Polen: Viele Versprechen und Belehrungen für die Wähler

Nach einem harten Wahlkampf wird für die Wahl am Sonntag ein klarer Rechtsruck erwartet.

Thorn im Norden Polens, mittelalterliche Kirchen und Burgen aus Backstein – ein freundlicher älterer Herr verteilt auf dem Marktplatz Flugblätter. "In unserer Partei gibt es sehr viele ehrliche Leute, die Polen braucht", erklärt Ryszard Borowski, Gemeindechef in einem nahen Dorf. Er gehört zur Oppositionspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS). Und die ist vor der Parlamentswahl am Sonntag im Rausch der Vorfreude.

Borowski versucht zu beruhigen: Nein, Parteichef Jaroslaw Kaczynski werde aus Polen kein zweites Ungarn machen, kein autoritäres Regime errichten – "dann wird er wieder abgewählt".

Thorn war Feste der regierenden konservativ-liberalen Bürgerplattform PO. Doch das scheint vorbei. Korruptionsaffären und soziale Ungerechtigkeiten haben einen Vertrauensverlust bewirkt.

Gleich wird Kaczynski im Artushof am Marktplatz reden. Zwar ist Beata Szydlo PiS-Spitzenkandidatin, doch seit Umfragen stabil zehn Prozentpunkte Vorsprung vor der PO zeigen, tourt vor allem der 66-jährige PiS-Chef durchs Land. Die PiS, das sei alleine Kaczynski, so Kritiker. Er werde Szydlo bald im Amt beerben.

"PiS?", so ein Mann im blauen Wollmantel, der ein Flugblatt zurückweist. "Diese mittelalterliche Formation, die Abtreibung verbieten will?" Andrzej, so der Anwalt, hat immer PO gewählt, ist diesmal aber unsicher. Die PO habe sich vom Wähler isoliert. Er sei nie ein Linker gewesen, sagt der Mittfünfziger, doch nun wähle er vielleicht die Partei "Zusammen" – "die sind engagiert, die legen sich ins Zeug". Die Vertreter der neuen Linkspartei sind auch mit Flugblättern und lila Zelt auf dem Marktplatz. Von der PO ist nur ein Poster zu sehen.

Der Konzertraum im Artushof ist zum Bersten voll – vor allem mit Männern älteren Semesters. Hinter der Bühne laufen Wahlspots: Regierungschefin Kopacz bei Versprechern und in ungünstigen Posen; dazu Bilder von Flüchtlingsströmen. Kopacz würde unkontrolliert Asylsuchende hereinlassen, so die Botschaft. Dabei hat sich Warschau bereit erklärt, lediglich 7000 aufzunehmen.

Absolute Mehrheit

Unter lautem Applaus tritt Kaczynski ans Rednerpult. Der Parteichef hat nicht viel Zeit. "Setzt euch, setzt euch" unterbricht er den Jubel. "Wir sind bereit für die Wende zum Guten!", sagt er. Dazu brauche es eine absolute Mehrheit. Einen PO-Sieg zieht er gar nicht in Betracht.

Die Einführung von 500 Zloty (125 Euro) Kindergeld sei nur der Anfang. Es müsse in Wohnbau und ins Gesundheitssystem investiert werden. Es brauche Anreize für Polinnen, mehr Kinder zu bekommen. Finanziert werden soll dies durch Steuern auf ausländische Unternehmen und Banken.

Dann wird sein Ton plötzlich scharf, er zeigt in die vorderen Reihen – "ich sehe im Saal eine Person, die hier nicht sein darf". "Die Person" ist ein Sejm-Abgeordneter, der wegen seines Privatlebens bei Kaczynski in Ungnade gefallen war. Es folgt eine moralische Belehrung. Dann ist Schluss. Kaczynski hat einen Termin bei einem nationalkatholischen TV-Sender.

Gut gelaunt strömen die Zuhörer in den Abend. "Polens Wirtschaft muss gestützt werden, dann hört auch die Migration ins Ausland auf." So die Antwort vieler junger PiS-Anhänger auf die Frage nach ihren Hoffnungen. Abwanderung trifft auch die Uni-Stadt Thorn. Viele Absolventen finden keinen Job. Ein Problem, das das Land seit dem EU-Beitritt 2004 beschäftigt – auch unter der PiS-Regierung 2005 bis 2007. Fast die Hälfte aller Studenten plant derzeit, das Land zu verlassen.

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