Macron und Merkel: EU steht am Scheideweg

Frankreichs Präsident fordert in seiner Rede vor dem deutschen Bundestag mehr EU-Kompetenzen.

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und die deutsche Kanzlerin Angela Merkel haben die EU-Staaten zu einschneidenden Reformen bei ihrem Gipfel im Dezember aufgerufen. "Du hast gesagt, wir stehen am Scheideweg. Dies ist auch genau das, was ich empfinde", sagte Merkel bei einem gemeinsamen Auftritt am Sonntagnachmittag in Berlin. Macron hatte zuvor im Bundestag für mehr EU-Kompetenzen geworben.

"Die neue deutsch-französische Aufgabe besteht darin, Europa mit den notwendigen Instrumenten der Souveränität auszustatten", sagte Macron bei einer Sondersitzung der deutschen Volksvertretung anlässlich des "Volkstrauertages", an dem in Deutschland der Kriegstoten gedacht wird. Macron hatte am Vormittag mit seinem deutschen Amtskollegen Frank-Walter Steinmeier an einem Treffen europäischer Jugendlicher teilgenommen und dann einen Kranz am Ehrenmal für die Kriegstoten niedergelegt.

Macron, Steinmeier und Merkel betonten, dass es wichtig sei, 100 Jahre nach dem Ende des Ersten Weltkrieges nach vorne zu schauen. Am 22. Jänner soll deshalb ein neuer Elysee-Vertrag als Grundlage für die weitere deutsch-französische Zusammenarbeit beschlossen werden.

Das EU-Erbe von Kanzlerin Merkel

Macron will EU stärken

Macron forderte in seiner Bundestagsrede, die EU weiter zu stärken. Sie sei noch nicht für Herausforderungen wie die Einwanderung, den Klimawandel oder auch den Wandel der Landwirtschaft gewappnet. Die EU taste sich an die Herausforderungen mit der Berührungsangst eines Anfängers heran. Es gebe Ängste, wenn gemeinsame Entscheidungen in der Außen- und Migrationspolitik getroffen oder ein wachsender Teil des Budgets und sogar der Steuereinnahmen geteilt werden müssten.

Ziel sei es, eine europäische Verteidigung zu verwirklichen, aus dem Euro eine internationale Währung mit europäischem Budget zu machen und ein europäisches Flüchtlingsamt mit gemeinsamen Regeln zu schaffen, sagte Macron. "Wir haben die Aufgabe, jetzt zu handeln, weil wir es Europa schulden, weil wir es der Welt in ihrem derzeitigen Zustand schulden", mahnte er seine Zuhörer. Die Welt stehe nämlich an einem Scheideweg: Entweder sie stürze sich "in den Abgrund der grenzenlosen Faszination für Technologie ohne Gewissen, Nationalismus ohne Gedächtnis und Fanatismus ohne Werte", sagte Macron. Oder aber sie besinne sich "auf die aufregenden Errungenschaften des Fortschritts", von denen die ganze Menschheit profitieren solle.

Merkel nennt Kooperationsbereiche

In dem Auftritt mit Merkel bezeichnete er etwa eine Reform der Eurozone und die Einführung einer Digitalsteuer sowie eine engere Zusammenarbeit in der Sicherheitspolitik als nötig. Den Vorschlag der Finanzminister beider Länder für ein Eurozonen-Budget erwähnten Macron und Merkel nicht. Das Budget soll nach Vorstellung von Vizekanzler Olaf Scholz und Frankreichs Finanzminister Bruno Le Maire als Instrument der Ko-Finanzierung für Investitionen in die Wirtschafts- und Forschungspolitik dienen und Teil des allgemeinen EU-Budgets sein.

"Das deutsch-französische Gespann hat die Aufgabe, die Welt nicht ins Chaos abdriften zu lassen und sie auf einen friedlichen Kurs zu bringen", mahnte Macron in seiner Rede. Man dürfe nicht zum Spielzeug anderer einflussreicher Staaten werden: "Es gibt zu viele Mächte, die uns ausbremsen wollen." Auf dem Weg zu mehr Europa dürften Deutschland und Frankreich daher nicht zögern. "Wir haben die Aufgabe, jetzt zu handeln, weil wir es Europa schulden", sagte Macron, der nach der Rede lange Ovationen im Bundestag erhielt.

Steinmeier hatte zuvor einen täglichen Einsatz zur Wahrung des Friedens und der europäischen Aussöhnung gefordert. "Denn die kostbarsten Dinge sind die zerbrechlichsten", sagte er und nannte als Beispiele die EU, Demokratie und Frieden.

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