Opposition droht mit Belagerungszustand

Die Opposition droht mit der Belagerung der Kanzlei der Regierungschefin
Weil Polens Regierungschefin ein Höchtsgerichtsurteil ignoriert, verschärfen ihre Gegner die Gangart.

Ungewöhnlicher Protest in Warschau: Weil die polnische Ministerpräsidentin Beata Szydlo ein Urteil des polnischen Verfassungsgerichts weder anerkennen noch veröffentlichen will, projizierten Mitglieder der Linkspartei "Razem" (Zusammen) in der Nacht auf Donnerstag den Richterspruch an das Kanzlei-Gebäude der Regierungschefin. Das Höchstgericht hatte am Mittwoch die wichtigsten Gesetzesänderungen der Regierungspartei "Recht und Gerechtigkeit" (PiS) als "verfassungswidrig" abgelehnt .

Geplant waren unter anderem folgende Neuerungen: Verfahren sollten nicht mehr sofort beginnen, sondern erst nach einer Wartezeit von sechs Monaten. Zudem sollten sie in der Reihenfolge des Eingangs bearbeitet werden. Somit hätten wichtige Prozesse jahrelang auf der Wartebank verharren können.

Die seit November regierende PiS glaubt, dass das Gericht bei der nationalkonservativen Umformung der Gesellschaft stören könnte und sieht es in seiner jetzigen Form als zu sehr von der ehemaligen Regierungspartei "Bürgerplattform" (PO) dominiert.

Nun ist eine Pattsituation entstanden, die zu anarchischen Zuständen führen könnte. Dies befürchtet jedenfalls Marek Safjan, ein ehemaliger polnischer Verfassungsrichter und derzeit Richter am Europäischen Gerichtshof in Luxemburg in einem Interview mit der Zeitung Gazeta Wyborcza. Safjan hofft, dass sich die polnischen Gerichte an die Urteile des Verfassungsgerichts halten werden. Wenn nicht, dann könnte die Regierung im "Namen von Ruhe und Sicherheit bald alles tun".

In der EU wächst die Kritik

International steht die polnische Regierung unter Druck. Nach Angaben des Radiosenders RMF24 soll die "Venedig-Kommission", ein Gremium des Europarats, in ihre Einschätzung die Reaktion der Regierung auf das Urteil miteinbeziehen. Ihre offizielle Expertise zum Stand der Demokratie wird sie vermutlich Freitagabend oder am Samstag bekannt geben.Die EU-Kommission hat im Jänner ein Rechtsstaatlichkeitsverfahren wegen der Eingriffe in die Gewaltenteilung und die öffentlich-rechtlichen Medien eröffnet. Die Einschätzung der Venedig-Gruppe gilt als wichtige Entscheidungshilfe für die EU-Kommission, welche Sanktionen vorschlagen kann.

Der Belgier Guy Verhofstadt, Vorsitzender der liberalen Fraktion im EU-Parlament, hat Szydlo bereits in recht barschem Ton aufgefordert, das Urteil sofort zu veröffentlichen und umzusetzen. Doch Druck erwidert man in Polen gern mit Trotz. Polens Außenminister Witold Waszczykowski hat bereits angekündigt, dass er die Venedig-Kommission als politisch beeinflusst ablehnt.

Auch auf der Straße spielt sich die Auseinandersetzung ab. Jacek Parol von der Protest-Organisation "Komitee zu Verteidigung der Demokratie" will "die Unabhängigkeit des Gerichts" verteidigen, sagte er dem KURIER. Sollte die Regierung innerhalb der vorgeschriebenen sieben Tage das Urteil nicht veröffentlichen, soll es umfassende Proteste und eine Belagerung der Kanzlei geben, das Wort "Majdan" macht bereits die Runde. Schon am Samstag wird in Warschau demonstriert.

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