Merkels Allfrontenkampf - Viele lauern auf einen Absturz

German Chancellor Angela Merkel attends an event to commemorate victims of displacement in Berlin
Auch in der EU wollen viele eine Schwächung der deutschen Kanzlerin.

Mit dem Mini-Migrations-Gipfel in Brüssel beginnt für Bundeskanzlerin Angela Merkel am Sonntag eine siebentägige Phase, die Beobachter aus verschiedenen politischen Lagern bereits als "Endspiel" um ihre Kanzlerschaft beschreiben: Am Dienstag muss sie in die CDU/CSU-Bundestagsfraktion, am Abend in den Koalitionsausschuss. Am Donnerstag und Freitag folgt der EU-Gipfel in Brüssel.

Und am Sonntag will die CSU entscheiden, ob sie im Streit über die Flüchtlingspolitik die finale Eskalationsstufe zündet und Innenminister Horst Seehofer nationale Zurückweisungen an der Grenze anordnen soll. Merkel habe dann "aus der Würde ihres Amtes heraus keine Wahl" als den CSU-Chef zu entlassen, sagte Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble ( CDU) dem "Tagesspiegel am Sonntag".

Merkels Problem: Auf allen Ebenen hat sie mittlerweile viele Gegner, die ein Interesse an einer Schwächung oder sogar ihrem Sturz haben. Und die Spannungen auf der einen Ebene erschweren Fortschritte auf der anderen. Ein Überblick über die komplizierte Lage.

EUROPA:

Die europäische Landschaft hat sich vor allem mit der neuen rechten Regierung in Rom erneut geändert. Von Polen, über Ungarn, Österreich bis Italien lauern rechts-nationale Regierungen darauf, die mit Merkel verbundene tiefere Integration der EU zu torpedieren. "Und die CSU hat Merkels Verhandlungsposition auf EU-Ebene bereits entscheidend geschwächt", kritisiert ein CDU-Präsidiumsmitglied. Weil sie nun in aller Eile Rückführungsabkommen für in anderen Staaten registrierte Flüchtlinge aushandeln muss, wissen alle EU-Regierungen, dass sie Deutschland einen Preis verlangen können. Italiens Ministerpräsident Giuseppe Conte setzte deshalb durch, dass es statt der Konzentration auf die Rücknahme von Flüchtlingen innerhalb der EU am Sonntag auch darum gehen soll, wie die EU die Außengrenzen abschotten kann. Merkel räumte am Freitag ein, dass sie am Sonntag keine Ergebnisse erwartet und auf dem regulären EU-Gipfel am 28. und 29. Juni nicht das gesamte EU-Asylpaket beschlossen werden könne. Dabei bräuchte sie Erfolge dringend in der innenpolitischen Debatte.

MACHTZENTRUM DER CSU IN MÜNCHEN:

Mehrfach hat die CDU-Chefin in dieser Woche öffentlich und hinter den Kulissen betont, wie wichtig ihr trotz des Konflikts die Rettung der Fraktionsgemeinschaft mit der CSU im Bundestag ist. Aber während sie mit dem CSU-Vorsitzenden Seehofer verhandelt, hat sich das Machtzentrum nach Ansicht der CDU-Spitze längst zu Bayerns Ministerpräsident Markus Söder hin verlagert. Und dieser hat eine eigene Agenda, stellt fast täglich neue Forderungen auf und hinterlässt im Merkel-Lager den Eindruck, dass es ihm vor allem um den Kopf Merkels geht, um AfD-Wähler bei der bayerischen Landtagswahl im Herbst anzulocken. Das Problem der Kanzlerin: Je härter Söder auftritt und nationale Alleingänge fordert, desto mehr versteifen sich die EU-Partner, auf die die Probleme abgeschoben werden sollen. Italiens Innenminister Matteo Salvini schloss als Reaktion bereits die Rücknahme von registrierten Flüchtlingen aus.

GESPALTENE UNIONS-BUNDESTAGSFRAKTION:

In der Flüchtlingsfrage war die Unions-Fraktion seit 2015 gespalten. Aber seit der Wahl hat sich dies verschärft, weil viele neue unerfahrene Politiker hinzukamen – und überwiegend Männer. Für Merkel bedeutet dies sinkenden Rückhalt, zumal der gesamte Flüchtlingsstreit in der Union bis auf wenige Ausnahmen eine echte "Frauen gegen Männer"-Konfrontation ist. Eigene europäische Erfahrung hätten die wenigsten in der "Europapartei", wird in der Fraktionsspitze eingeräumt. Im Konfliktfall droht Merkel deshalb nicht nur die CSU-Landesgruppe abhandenzukommen, sondern mindestens ein Dutzend CDU-Abgeordnete. Sie braucht aber eine möglichst geschlossene Unterstützung der CDU-Abgeordneten, um den CSU-Drohungen glaubhaft etwas entgegensetzen zu können. CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt schließt offen einen Bruch nicht mehr aus.

UNIONS-NACHWUCHS:

Helmut Kohl konnte sich bei seinen europäischen Reformprojekten auf eine europabegeisterte Junge Union (JU) verlassen. Heute steht der Nachwuchs von CDU und CSU deutlich auf der national-konservativen Seite. Sowohl der JU-Vorsitzende Paul Ziemiak, vor allem aber Gesundheitsminister Jens Spahn - ein Vertrauter von Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) - haben sehr Merkel-kritische Positionen in der Flüchtlingspolitik bezogen. Zwar sind junge CDU-Mitglieder insgesamt bei weitem nicht so konservativ wie die JU, viele Frauen sind sogar gerade wegen Merkel eingetreten. Aber die stark männlich dominierte JU verfügt über einen hohen Organisationsgrad.

CDU-LANDESVERBÄNDE - DER OSTEN:

Im Falle eines Bruchs mit der CSU kann sich die CDU-Chefin trotz der überwältigenden Mehrheit in Präsidium und Bundesvorstand am 18. Juni nicht sicher sein, wer ihr folgen wird. Zwar stehen die Ministerpräsidenten Nordrhein-Westfalens, Hessens und Schleswig-Holsteins hinter ihr. Aber vor allem die ostdeutschen CDU-Landesverbände sind deutlich konservativer und teilen in der Flüchtlingspolitik meist die CSU-Position. So beschloss etwa der Vorstand der CDU-Sachsen, dass es "zwingend erforderlich" sei, in anderen EU-Staaten registrierte Flüchtlinge die Einreise an der deutschen Grenze zu verweigern. Thüringens CDU-Landesvorsitzender Mike Mohring mahnt in der "Welt am Sonntag", dass der Staat "die Kontrolle der Grenzen, gemeinschaftlich durch die EU oder als Zwischenschritt in Deutschland" gewährleisten müsse. In der CDU wird erwartet, dass sich zumindest der Landesverband Sachsen beim Bruch der Union gegen die Bundesvorsitzende stellen dürfte.

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