenken keine Genehmigung zur Reise nach Douma, organisierten allerdings zugleich Pressefahrten dorthin. Am Dienstag wurde ein Voraus-Team der UNO in Douma beschossen, als es die Sicherheitsbedingungen für den Einsatz der Waffeninspekteure prüfen wollte.

Diplomaten: Beweise wohl beseitigt

Westliche Diplomaten gehen davon aus, dass inzwischen alle Beweise am Ort des Angriffs beseitigt wurden, so dass die OPCW-Mission nur schwerlich gesicherte Erkenntnisse bringen werde.

Nach Einschätzung von Experten könnten die OPCW-Inspektoren jedoch immer noch deutliche Spuren in Kleidern, an Wänden, Felsen und im Boden finden, wenn tatsächlich giftige Chemikalien eingesetzt wurden, auch wenn ihre Wirksamkeit mit der Zeit nachlässt.

"Nervengase wie Sarin können sich nach der Verwendung in der Umgebung für viele Wochen halten", sagte Alastair Hay, Professor für Umweltgifte, von der Universität Leeds. Entscheidende Hinweise könnten auch im Blut, Urin und in Organen von Opfern gefunden werden.

Douma war am 7. April Schauplatz eines mutmaßlichen Giftgasangriffs, für den der Westen die syrische Staatsführung verantwortlich macht. Bei dem Angriff wurden nach Angaben örtlicher Helfer mindestens 40 Menschen getötet. Kurz darauf willigten die Rebellen in einen Abzug aus der Stadt ein.

UNO berät in Schweden

Unterdessen verlegte der UN-Sicherheitsrat seine Beratungen über den festgefahrenen Syrien-Konflikt am Wochenende nach Schweden. UN-Generalsekretär Antonio Guterres sagte bei seiner Ankunft im südschwedischen Backakra, das Gremium sei beim Thema Syrien immer noch tief gespalten.

"Wir müssen wirklich eine Lösung hinsichtlich der Verletzung internationalen Rechts finden, um die es sich beim Einsatz von Chemiewaffen handelt", sagte Guterres. Die US-Botschafterin bei der UNO, Nikki Haley, bedauerte die "Sackgasse", in der sich der Sicherheitsrat beim Thema Syrien befinde.

Rebellen verlassen weitere Orte nahe Damaskus

Im Nordosten der syrischen Hauptstadt Damaskus haben unterdessen tausende Aufständische am Samstag drei Ortschaften geräumt. Die Rebellen und ihre Angehörigen wurden mit Bussen aus den Orten Ruhaiba, Nassiriya und Jairoud in der Region Ost-Qalamoun in den Norden des Landes gebracht, wie die staatliche Nachrichtenagentur SANA meldete.

Die Evakuierung erfolgte demnach auf Grundlage eines Abkommens zwischen den Rebellen und der Regierung. Dieses sehe vor, dass die Aufständischen vor ihrer Abreise ihre schweren und mittelschweren Waffen sowie ihre Munitionsdepots übergeben.

Das Staatsfernsehen zeigte Bilder von Bussen und berichtete, von dem Abkommen seien 3200 sogenannte "Terroristen" und ihre Familien betroffen. Ruhaiba liegt rund 60 Kilometer nordöstlich von Damaskus, die beiden anderen Ortschaften liegen mehrere Kilometer weiter nördlich.

Assad-Truppen erobern Gebiete zurück

Im Großraum Damaskus erzielte die syrische Regierung unter Führung von Bashar al-Assad mit der Unterstützung Russlands zuletzt vermehrt Evakuierungsabkommen mit Rebellen. Zugleich drängen Regierungstruppen die Aufständischen immer weiter zurück. Am 14. April verkündete die syrische Armee die vollständige Rückeroberung der ehemaligen Rebellenenklave Ost-Ghouta nahe Damaskus.

Zugleich bombardieren Regierungstruppen seit mehreren Tagen die letzten Bastionen der Dschihadistenmiliz Islamischer Staat (IS) im Süden der Hauptstadt, wie das Palästinenserlager Yarmouk und das Viertel Hajar al-Aswad. Nach Angaben der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte verstärkten die Regierungstruppen den Druck auf die IS-Miliz, nachdem Verhandlungen über eine Evakuierung ihrer Kämpfer scheiterten.

Journalist bezweifelt Einsatz von Giftgas

Ein Reporter der britischen Zeitung Independent stellt nach einer Besichtigung vor Ort und Zeugenbefragungen westliche Behauptungen infrage, wonach es in der ehemaligen islamistischen Rebellenhochburg Douma in Syrien einen Giftgasangriff gegeben habe. Der langjährige Nahost-Kenner Robert Fisk fand nach eigenen Angaben keine Belege dafür.

Vielmehr scheine es sich bei den Opfern um Menschen gehandelt zu haben, die durch den im Zuge der Kämpfe und Bombardements aufgewirbelten intensiven Staub an Luftknappheit litten. Das vor allem im Westen verbreitete Video, das zeigen soll, wie Menschen durch Abspritzen mit Wasser von angeblichem Giftgas gereinigt wurden, sei zwar echt. Doch seien die Opfer womöglich nicht von Chlorgas oder Sarin gereinigt worden, sondern von Staub, schrieb Fisk im Independent:

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