Machtkampf um starke Führungskräfte

Jean-Claude Juncker bei einer Rede vor einem Hintergrund mit EU-Sternen.
Deutschland will – wie bisher – eine schwache EU-Kommission, die Berlin lenken kann. Italien und kleinere EU-Staaten sehen das anders.

Die 28 Staats- und Regierungschefs sind drei Tage vor dem EU-Gipfel am Mittwoch und wichtigen Personal-Entscheidungen im Dauerstress. Sie telefonieren und intrigieren, es geht darum, wer wen an welchen Hebeln in Brüssel positioniert. Es geht um Macht und Einfluss in den wichtigsten EU-Institutionen.

Wie immer will Berlin bestimmen. Bundeskanzlerin Angela Merkel ist die Bestellung von Jean-Claude Juncker als Kommissionspräsident entglitten. Aus verschiedenen Gründen wollte sie ihn nicht, unter anderem weil er stark und eigenwillig ist und eine Idee von der Zukunft Europas hat. Merkel hat dann aber den europäischen Wählerwillen akzeptiert, die Europäische Volkspartei gewann mit Juncker. Bei den Vergaben weiterer Top-Jobs darf ihr so ein Fauxpas nicht mehr passieren, ist die Denkart in Merkels Umfeld. Umso heftiger mischt sich Deutschland jetzt ein.

Merkel erinnert sich gerne an 2009, als sie José Manuel Barroso für eine zweite Amtszeit als Kommissionschef einfach durchgewunken hatte. Sie wollte den schwachen Portugiesen, weil sie deutsche Interessen beim ihm gut aufgehoben fand.

2014 ist die Ausgangslage anders: Es gab bei der EU-Wahl Spitzenkandidaten für den Job des Kommissionschefs. Juncker siegte und richtete den EU-Granden aus, nicht ihr "Hampelmann", sondern ein durchsetzungsfähiger Präsident sein zu wollen. Frankreich, Italien und etliche kleinere EU-Staaten, darunter auch Österreich, unterstützen Juncker und seien Pläne für eine starke Kommission.

Das passt Merkel überhaupt nicht. Auch der italienische Premier Matteo Renzi, der als amtierender Ratsvorsitzender selbstbewusst auftritt, ist ihr suspekt. Renzi weiß, was er will, unter anderem seine Außenministerin Federica Mogherini als EU-Chefdiplomatin zu küren. Berlin favorisiert hingegen die bulgarische EU-Kommissarin für humanitäre Hilfe, Kristalina Georgiewa. Mogherini ist erst wenige Monate im Amt, aber selbst die renommierte NZZ beschreibt sie als "Dossier-fest". Eine Ämterteilung zwischen der 41-jährigen Sozialdemokratin Mogherini und der konservativen Bulgarin wird nicht mehr ausgeschlossen. Die EU-Außenbeauftragte ist gleichzeitig auch Vizepräsidentin der Kommission.

Eine Entscheidung ist schon gefallen: Juncker hat den Sozialdemokraten den wichtigen Wirtschafts- und Währungskommissar versprochen. Frankreichs Ex-Finanzminister Pierre Moscovici wird dafür genannt. Doch Deutschland ist mehr als skeptisch: Für Finanzminister Wolfgang Schäuble wäre ein Franzose eine Zumutung. Angesichts der übermäßigen Neuverschuldung und des Defizit-Verfahrens der EU gegenüber der Pariser Regierung ziehe er "den Anspruch Frankreichs auf diesen Posten in Zweifel", sagte Schäuble am Wochenende.

Besonders heikel ist, wer "Haiku-Herman" als Ratspräsident ablöst. So wird der belgische Konservative Herman Van Rompuy wegen seiner Liebe zu japanischen Versen genannt. Ein Polit-Gezerre ist voll im Gange.

Angela Merkel hat Sympathien für die dänische Ministerpräsidentin Helle Thorning-Schmidt; sie ist Sozialdemokratin mit exzellenten Verbindungen zu Großbritannien und zu Briten-Premier David Cameron. Merkel sondiert aber noch andere Optionen: Der liberale niederländische Regierungschef Mark Rutte, der konservative finnische Ex-Premier Jirky Katainen sowie Irlands Enda Kenny sind ebenfalls Anwärter auf den Thron des Ratspräsidenten. Politisch würden sie alle der deutschen Kanzlerin in den Kram passen – sie sind nicht aufmüpfig und fordern keine Kursänderung in der Wirtschaftspolitik.

In informellen Gesprächen unter den EU-Granden wurde auch Werner Faymann als Kandidat für das Amt des Ratspräsidenten genannt. Doch der SPÖ-Politiker winkt ab und will Bundeskanzler in Österreich bleiben, betonte er gegenüber dem KURIER.

Wer den Posten letztendlich bekommt, ist noch nicht ausgemacht. Der Streit darüber geht so tief, dass manche Regierungschefs schon damit rechnen, die Personalie zu vertagen. Das Abendessen am Mittwoch in Brüssel könnte somit kürzer als geplant ausfallen.

Einigen dürften sich die Staats- und Regierungschefs auf die neue Außenbeauftragte und über den hauptberuflichen Euro-Gruppen-Vorsitzenden. Die Spanier jubeln, ihr Wirtschafts- und Finanzminister Luis de Guindos dürfte Jeroen Dijsselbloem in dieser wichtigen Funktion ablösen.

Im Gegensatz zu dem Niederländer gilt der Konservative de Guindos als willensstark, ideologisch gefestigt und als strenger Austerity-Vertreter. Dijsselbloem hängt außerdem ein Problem nach: In einer Talkshow bezeichnete er Jean-Claude Juncker als schweren Raucher und Trinker. Erst kürzlich hat er sich dafür bei Juncker entschuldigt.

Wer welche Chancen hat

Eine lächelnde Frau mit blonden Haaren steht vor einem Mikrofon.
epa04272462 Danish Prime Minister Helle Thorning-Schmidt reacts as she listens to President of the EU Commission Jose Manuel Barroso (not pictured) during their press conference at the Marienborg castle, home of the Danish Prime Ministers, in Copenhagen, Denmark, 22 June 2014. EPA/CHRISTIAN LILIENDAHL

Regierungschefin Helle Thorning-Schmidt (DK) ist Wunschkandidatin Merkels als EU-Präsidentin

Ein Mann in Anzug gestikuliert vor einer blau-roten Flagge.
France's Finance Minister Pierre Moscovici reacts during an interview with Reuters at the Bercy Finance Ministry in Paris, January 30, 2014. The European Commission unveiled a blueprint to isolate high-risk trading at big banks on Wednesday in the face of concerns from Paris and Berlin that some of the proposals would threaten the business models of their biggest banks. REUTERS/Charles Platiau (FRANCE - Tags: POLITICS BUSINESS)

Frankreichs Ex-Finanzminister Pierre Moscovici will Wirtschafts- und Währungskommissar werden

Eine Frau spricht vor den Flaggen von Italien und Österreich.
epa04236819 Italian Foreign Minister Federica Mogherini is welcomed by her Austrian counterpart Sebastian Kurz (not pictured) in Vienna, Austria, 02 June 2014. Mogherini attends the Conference on the Western Balkans and the Meeting of the CEI Ministers for Foreign Affairs held on 02 and 03 June. EPA/DRAGAN TATIC

Die italienische Außenministerin Federica Mogherini ist Top-Favoritin für den Job als EU-Chefdiplomatin

Ein Mann im Anzug gestikuliert mit erhobenem Zeigefinger.
epa04220869 Spanish Minister of Economy Luis de Guindos offers a press conference after the weekly cabinet meeting at the Moncloa Palace in Madrid, Spain, 23 May 2014. According to media reports, the main topic was the current state of Universal Justice Law and its application in Spain. EPA/JUAN CARLOS HIDALGO

Spaniens Finanzminister Luis de Guindos soll hauptberuflicher Euro-Gruppen-Chef werden

Irlands Enda Kenny ist smart, was Merkel gefällt. Er ist einer ihrer Favoriten für den Ratspräsidenten

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