Präsidentschaftswahl: Schicksalsstunden für Italien

aus Mailand Andrea Affaticati
Morgen Montag um 15 Uhr beginnt die Wahl eines Nachfolgers für den seit sieben Jahren amtierenden italienischen Präsidenten Sergio Mattarella. Die Fronten zwischen Mitte-Rechts- und Mitte-Links-Lager sind aber so verhärtet, dass niemand sagen kann, wie viele Wahldurchgänge es geben wird – und ob danach die jetzige Regierung überhaupt noch steht. Ein Szenario, das auch auf internationaler Ebene Sorgen bereitet – angefangen bei der EU, die Italien knapp 200 Milliarden Euro für den Wiederaufbau zur Verfügung gestellt hat.
Noch im Dezember feierte die britische Wochenzeitung The Economist Italien als "das Land des Jahres", dem unter der Führung von Premier Mario Draghi 2021 mit einem Wirtschaftswachstum von über sechs Prozent ein erstaunlicher Aufschwung gelungen sei. Doch das politische Chaos, in dem die Parteien stecken, könnte das zunichtemachen.
Das Staatsoberhaupt wird von 1.009 Stimmberechtigten gewählt, neben Senatoren und Abgeordneten zählen dazu auch 58 Vertreter der Regionen. Bei den ersten drei Durchgängen sind 672 Stimmen nötig, ab dem vierten 505. Die Wahl kann mehrere Tage dauern.
Um Infektionen zu vermeiden, werden die Wähler in alphabetischen Gruppen aufgerufen. Außerdem soll es nur einen Wahldurchgang pro Tag geben. Für die Stimmenabgabe dürfen Infizierte sogar die Quarantäne unterbrechen und mit dem eigenen Auto oder im Rettungswagen im Hof des Abgeordnetenhaus Montecitorio in Rom ihre Stimme abgeben.
So steigen seit ein paar Tagen wieder die Risikoauflagen für Italiens Staatsanleihen im Vergleich zu den deutschen. Zwar liegen sie im Moment "nur" bei 140 – verglichen mit November 2011, als sie die Quote 552 erreichte und Silvio Berlusconi das Amt des Regierungschefs abgeben musste, ist das zwar nichts. Trotzdem ist es ein beunruhigender Indikator für Italien, das in der Rangliste der weltweit am höchsten verschuldeten Staaten auf Platz drei liegt.
Absage mit Bedingungen
Wie damals war es auch diesmal der 85-jährige Berlusconi, der Italien wochenlang nach seiner Pfeife tanzen ließ.

Im letzten Moment verzichtete Berlusconi auf eine Kandidatur.
Seit Tagen wusste Berlusconi, dass er nicht einmal über die ab dem vierten Wahldurchgang erforderliche absolute Mehrheit verfügen würde. Nichtsdestotrotz hat er erst Samstagabend (aus dem Krankenhaus aus, wo er sich seit Donnerstag zwecks Routineuntersuchung befindet) wissen lassen, "zum Wohle des Landes" als Kandidat nicht zur Verfügung zu stehen – und gleichzeitig Bedingungen gestellt: Premier Draghi müsse bis Ende der Legislaturperiode im Frühling 2023 an seinem Platz bleiben, es dürfe keine Regierungsumbildung geben.
Das erste Diktat ist an Giorgia Meloni, die Chefin der rechten Partei Fratelli d’Italia gerichtet, die im Fall von Draghi als Staatsoberhaupt auf vorgezogene Wahlen drängt, das zweite an den nationalpopulistischen Lega-Chef Matteo Salvini, der eine Regierungsumbildung, mit den Parteichefs in Regierungsverantwortung, herbeisehnt. Sollte dem nicht so sein, werde er seine Partei aus der Regierungskoalition führen, hatte er schon vor einiger Zeit wissen lassen.
Alles offen
Alles dreht sich also um Mario Draghi. Und die politischen Beobachter setzen noch immer auf ihn. Ob und wann er sich der Wahl stellen wird, kann man aber nicht sagen. Zum Einen, weil sich auch das Mitte-Links-Lager über seine Kandidatur nicht einig ist: Die Demokratische Partei ist dafür, die Fünf-Sterne-Bewegung, zum Teil zumindest, dagegen. Zum Anderen stellt sich die Frage, wer Draghis Posten an der Spitze der Regierung einnehmen wird.

Es geht um weitaus mehr als das neue Staatsoberhaupt: Was geschieht mit der Regierung, wenn Premier Mario Draghi ins Präsidentenamt rückt?
Auch Marzio Breda, Berichterstatter aus dem Präsidentenpalast für die Tageszeitung Corriere della Sera, setzt weiter auf Draghi als Staatsoberhaupt. Was die Neubesetzung des Premierposten betrifft, "sind Verhandlungen schon im Gang", sagt er im Gespräch mit dem KURIER. Drei mögliche Nachfolger gäbe es auch: Finanzminister Daniele Franco, Justizministerin Marta Cartabia und der Minister für die digitale Wende, Vittorio Colao.
Wer morgen als erster Kandidat antreten wird, war zu Redaktionsschluss noch nicht bekannt. Die ersten drei Wahldurchgänge werden die Parteien höchstwahrscheinlich nutzen, um eine einvernehmliche Lösung über Draghis Nachfolger als Premier und die zukünftige Aufstellung der Regierung zu finden.
Oder es kommt ganz anders: Weitere Kandidaten gäbe es, die halten sich aber im Moment bedeckt. Wer zu schnell hervortritt, ist schon aus dem Rennen.
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