Proteste und Angst vor Radikalisierung in Idomeni

Ein Mann steht vor einer Reihe von Polizisten mit Schutzschilden.
Immer wieder kursieren absichtlich verbreitete Falschinformationen.

In Idomeni, dem Niemandsland zwischen Griechenland und Mazedonien, waren die Nerven auch am Montag zum Zerreißen gespannt. Am Wochenende war die mazedonische Polizei mit Tränengas und Gummikugeln gegen Flüchtlinge vorgegangen, die versucht hatten, die Grenze zu stürmen. Nun nahmen die Spannungen wieder zu: Erneut hätten sich zahlreiche Migranten zum Protest versammelt, so die Hilfsorganisation "Ärzte ohne Grenzen" (MSF), die sich als einzige internationale NGO am Sonntag nicht aus dem improvisierten Lager zurückgezogen hatte. Nach eigenen Angaben behandelte MSF 300 Verletzte, davon 200 durch Tränengas und 30 durch Gummigeschoße Verwundete. Darunter seien auch "30 Kinder im Alter zwischen fünf und 15 Jahre" gewesen sowie "drei Kinder mit Kopfverletzungen durch Gummigeschoße", teile die Organisation am Montag in einer Aussendung mit.

Unter den Flüchtlingen, die seit mehr als einem Monat in Idomeni festsitzen, breite sich Frustration und ein wachsendes Gefühl der Wut aus. "Was wir erleben ist die zwangsläufige Folge davon, dass tausende Menschen in Griechenland festsitzen. Einem Land, das nicht in der Lage ist, die humanitäre Versorgung jener sicherzustellen, die Schutz in Europa suchen“, sagte Jose Hulsenbek, die Einsatzleitzerin von Ärzte ohne Grenzen in Griechenland. „Es muss würdevoll mit den Menschen umgegangen werden, statt Gewalt gegen sie einzusetzen oder sie mit unvorhersehbaren Grenzschließungen zu konfrontieren. Diese absurde humanitäre Krise, die von der Politik europäischer Staaten hervorgerufen wurde, wird jeden Tag untragbarer."

"Die Dschihadisten von morgen"

Die griechische Regierung selbst fürchtet die weitere Zuspitzung der Lage: Der Minister für Bürgerschutz, Nikos Toskas, warnte am Montag vor einer Radikalisierung wütender Migranten. Der Umgang der Behörden mit den Protestierenden müsse gut überlegt sein. "Was Sie heute sehen, sind die Dschihadisten von morgen", sagte Toskas am Montag dem griechischen Nachrichtensender Skai. Damit meinte er, dass islamische Extremisten unter den verzweifelten Menschen Mitkämpfer rekrutieren könnten.

Nach Angaben des Roten Kreuzes würden unter den Flüchtlingen immer wieder kleine Gruppen bewusst Falschinformationen verbreiten. So soll es auch am Sonntag gewesen sein. Die Menschen seien durch Lautsprecherdurchsagen auf Arabisch angetrieben worden, meinte der Rotkreuz-Sanitäter Gottfried Staufer im APA-Gespräch. Sonntagfrüh sei die Stimmung im improvisierten Flüchtlingslager neben dem Grenzübergang "eigenartig ruhig" gewesen, schildert der Oberösterreicher. "Um neun, halb zehn sind dann die ersten Meldungen eingetroffen, dass die Grenze aufgeht." Das sei an und für sich nichts Außergewöhnliches und passiere "jeden zweiten Tag", so Staufer. Kleine Gruppen von "Aktivisten" würden absichtlich Falschinformationen verbreiten um "Unruhe zu erzeugen und die Aufmerksamkeit der Medien nicht zu verlieren". Dann hätte er jedoch "zum ersten Mal" in den zwei Wochen, die er bereits in dem Lager mit mehr als 11.000 Migranten verbringt, Lautsprecherdurchsagen auf Arabisch gehört, die vermeldete hätten, die Grenze zu Mazedonien sei offen, erzählt Staufer. "Da haben sich die Massen dann bewegt und ein paar Hundert Menschen, wenn nicht sogar Tausend, sind in Richtung Grenze gestürmt. Der Lautsprecher hat die Menschen angetrieben." Die Ursache für die Eskalation sieht der Rotkreuz-Helfer aber auch in einer verfehlten Informationspolitik von offizieller Seite: "Es gibt sehr, sehr wenig Information und daher klammern sich die Menschen an alle möglichen Infos, auch wenn sie falsch sind." Viele Migranten wüssten nicht einmal was Asyl ist und hätten keine Ahnung, an wen sie sich wenden könnten.

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