Eine Hauptstadt im freien Verfall
„Roma kaputt“ – titelt das Wochenmagazin L´Espresso und geht mit Bürgermeister Gianni Alemanno hart ins Gericht. Kritisiert werden die explodierende Arbeitslosigkeit, Verkehrsprobleme, urbaner Verfall sowie Vetternwirtschaft und Korruption. Nun kämpft der 55-jährige Rechtspolitiker nach fünfjähriger Amtszeit erneut um seine Wiederwahl. Am Sonntag und Montag sind die Bewohner der Drei-Millionen-Hauptstadt zum Urnengang aufgerufen. Sein großes Wahlversprechen, die Zusammenarbeit mit der umstrittenen Steuereinzugsgesellschaft Equitalia zu beenden, könnte Alemanno viele Stimmen bringen. Als sein stärkster Herausforderer gilt der Arzt Ignazio Marino, der für die Demokratische Partei (PD) kandidiert und sich eine „transparente, funktionierende und offene“ Stadt wünscht. Chancen werden auch Alfio Marchini, Baulöwe und Nachkomme einer kommunistischen Familie, eingeräumt.
„Alemannos Ära begann mit der breit angelegten Räumung der Roma-Lager am Stadtrand und mit exzessiven Sicherheitskampagnen“, resümiert Monica Pasquino. Laut der Sozialarbeiterin hat sich das Leben in Rom unter dem “Sheriff-Bürgermeister“ verschlechtert. Doch man habe dank Zivilcourage und privater Aktionen wie Italienischkurse für Ausländer, private Kindergruppen und Unterkünfte für Obdachlose versucht, dem „Zynismus der Stadtregierung“ standzuhalten. „Wenn man Alemannos Wahlslogans liest, glaubt man Rom sei Zürich“, scherzt ein ehemaliger Alemanno-Anhänger. „Ein Million Euro für Start-Ups“ prangt auf einem Wahlplakat. Kritiker fragen sich, wo diese Gelder hinflossen. Im Vergleich zu Mailand zählt Rom doppelt so viele Arbeitslose - Tendenz steigend. Drastische Einsparungen treffen besonders den Kulturbereich, etwa das beliebte Sommerfestival „Estate Romana“. Open-Air-Kinos schließen ihre Tore. „Dabei sind gerade diese Sommer-Initiativen wichtig, da es sich viele nicht mehr leisten können auf Urlaub zu fahren“, so eine besorgte Stadtbewohnerin zum KURIER. Aufgrund der anhaltenden Krise sind laut aktueller Istat-Studie 15 Millionen Italiener akut von Armut bedroht. Wer in Rom auf öffentliche Verkehrsmittel angewiesen ist, hat es zunehmend schwerer. Der Verkehrsverbund Atac kämpft mit ein Schulden von zwei Milliarden Euro. „Die Busse fahren unregelmäßig, besonders abends und an Feiertagen muss man lange warten. Trotz schlechterem Service wurden die Fahrkartenpreise stark angehoben“, berichtet Marina C., die mittlerweile auf das Fahrrad umgestiegen ist. Rom war nie eine Fahrradstadt, doch krisenbedingt nützen immer mehr den Drahtesel.
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