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USA

Obama verschiebt Einwanderungsreform

Aus taktischen Gründen will der US-Präsident erst die Kongresswahlen abwarten.

09/06/2014, 09:43 PM

US-Präsident Barack Obama will erst nach den Kongresswahlen im November über die umstrittene Reform des Einwanderungssystems entscheiden. Damit dürfte Obama besorgten Parteifreunden entgegengekommen sein, um die Wiederwahl von demokratischen Senatoren in konservativ geprägten Bundesstaaten nicht zu gefährden, sagte ein Vertreter des Weißen Hauses am Samstag in Washington.

Jedoch solle noch vor Jahresende eine Entscheidung fallen, wie das bisherige Einwanderungssystem überarbeitet werden solle, hieß es weiter. Die Verzögerungstaktik könnte den Demokraten aus einem weiteren Grund in die Karten spielen: Die Einwanderungsreform würde damit zum Thema in der Frühphase des Wahlkampfes für die Präsidentschaftswahl 2016 - und republikanische Kandidaten wären vermutlich gezwungen, aus Rücksicht auf ihre konservative Wählerklientel rigide Positionen zu beziehen, die wiederum Stimmen bei Latinos kosten könnten. Gerade diese Volksgruppe dürfte nach Ansicht vieler Experten entscheidend zum Ausgang der Präsidentschaftswahlen beitragen.

Elf Millionen Menschen

Schätzungen zufolge leben heute mehr als elf Millionen Migranten ohne gültige Papiere in den Vereinigten Staaten, der überwiegende Teil von ihnen stammt aus Lateinamerika. Seit Jahren ringen Politiker in Washington um eine Reform des Einwanderungsrechts, um diesen Menschen unter bestimmten Bedingungen einen legalen Aufenthaltsstatus zu ermöglichen. Es sind auch immer mehr Kinder und Jugendliche, die unbegleitet die Grenze überqueren (siehe unten).

Im Sommer 2013 scheiterte ein vom Senat verabschiedeter parteiübergreifender Entwurf am Widerstand des republikanisch dominierten Repräsentantenhauses. Angesichts der Blockade kündigte Obama an, seine Ideen in der Einwanderungspolitik mit Hilfe von präsidialen Dekreten durchzusetzen. Die Reichweite dieser Verordnungen ist allerdings begrenzt.

Zehntausende Flüchtlingskinder überfordern die USA

Mexiko zeigt sich besorgt über die Entsendung von 1000 US-Nationalgardisten an die Grenze nach Texas. Der Einwanderung Zehntausender unbegleiteter Kinder aus Mittelamerika müsse mit einer langfristigen regionalen Perspektive begegnet werden. Doch die US-Behörden sind völlig überfordert.

"Schickt eure Kinder nicht Richtung Grenze." Diesen Appell richtete US-Präsident Barack Obama via ABC an Eltern in Zentralamerika: "Wenn sie es schaffen, werden sie zurückgeschickt. Was aber noch wichtiger ist: Womöglich schaffen sie es nicht."

Hintergrund: Seit Oktober sind rund 57.000 Minderjährige überwiegend aus Guatemala, Honduras und El Salvador auf der Flucht vor Mord, Gewalt und Armut in Richtung US-Grenze gewandert. Und trotz Obamas mahnender Worte reißt der Strom an Kindern nicht ab: 90.000 werden laut Schätzungen bis Ende September in Texas landen, nächstes Jahr sollen es bis zu 145.000 sein. Zum Vergleich: 2011 landeten weniger als 4000 Kinder aus diesen Ländern in den Armen des US-Grenzschutzes.

Mike Rogers, Vorsitzender des Geheimdienstausschusses, hätte schon eine Lösung parat: "Wieso stecken wir sie nicht wie gewöhnlich in einen Bus und schicken sie zurück", fragte er Jeh Johnson kürzlich. Als Antwort verwies der Chef des Heimatschutz-Ministeriums auf ein Gesetz aus dem Jahr 2008, wonach diese Kinder an die örtlichen Stellen des Gesundheits- und Sozialministeriums zu übergeben sind, wo sie bis zu ihrer Asyl-Anhörung betreut werden.

Der texanische Gouverneur Rick Perry hat am Montag verkündet, 1000 Mann der Nationalgarde an die texanische Grenze zu schicken, um die rund 3000 Grenzbeamten vor Ort zu unterstützen.

3,7 Milliarden Dollar

Obama hat, um die humanitäre Krise in den Griff zu bekommen, den Kongress um 3,7 Milliarden Dollar gebeten: Geld für Unterkünfte, den Grenzschutz, mehr Anwälte. Doch John Boehner, Sprecher des Repräsentantenhauses, hat postwendend abgewunken: Er sei nicht bereit, Obama einen "Blanko-Scheck" auszustellen – schon gar nicht ohne Gegenleistung. Und spätestens hier beginnt die humanitäre Krise zum Politikum zu werden.

Die Republikaner fordern wenige Monate vor den Halbzeitwahlen im November strengere Einwanderungsgesetze und eine rasche Änderung des Gesetzes von 2008, sodass die aufgefassten Kinder schneller abgeschoben werden können. Und viele wollen nur dann Dollar lockermachen, wenn sie anderswo eingespart werden. Obama beschuldigen sie, mit seiner lockeren Einwanderungspolitik Immigranten Tür und Tor zu öffnen und so erst den Anstoß zur aktuellen Krise gegeben zu haben.

Die Zeit drängt

Obama seinerseits fragte die Republikaner, was ihnen wichtiger sei: Politgeplänkel oder eine Lösung für das Problem zu finden. Und er zeigte Kompromissbereitschaft: Ja, er könne sich eine Gesetzes-Änderung vorstellen, womit er Kritiker in den eigenen Reihen der Demokraten hervorruft. Aber erst müsse Geld fließen.

Und das muss es schnell. Denn Einwanderungsbehörden und Grenzschutz würden in wenigen Wochen kein Geld mehr haben, warnte Johnson; auch könne man bald keine Notbetten mehr anbieten, so Gesundheitsministerin Sylvia Mathews Burwell. Zudem geht der Kongress mit August auf Sommerpause, womit sich das Zeitfenster weiter schließt. Und dass bis dahin ein Ausweg gefunden wird, gilt als unwahrscheinlich. Ende letzter Woche meinte Boehner erst, er würde sich zwar eine Lösung wünschen, aber nicht daran glauben.

Dabei haben der republikanische texanische Senator John Cornyn und Demokrat Henry Cuellar zu Beginn voriger Woche einen Gesetzesentwurf präsentiert, der die Abwicklung der Asylverfahren binnen einer Woche garantieren soll. "Sämtliche Schutzmaßnahmen für die Kinder bleiben erhalten, auch das Recht auf einen Anwalt", so Cuellar.

Politischen Profit kann aus der Flüchtlings-Krise keiner schlagen: Laut Umfrage des Pew-Instituts sind 58 Prozent der Amerikaner mit Obamas Strategie unzufrieden, der Ansatz der Republikaner stößt bei 66 Prozent auf Ablehnung.

Dass die aufgegriffenen Minderjährigen aus Honduras, Guatemala und El Salvador nicht sofort abgeschoben werden, hat seinen Grund im sogenannten "William Wilberforce Trafficking Victims Protection Reauthorization Act 2008".

Das Gesetz wurde an sich zur Bekämpfung von Menschenhandel und Zwangsprostitution eingeführt. George W. Bush unterschrieb es 2008, einen Monat, bevor er aus dem Amt schied. Den Kongress passierte es ohne Gegenstimme.

Bush-Gesetz

Eine Gesetzespassage verbietet es, Kinder aus Ländern, die nicht an die USA grenzen, sofort wieder abzuschieben. So müssen diese binnen 72 Stunden den örtlichen Stellen des Gesundheits- und Sozialministeriums übergeben werden. Dort werden sie bis zu ihrer Asyl-Anhörung versorgt und bekommen einen Anwalt gestellt. Befinden sich Angehörige der Kinder in den USA, werden sie dorthin vermittelt oder an Pflegeeltern weitergereicht. Kinder aus Mexiko etwa können binnen 48 Stunden wieder heimgeschickt werden.

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