EU-Gipfel scheitert bei Verteilung von Spitzenjobs
Der EU-Gipfel ist mit dem Plan gescheitert, einen neuen Außenbeauftragten der Union und einen neuen Ratspräsidenten zu benennen. Beschlüsse sollen nun bei einem weiteren Sondergipfel am 30. August fallen. Das kündigte Gipfelchef Herman Van Rompuy am frühen Donnerstagmorgen in Brüssel an.
"Wir waren noch nicht an einem Punkt, an dem eine Konsens-Lösung für das gesamte Paket der Nominierungen möglich war", bilanzierte der Belgier, dessen Mandat Ende November ausläuft. Die Vertagung der Entscheidungen zog Kritik auf sich: Der ÖVP-Delegationsleiter im EU-Parlament, Othmar Karas, meinte, es sei eine "unverantwortliche Verzögerung". Der ergebnislose Gipfel könne nun den Zeitplan der Wahl der EU-Kommission gefährden. Gelassener reagiert Außenminister Sebastian Kurz am Donnerstag: "Die Nachfolge von Catherine Ashton ist eine ganz zentrale Entscheidung, insofern halte ich es für legitim , dass hier diskutiert und verhandelt wird".
Der Gipfel einigte sich aber immerhin darauf, in der Ukraine-Krise den Druck auf Moskau zu erhöhen und nun auch verstärkt Unternehmen zu bestrafen.
Faymann sieht noch Chancen für Mogherini
Bundeskanzler Werner Faymann erklärte, er gehe davon aus, dass der Vorschlag der Sozialdemokraten zur Nominierung der italienischen Außenministerin noch gute Chancen habe. Mogherini sei in drei Wortmeldungen unterstützt worden, eine davon habe er abgegeben
"Ich bin sicher, das wir am 30. August eine Entscheidung treffen können", sagte Van Rompuy zu dem Personalpaket. Deutschlands Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sagte, es sei wichtig gewesen, eine erste Diskussion zu haben. "Ich bin fest davon überzeugt, dass wir dann auch zu Entscheidungen kommen", betonte sie mit Blick auf den neuen Termin Ende August.
Die Mitgliedstaaten sind laut Merkel aufgefordert, bis Ende Juli Vorschläge für ihre nationalen Kommissare zu machen. Berlin hatte bereits mitgeteilt, dass Günther Oettinger (CDU) in Brüssel bleiben soll. Oettinger leitet seit 2009 das Energieressort.
Keine Garantie für Johannes Hahn
Faymann sagte, er gehe davon aus, dass der von der Bundesregierung nominierte Kommissarskandidat Johannes Hahn einen Aufgabenbereich bekomme und keine Änderungen bei der Nominierung notwendig seien. Garantien gebe es dafür allerdings keine. Die Frauenfrage werde eine Rolle bei der Akzeptanz der nächsten EU-Kommission durch das Europaparlament spielen
Das Europaparlament hatte am Dienstag den konservativen Jean-Claude Juncker zum Kommissionspräsidenten gewählt. Merkel sagte, es gebe "eine gewisse Logik", dass nun der Posten des Außenbeauftragten, der auch Vizepräsident der Kommission ist, an die Sozialdemokraten gehe. Diese hatten bei der Europawahl Ende Mai als zweitstärkste Kraft abgeschnitten. Sie trugen auch zu Junckers Kür im Parlament bei.
Van Rompuy: "Nicht Junckers Verantwortung"
Van Rompuy sagte, es sei nicht ausgemacht, dass es bei der Zusammenstellung der Juncker-Kommission Verzögerungen geben werde. Diese soll am 1. November ihre Arbeit aufnehmen.
Mit Blick auf Juncker sagte Van Rompuy: "Falls es ein Fehlstart ist, ist es nicht seine Verantwortung." Juncker muss die neue Kommission zusammenstellen. Die Kommissare sollen im Herbst im Europaparlament angehört werden - die Volksvertretung stimmt dann auch noch über das ganze Kollegium ab. Juncker fordert von den Mitgliedstaaten, mehr Frauen in die Brüsseler Chefetage zu entsenden.
Sanktionen gegen russische Unternehmen
Der Gipfel beschloss erstmals Sanktionen gegen russische Unternehmen, wenn diese zur Destabilisierung der Ukraine beitragen. Die Union werde auch prüfen, ob milliardenschwere Oligarchen oder Konzerne, die die Annexion der Krim unterstützen, auf die schwarze Liste kommen, hieß es in einer Gipfelerklärung. Auch die USA beschlossen neue Russland-Sanktionen.
Die EU-"Chefs" forderten in einer Erklärung einen dauerhaften Waffenstillstand in der Ukraine. Dort erschüttern Kämpfe zwischen Regierungstruppen und prorussischen Separatisten den Osten des Landes.
Die von Sanktionen betroffenen Unternehmen dürfen keine Geschäfte mehr mit EU-Konzernen machen und können nicht mehr über Vermögenswerte in der EU verfügen. Anzahl und Namen der Firmen blieben zunächst offen.
Die EU ist äußert unzufrieden, weil Moskau auf eine Aufforderung zum Deeskalieren der Lage nicht ausreichend reagierte. "Wir müssen heute feststellen, dass die Erwartungen eigentlich in allen Punkten nicht erfüllt worden sind", sagte Merkel nach den Beratungen. Sie feierte bei dem Spitzentreffen ihren 60. Geburtstag.
Bisher gab es lediglich Sanktionen gegen zwei Unternehmen auf der Krim, weil diese von Russland verstaatlicht wurden. Zudem sind 72 Personen von Kontensperrungen und Einreiseverboten betroffen.
Die 28 Staats- und Regierungschefs sind drei Tage vor dem EU-Gipfel am Mittwoch und wichtigen Personal-Entscheidungen im Dauerstress. Sie telefonieren und intrigieren, es geht darum, wer wen an welchen Hebeln in Brüssel positioniert. Es geht um Macht und Einfluss in den wichtigsten EU-Institutionen.
Wie immer will Berlin bestimmen. Bundeskanzlerin Angela Merkel ist die Bestellung von Jean-Claude Juncker als Kommissionspräsident entglitten. Aus verschiedenen Gründen wollte sie ihn nicht, unter anderem weil er stark und eigenwillig ist und eine Idee von der Zukunft Europas hat. Merkel hat dann aber den europäischen Wählerwillen akzeptiert, die Europäische Volkspartei gewann mit Juncker. Bei den Vergaben weiterer Top-Jobs darf ihr so ein Fauxpas nicht mehr passieren, ist die Denkart in Merkels Umfeld. Umso heftiger mischt sich Deutschland jetzt ein.
Merkel erinnert sich gerne an 2009, als sie José Manuel Barroso für eine zweite Amtszeit als Kommissionschef einfach durchgewunken hatte. Sie wollte den schwachen Portugiesen, weil sie deutsche Interessen beim ihm gut aufgehoben fand.
2014 ist die Ausgangslage anders: Es gab bei der EU-Wahl Spitzenkandidaten für den Job des Kommissionschefs. Juncker siegte und richtete den EU-Granden aus, nicht ihr "Hampelmann", sondern ein durchsetzungsfähiger Präsident sein zu wollen. Frankreich, Italien und etliche kleinere EU-Staaten, darunter auch Österreich, unterstützen Juncker und seien Pläne für eine starke Kommission.
Das passt Merkel überhaupt nicht. Auch der italienische Premier Matteo Renzi, der als amtierender Ratsvorsitzender selbstbewusst auftritt, ist ihr suspekt. Renzi weiß, was er will, unter anderem seine Außenministerin Federica Mogherini als EU-Chefdiplomatin zu küren. Berlin favorisiert hingegen die bulgarische EU-Kommissarin für humanitäre Hilfe, Kristalina Georgiewa. Mogherini ist erst wenige Monate im Amt, aber selbst die renommierte NZZ beschreibt sie als "Dossier-fest". Eine Ämterteilung zwischen der 41-jährigen Sozialdemokratin Mogherini und der konservativen Bulgarin wird nicht mehr ausgeschlossen. Die EU-Außenbeauftragte ist gleichzeitig auch Vizepräsidentin der Kommission.
Eine Entscheidung ist schon gefallen: Juncker hat den Sozialdemokraten den wichtigen Wirtschafts- und Währungskommissar versprochen. Frankreichs Ex-Finanzminister Pierre Moscovici wird dafür genannt. Doch Deutschland ist mehr als skeptisch: Für Finanzminister Wolfgang Schäuble wäre ein Franzose eine Zumutung. Angesichts der übermäßigen Neuverschuldung und des Defizit-Verfahrens der EU gegenüber der Pariser Regierung ziehe er "den Anspruch Frankreichs auf diesen Posten in Zweifel", sagte Schäuble am Wochenende.
Besonders heikel ist, wer "Haiku-Herman" als Ratspräsident ablöst. So wird der belgische Konservative Herman Van Rompuy wegen seiner Liebe zu japanischen Versen genannt. Ein Polit-Gezerre ist voll im Gange.
Angela Merkel hat Sympathien für die dänische Ministerpräsidentin Helle Thorning-Schmidt; sie ist Sozialdemokratin mit exzellenten Verbindungen zu Großbritannien und zu Briten-Premier David Cameron. Merkel sondiert aber noch andere Optionen: Der liberale niederländische Regierungschef Mark Rutte, der konservative finnische Ex-Premier Jirky Katainen sowie Irlands Enda Kenny sind ebenfalls Anwärter auf den Thron des Ratspräsidenten. Politisch würden sie alle der deutschen Kanzlerin in den Kram passen – sie sind nicht aufmüpfig und fordern keine Kursänderung in der Wirtschaftspolitik.
In informellen Gesprächen unter den EU-Granden wurde auch Werner Faymann als Kandidat für das Amt des Ratspräsidenten genannt. Doch der SPÖ-Politiker winkt ab und will Bundeskanzler in Österreich bleiben, betonte er gegenüber dem KURIER.
Wer den Posten letztendlich bekommt, ist noch nicht ausgemacht. Der Streit darüber geht so tief, dass manche Regierungschefs schon damit rechnen, die Personalie zu vertagen. Das Abendessen am Mittwoch in Brüssel könnte somit kürzer als geplant ausfallen.
Einigen dürften sich die Staats- und Regierungschefs auf die neue Außenbeauftragte und über den hauptberuflichen Euro-Gruppen-Vorsitzenden. Die Spanier jubeln, ihr Wirtschafts- und Finanzminister Luis de Guindos dürfte Jeroen Dijsselbloem in dieser wichtigen Funktion ablösen.
Im Gegensatz zu dem Niederländer gilt der Konservative de Guindos als willensstark, ideologisch gefestigt und als strenger Austerity-Vertreter. Dijsselbloem hängt außerdem ein Problem nach: In einer Talkshow bezeichnete er Jean-Claude Juncker als schweren Raucher und Trinker. Erst kürzlich hat er sich dafür bei Juncker entschuldigt.
Wer welche Chancen hat
Regierungschefin Helle Thorning-Schmidt (DK) ist Wunschkandidatin Merkels als EU-Präsidentin
Frankreichs Ex-Finanzminister Pierre Moscovici will Wirtschafts- und Währungskommissar werden
Die italienische Außenministerin Federica Mogherini ist Top-Favoritin für den Job als EU-Chefdiplomatin
Spaniens Finanzminister Luis de Guindos soll hauptberuflicher Euro-Gruppen-Chef werden
Irlands Enda Kenny ist smart, was Merkel gefällt. Er ist einer ihrer Favoriten für den Ratspräsidenten
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