Theresa May: Nach innen weich, nach außen hart

Die neue britische Premierministerin May gibt sich ausgleichend, gegenüber der EU wird sie Härte zeigen.

Während am Hintereingang der blaue Umzugswagen vorfuhr, um die Habseligkeiten der Familie Cameron von der Downing Street abzuholen, winkte die Neubezieherin der britischen Premierminister-Residenz bereits vor der berühmten schwarzen Tür mit der Nummer 10 in London für die versammelten Fotografen.

Kurz zuvor hatte Theresa May sie zum Lachen gebracht, als sie irrtümlich zum falschen schwarzen Dienstwagen lief. Ein gewisses Maß an Desorientierung kann man ihr kaum verdenken. Die Resignation ihrer Gegenkandidatin Andrea Leadsom kam für sie offensichtlich genauso unerwartet wie für alle anderen auch.

Heute wird Theresa May nun als Großbritanniens zweite weibliche Premierministerin angelobt. In der Zwischenzeit hat sie die heikle Aufgabe, aus einer durch den EU-Referendumswahlkampf entzweiten Partei ein einiges Kabinett zu bilden.

"Maggie May"

Die größte britische Tageszeitung The Sun bezeichnete sie auf ihrem Cover frei nach einem alten Rod-Stewart-Song und Margaret Thatcher als "Maggie May". Als Illustration dazu eine Fotomontage der mit May assoziierten Stöckelschuhe im Leopardenfell-Muster, unter deren Sohlen ihre männlichen Widersacher und Verbündeten innerhalb der Tory-Partei gleichermaßen zerquetscht werden.

Typisch einerseits, dass eine weibliche Politikerin sofort durch ihr Äußeres charakterisiert wird. Andererseits hat May ihr Schuhwerk über die Jahre selbst ganz bewusst als Markenzeichen eingesetzt (siehe auch Seite 20). Als längstdienende britische Innenministerin seit 1892 schaffte sie es, trotz schwerer Zerwürfnisse mit der von Kürzungen betroffenen Polizei, ein dominantes, souveränes Image zu kultivieren.

Das mag zwar an das Bild der Eisernen Lady erinnern, genauso wie ihre kleinbürgerliche Herkunft als Pfarrerstochter, die sie – so wie Thatcher damals – von der altreichen, zum Herrschen geborenen Herren-Clique im konservativen Establishment unterscheidet.

Sozialreformen nach innen

Doch in ihrer Rede zur Ankündigung ihrer Kandidatur zitierte Theresa May zwei Mal die "One Nation"-Idee, eine auf den Premier Benjamin Disraeli im 19. Jahrhundert zurückgehende spezifische Strömung des sozialreformerischen Konservatismus, der durch wohlmeinende Intervention von oben die Gesellschaft ordnen und Gegensätze mildern will. Diese Tradition setzten im 20. Jahrhundert Premiers wie Harold MacMillan und Ted Heath fort, ehe Margaret Thatchers den Tories einen radikalen Kurswechsel neoliberaler Ideologie verordnete.

Zu Anfang seiner Karriere hatte David Cameron sich selbst gern als "One Nation Tory" dargestellt, doch der Sparkurs seines Schatzkanzlers George Osborne ließ ihm keinen Platz zur Verwirklichung dieser Ambition. May dagegen hat sich bereits von Osbornes – nach den ersten Konsequenzen des Brexit sowieso unerreichbarem – Ziel eines Budget-Überschusses bis 2020 losgesagt. Britannien, sagte sie, brauche eine Regierung, die "zu ernsthaften sozialen Reformen fähig" sei: "Wenn einer arm geboren ist, wird er durchschnittlich neun Jahre früher sterben als andere. Wenn einer schwarz ist, wird er vom Justizsystem anders behandelt als ein Weißer. Ein weißer Jugendlicher aus der Working Class hat weniger Aussichten als andere, auf eine Universität zu kommen. Wenn man auf eine staatliche Schule geht, erreicht man schwerer die Spitzenberufe als Privatgeschulte. Wenn Sie eine Frau sind, verdienen Sie immer noch weniger als ein Mann." All diese Missstände und andere mehr nannte sie als "brennende Ungerechtigkeiten", gegen die sie entschlossen ankämpfen werde.

Britische Merkel

Das sind Worte, die Theresa May eher als britische Angela Merkel denn als neue Maggie Thatcher erscheinen lassen. Skeptiker mögen bemerken, dass sie damit bloß in den Jagdgründen einer in Selbstzerfleischung begriffenen Labour Party auf Wählerfang geht. Doch Neuwahlen stehen für die nächsten vier Jahre nicht auf ihrer Agenda, und Mays Hauptproblem bis dahin wird eher die Parteirechte und die euroskeptische Presse sein. Ihnen muss die Pro-EU-Pragmatikerin sich nun als glaubhafte Garantin des Brexit beweisen. Insofern darf Europa sich also erwarten, vor allem die harte Seite Theresa Mays zu spüren zu bekommen.

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