Behörden-Dschungel

Blick auf den Zuckerhut in Rio de Janeiro mit vielen Booten in der Guanabara-Bucht.

Teil 2: Wirtschaft. Heimische Unternehmen machen gute Geschäfte, beklagen aber die überbordende Bürokratie.

Auf der rasanten Bergfahrt zur Mittelstation entfaltet sich Stück für Stück das atemberaubende Panorama der brasilianischen Küstenstadt Rio de Janeiro mit der imposanten Christus-Statue im Hintergrund. Nach einer weiteren Seilbahn-Etappe ist man schließlich auf dem Zuckerhut. Was kaum einer der 1,5 Millionen Besucher, die jährlich dieses Wahrzeichen der Millionen-Metropole frequentieren, weiß: Die Gäste aus aller Welt werden mit einem Produkt "Made in Austria" auf die Spitze des "Pão de Açucar" gebracht. 2007 lieferte die Firma Doppelmayr die insgesamt vier Kabinen.

Dilma Rousseff bei der Ankunft an einer Seilbahnstation.
Präsidentin Rousseff bei der Seilbahneröffnung im Complexo do Alemão.

Vertreten wird das Unternehmen Doppelmayr in Brasilien durch Rafael Fernandes, der schon mehrmals in Österreich war. "Wir konnten noch ein zweites Projekt in Rio an Land ziehen", sagt der junge Mann stolz. Über eine Favela wurde eine Seilbahn gespannt. Einerseits als Verkehrsmittel für die Bewohner der Armensiedlung, andererseits, um die chronisch verstopften Straßen zu entlasten. Schönheitsfehler: Obwohl die Konstruktion vor acht Monaten übergeben werde konnte, ist sie nicht in Betrieb. Über die Gründe wird spekuliert: Mangelnder politischer Wille, Korruption, Bürokratie.

Gerade über Letzteres lamentieren im Land des Fußballs, Sambas und Karnevals sämtliche Repräsentanten ausländischer Firmen. "Es ist alles so kompliziert, dass sich keiner auskennt. Die Folge: Es dauert hier alles nicht 10 Mal so lange, sondern 100 Mal so lange", sagt Georg Perchtold. Der Manager ist für das österreichische Unternehmen AGRU tätig, das Kunststoffrohre herstellt.

Alleine habe man fast keine Chance, sich durch den Behörden-Dschungel zu schlagen. Der einzige Ausweg sei es, einen "Despachante" zu engagieren. Diese würden die Tricks kennen und überallhin Kontakte haben.

"Ich wollte einmal selbst einen Container am Hafen klären. Drei Tage lang habe ich es vergeblich versucht. Schlussendlich habe ich mir einen Despachante genommen", so Perchtold.

Ein Mann mit Brille und Anzug lächelt in die Kamera.
Christoph Robertson, AußenwirtschaftsBüro Rio de Janeiro, Wirtschaftskammer Österreich

Auch der Chef der Außenstelle der Wirtschaftskammer Österreich (WKO) in Rio beklagt den überbordenden Bürokratismus und nennt ein Beispiel: "Jede Rechnung einer Firma muss zunächst zur Behörde geschickt werden, diese stellt die eigentliche Rechnung aus, die dann an den Kunden ergeht", erläutert Christoph Robertson. Hohe Arbeits- und Energiekosten, mangelhafte Infrastruktur sowie Korruption machten den Unternehmen das Leben zusätzlich schwer.

Und dennoch: In dem riesigen Markt (200 Millionen Einwohner) böten sich, so der WKO-Mann, weiterhin gute Geschäftsfelder. "Ich kann mich nicht beschweren", pflichtet Georg Perchtold bei, "wir haben von dem Boom des vergangenen Jahrzehnts durchaus profitiert und fahren immer noch zweistellige Zuwachsraten ein."

Der flotte ökonomische Samba hatte die Wirtschaft beflügelt – noch 2010 wurde ein Wachstum von 7,5 Prozent verbucht. 35 Millionen Brasilianer konnten die schlimmste Armut hinter sich lasen. Und überall im Land wurde investiert. Ein Beispiel: Sogar im tiefsten Hinterland des Bundesstaates Pernambuco lässt nun der Schokolade-Hersteller Mondelez produzieren.

Obwohl der frühere Glanz verblasst ist, setzen vor allem deutsche Autobauer auf den Hoffnungsmarkt . Audi ist längst hier, VW, BMW und Mercedes sind auf dem Sprung. Grund: Das Pkw-Hochpreis-Segment könnte bis 2020 um 170 % steigen.

Und wer weiß: Vielleicht geht die Party am Zuckerhut nach der aktuellen Pause bald schon für alle in die zweite Halbzeit.

Zwei Arbeiter mit Schutzhelmen stehen auf einer Metallkonstruktion.
Eine Industrie-Anlange in Pernambuco. Hier hat sich auch der Schokoladen-Gigant Mondelez niedergelassen.

Wenn der Ball rollt, hat der Geldhandel Pause. An sämtlichen Spieltagen der brasilianischen Nationalmannschaft ist der Primär- und Internetbankenhandel nur halbtags zwischen 9 und 13 Uhr möglich, verfügte die Zentralbank noch rechtzeitig vor Ankick der Weltmeisterschaft.

Keine Frage. König Fußball hält die siebtgrößte Wirtschaftsnation der Welt in Atem. Ob die Fußball-WM Brasiliens schwächelnde Wirtschaft beflügelt, wird eher bezweifelt. Das sportliche Happening bringe dem Gastgeberland bestenfalls eine gute Stimmung, heißt es in einer Analyse der Berenberg-Bank und des Hamburgischen Weltwirtschaftsinstituts (HWWI). Direkter Profiteur sei nur der Weltfußballverband FIFA, während Brasilien auf sogenannte weiche Faktoren hoffen müsse. Zumindest könne ein reibungsloser Ablauf potenzielle Investoren beeindrucken.

Wirtschaftlich gesehen ist Brasilien in keiner guten Verfassung. Das rohstoffreiche Land kämpft mit hoher Inflation, nach wie vor großen Verteilungsproblemen und schlechter staatlicher Infrastruktur. Die dringend erhofften Wachstumsimpulse durch die WM blieben aus.

Die Zentralbank senkte erst kürzlich ihre Prognose für das laufende Jahr und rechnet heuer nur noch mit einem Wirtschaftswachstum von zwei Prozent. Für ein Schwellenland wie Brasilien ist das zu wenig, vor allem angesichts der enormen staatlichen Investitionen, die das ohnehin angespannte Budget arg strapazieren. Die Regierung treibt zwar einige Energieprojekte voran, um die Stromversorgung auszubauen. Oft sind diese – wie das Belo-Monte-Staudammprojekt – aus Umweltschutzgründen aber umstritten.

Wirtschaftsforscher bemängeln, dass die Wirtschaftsleistung zu stark vom Rohstoff, vor allem Zucker, abhängig ist, während die Industrieproduktion nach wie vor international kaum wettbewerbsfähig ist. Dieser auf Zucker gebaute Wohlstand einiger weniger kommt nicht in der breiten Bevölkerungsschicht an. Soziale Unruhen sind die logische Folge.

Indigene demonstrieren gegen das Belo-Monte-Wasserkraftwerk in Brasilien.
Proteste der indigenen Bevölkerung gegen den Belo-Monte-Staudamm.
Eine Gruppe indigener Männer sitzt auf dem Boden, viele mit traditioneller Körperbemalung.
Munduruku Indianer im Sitzstreik: Der Damm im Amazonasbecken ist ein massiver Eingriff in ihre Rechte.
Luftaufnahme einer Baustelle an einem See mit mehreren Inseln.
Das Projekt soll den steigenden Strombedarf des Landes decken.

Zwei Beispiele:

Zwei Männer stehen vor einer großen, grauen Sattler-Tex-Halle.
Die textilen Segel der Dachbespannung für die Amazonas-Arena in Manaus (siehe unten) stammen von einer Tochter der Grazer Sattler AG.
Skifahrer passieren ein Drehkreuz an einem verschneiten Hang.
Das Zutrittssystem für das Maracanã-Stadion lieferte die Salzburger Skidata AG.
Das Innere eines Fußballstadions mit roten Sitzen und einem grünen Spielfeld.

BRAZIL SOCCER FIFA WORLD CUP 2014 STADIUMS
Im Inneren eines Stadions wird roter Boden mit Baumaschinen bearbeitet.

Workmen stand next to the pitch inside the Arena d
Blick in ein Fußballstadion mit FIFA-Banner unter dem Dach.

FILE BRAZIL SOCCER WORLD CUP
Luftaufnahme eines Fußballstadions mit weißem Dach.

An aerial view shows the Arena das Dunas stadium,
Eine Gruppe von Bauarbeitern beobachtet ein Fußballtraining in einem Stadion.

BRAZIL SOCCER FIFA WORLD CUP 2014
Ein Fußballspiel in einem vollbesetzten Stadion unter Flutlicht.

A general view of the Arena Fonte Nova during the
Ein Blick auf ein leeres Fußballstadion mit grüner Rasenfläche und roten Sitzen.

The pitch is seen inside the Estadio Beira-Rio sta
Blick in ein Fußballstadion mit offenem Dach und grüner Spielfläche.

FILE BRAZIL SOCCER WORLD CUP
Luftaufnahme einer im Bau befindlichen Sportarena mit mehreren Kränen.

General view of Arena Pantanal stadium in Cuiaba
Das Estádio Nacional Mané Garrincha in Brasília unter einem bewölkten Himmel.

BRAZIL WORLD CUP 2014

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