Separatisten wollen Anschluss an Russland

Ein Mann mit Sturmhaube und Gewehr lehnt an Sandsäcken.
Ukraine nach dem Referendum: Luhansk hat sich für unabhängig erklärt, Donezk will die Wahlen boykottieren und zu Russland. Die EU hat weitere Sanktionen verhängt.

Donezk will zu Russland: Dies "wäre wahrscheinlich ein angemessener Schritt" nach dem Referendum vom Sonntag, sagte Separatistenführer Roman Liagin am Montag - er spricht sich somit für eine Aufnahme der Region Donezk in die Russische Föderation aus. Davor hatte bereits die ostukrainische Region Luhansk die Vereinten Nationen (UNO) gebeten, ihre Unabhängigkeit anzuerkennen. Zudem wird die Region an der am 25. Mai angesetzten Präsidentschaftswahl in der Ukraine nicht teilnehmen, auch Donezk will die Wahlen boykottieren. In Luhansk wird auch ein Referendum über den Anschluss an Russland erwogen.

Moskau erkennt Referendum an

Zuvor hatte Russland die Ergebnisse des umstrittenen Unabhängigkeitsreferendums in der mehrheitlich russischsprachigen Ostukraine anerkannt. Man respektiere den Wunsch der Menschen, den sie in den Referenden in den Regionen Donezk und Luhansk zum Ausdruck gebracht haben, teilte der Kreml am Montag mit - im Vorfeld hatte man die Rechtmäßigkeit des Referendums allerdings durchaus angezweifelt. Das Ergebnis sei nun auf "zivilisierte Art und Weise ohne Gewalt" umzusetzen. Der Kreml rief erneut zum Dialog zwischen der Übergangsregierung in Kiew und den prorussischen Separatisten auf und verurteilte "den Einsatz von Gewalt gegen Zivilisten in der Ostukraine zur Behinderung des Referendums".

Nach Angaben der Separatisten hat sich am Sonntag eine überwältigende Mehrheit für die Unabhängigkeit ausgesprochen. Somit sehen die abtrünnigen Gebiete ihren Status als „Volksrepubliken“ gefestigt und bestätigt. In Donezk hätten 89 Prozent der Teilnehmer für die Autonomie gestimmt, sagte der Leiter der selbst ernannten Wahlkommission, Roman Ljagin. Ein endgültiges Ergebnis soll am Nachmittag vorliegen.

Erster runder Tisch am Mittwoch

Die Meldungen über die konkreten Abspaltungsschritte der beiden Regionen stehen im Widerspruch zu den diplomatischen Ansinnen der deutschen Bundesregierung - diese hat nämlich für Mittwoch den ersten runden Tisch zwischen Vertretern der Übergangsregierung in Kiew und Vertretern der Regionen im Osten des Landes angekündigt. Den Vorsitz habe die Ukraine, hieß es am Montag aus Berlin. Der frühere deutsche Diplomat Wolfgang Ischinger soll im Auftrag der OECD den Co-Vorsitz übernehmen.

Wie zu erwarten war, erkennt Kiew das Referendum nicht an und nennt die von "Terroristen" organisierte Volksabstimmung eine „Farce“, die „keine rechtlichen Konsequenzen“ hätte. Übergangspräsident Oleksander Turtschinow erklärte weiter, dass das Referendum nur dazu diene, Morde, Entführungen und andere Gewalttaten zu decken.

Der deutsche Außenminister Frank Walter Steinmeier hat sich für eine Teilnahme auch von Personen aus der Ostukraine am runden Tisch ausgesprochen. Allerdings "ist meine Haltung, dass die, die Blut an Händen haben, in der Regel nicht die sind, die am Runden Tisch sitzen". Außerdem sprach er sich für vorgezogene Parlamentswahlen noch vor Ende 2014 aus.

EU-Außenminister verhängen Sanktionen

Der luxemburgische Außenminister Jean Asselborn hat das Referendum als illegal kritisiert. "Das hat keine legale Basis", sagte Asselborn Montag vor Beginn des EU-Außenministerrats in Brüssel. Wesentlich sei nun, innerukrainisch einen Dialog aufzubauen. "Das heißt auf deutsch, ich kann mir nicht vorstellen, dass in Kiew nur Faschisten und im Osten nur Terroristen sind". Im Zentrum der Gespräche sollten zusätzliche Einreiseverbote und Kontensperrungen stehen.

"Ich kann mir nicht vorstellen, dass in Kiew nur Faschisten und im Osten nur Terroristen sind"

Schließlich wurden zwei Unternehmen auf der Krim, die von Russland verstaatlicht wurden, auf eine schwarze Liste der EU gesetzt. Zudem wurden gegen 13 Personen Einreiseverbote und Kontensperrungen verhängt, wie Diplomaten sagten. Bei den nun mit Sanktionen belegten Verantwortlichen handelt es sich mit einer Ausnahme um Ukrainer, wie Luxemburgs Außenminister Jean-Asselborn in der Früh dem Deutschlandfunk sagte. Der Beschluss sei noch eine Reaktion auf die "Abtrennung und Annexion der Krim", sagte Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier in Brüssel. Bereits zuvor hatten auf der EU-Sanktionsliste die Namen von 48 Ukrainern und Russen gestanden.

In der Schule an der Puschkinstraße ist die Dekoration vom Tag des Sieges über Nazi-Deutschland am 9. Mai noch nicht weggeräumt worden. „Danke für die Freiheit“ steht da geschrieben, bemalt und ausgeschnitten von Kindern; und „Danke für den Sieg“.

Für die allermeisten hier passt das an diesem Sonntag. Die Schule ist ein Wahllokal. Und auch, wenn die überwiegende Mehrheit hier einen anderen Sieg meint und eine andere Freiheit als die am 9. Mai gefeierte – auch der Sonntag wurde in Donezk zu so etwas wie einem Tag des Sieges. Zumindest für die, die sich eine Loslösung von Kiew und eine bessere Zukunft in der „Volksrepublik Donezk“ wünschen.

Wahlbetrug befürchtet

Lange Schlangen bilden sich vor dem Wahllokal, Bewaffnete sind nicht zu sehen. Polizisten schlendern durch den Park. Hier ist man sich sicher, die Kontrolle über alle Staatsorgane zu haben.

Mehr oder weniger flächendeckend konnten die Separatisten im Donbass und in der Region Lugansk abstimmen lassen – auch weil sie zuvor vielerorts lokale Behörden massiv unter Druck gesetzt hatten. Die Initiatoren der Abstimmung bildeten zugleich die Wahlbehörde, es gab zum Teil keine Wählerlisten, dafür aber erhebliche Zweifel an der Fälschungssicherheit. Die Abstimmung wird von westlichen Staaten sowie von Kiew nicht anerkannt. In den durchsichtigen Urnen in drei Wahllokalen in Donezk war aber keine einzige Gegenstimme zu finden. Die Gegner einer Loslösung der Region von der Ukraine scheinen der Abstimmung durchwegs ferngeblieben zu sein.

Es ist eine Front, die sich aufgebaut hat zwischen Befürwortern und Gegnern. Anhänger einer vereinten Ukraine oder gar einer solchen, die sich mehr am Westen als an Russland orientiert, sagen das nur mehr sehr leise. Aber auch unter jenen, die „Ja“ zur Abspaltung angekreuzt haben, gibt es verschiedene Lager.

Für viele ist es aber schlicht ein Tag der Abrechnung mit einer Regierung in Kiew, die sie Junta nennen. Ein kleines Mädchen reitet auf einem Pony im Park, ein Mann steht daneben, hält das Fahrrad seiner Tochter und sagt: „Es ist nicht so, dass ich mir einen Anschluss an Russland wünsche – aber die Abstimmung wird unsere Position gegenüber Kiew stärken.“ In welcher Weise, mit welchem Ziel, lässt er offen. Die Regierung in Kiew nennt er „Faschisten“. Und über die Gefahr eines Krieges sagt er: „Glauben die in Kiew denn wirklich, dass wir ihnen mit offenen Armen entgegenkommen, wenn sie uns Panzer schicken?“ Aber alles werde letztlich gut werden. Seine Position ist eine der mildestens in dieser Stadt – und eine sehr seltene.

„Niemals nach Kiew“

Donezk, das war nach dem Fall der Sowjetunion meist so etwas wie eine Schattenhauptstadt. Der gestürzte Ex-Präsident Janukowitsch stammt aus dieser Region, Geschäftsleute aus dem Donbass haben die Politik in Kiew maßgeblich bestimmt. Mit guten Beziehungen hier konnte man es in Kiew weit bringen. Seit der Revolution in Kiew ist es damit vorbei. Vorbei ist es aber auch mit dem Plan vieler junger Leute, nach Kiew zu gehen. „Niemals“, sagt ein Student. Sein neues Ziel: „Moskau.“

„Man hört nicht auf uns, darum verschaffen wir uns eben Gehör – und wenn die in Kiew revoltieren dürfen, wieso dann nicht wir?“ Die, die das sagt, hat sich fein herausgeputzt an diesem Tag, ein beiges Jäckchen an und trägt Schuhe sowie Handtäschchen in dazupassender Farbe. Sie sagt es mit sich überschlagener Stimme. Sie ist Mitte 50 und endet ihre Ausführung mit: „Wir sind Russen – keine Ukrainer, keine Banderowzi.“ Die Bezeichnung beruft sich auf Stepan Bandera, der zusammen mit den Nazis für eine unabhängige Ukraine gekämpft hatte, dann im KZ landete und später sowohl gegen die Nazis als auch gegen die Sowjets in der Westukraine gekämpft hatte. In der Westukraine wird er als Held gefeiert, den meisten hier kommt er dem Teufel persönlich gleich.

„Krieg erklären“

Die Puschkinstraße ist überrannt von Pärchen und Rad fahrenden Teenagern, die den sonnigen Tag nutzen. Es wird flaniert. Ein Vater kämpft mit einem schreienden Säugling. Wenige Meter weiter haben sich Männer mit Kampfanzügen und Sturmhauben positioniert – dort, wo der Park in den Platz vor der besetzten Regionalverwaltung mündet. Sie tragen automatische Waffen. Einer von ihnen hat einen Raketenwerfer umgehängt. Dazwischen laufen Kinder. Ein Mann sagt: „Das erste, was wir als Volksrepublik Donezk tun werden, ist Kiew den Krieg zu erklären.“

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