Kanzler-Besuch: Österreicher auf Zeitreise in Japan

BUNDESKANZLER KURZ IN JAPAN:  HIROSHIMA DOKUMENTATIONSZENTRUM
Von Hiroshima bis zu Zukunftstechnologien. Kanzler Kurz und Minister waren sichtlich beeindruckt.

Wenn das erste, das der Besucher beim Betreten eines Landes hört, ist: „Sie werden jetzt gezählt, stehen Sie still!“ – dann ist man in Japan. Nein, der Bundeskanzler wurde nicht gezählt, aber ein Teil der Delegation, die mit ihm reiste, bekam auf dem Narita-Flughafen in Tokio gleich einen Vorgeschmack auf japanische Strenge und Genauigkeit.

Kanzler-Besuch: Österreicher auf Zeitreise in Japan

Kurz’ Rucksack-Reise

Sebastian Kurz hat diese Woche mit großer Entourage Ostasien besucht. Ein Tag Südkorea, knapp eineinhalb Tage Japan, nichts für schwache Reisenerven. Und dass Japan noch einmal ein Stück „fremder“ ist für unseren Kulturkreis, hat der Bundeskanzler schon als Jugendlicher erlebt. Mit 18, nach der Matura, war er mit einem Freund als Backpacker drei Wochen durch Japan unterwegs. Interrail durch Europa machte eh jeder, also wurde es Japan. „Vor allem außerhalb Tokios war das eine Herausforderung, weil niemand Englisch sprach und keine Schilder am Bahnhof und keine Speisekarten auf Englisch waren – das hat vor allem beim Essen manche Überraschungen gebracht“, erzählt Kurz am Beginn seiner Reise. Aber immerhin: Man fand bis auf den Gipfel des Fujiyama.

Wissenschaftsminister Heinz Faßmann war früher als Rektor schon zweimal in Japan und legt die Erinnerung eher wissenschaftlich-ratgeberisch an: „Sie dürfen kein Trinkgeld geben, das ist verpönt hier“, sagt er. In Japan gelte: „Wer Trinkgeld gibt, übernimmt damit die soziale Verpflichtung gegenüber dem Trinkgeldnehmer.“ Und dessen Dankbarkeit. Was schon so etwas wie die Vorstufe zur Korruption sei. In der Tat: Fragend-erwartungsvolle Blicke des Taxifahrers oder des Hotelboys gibt es in Japan nicht.

Technologie-Riese

Dafür gibt es, so wie in Südkorea auch, viel Technologie – einer der Gründe, warum der Kanzler mit seinen Ministern Faßmann und Norbert Hofer (Infrastruktur) samt großer Wirtschaftsdelegation gekommen ist. Der Roboter „Asimo“, der bei Honda/Red Bull vor den Gästen aus Österreich auf- und abmarschiert, läuft, winkt und über sich selbst erzählt, ist nur ein Beispiel für den Technologievorsprung, den das 127-Millionen-Einwohnerland Japan vor dem Rest der Welt hat – hart bedrängt von China oder auch Südkorea.

„Wir wollen von den Japanern lernen“, ist denn auch einer der am häufigsten verwendeten Sätze der österreichischen Politiker. Ob es bei der Wasserstofftechnologie ist – Minister Hofer ist von den Plänen der Energiespeichertechnik mit Wasserstoff fasziniert. Die könnte man in Österreich für alle jenen Strom aus Windkraft gut brauchen, der als Überschuss verloren geht. Ob es bei der Grundlagenforschung ist – die Koreaner und Japaner werden von Faßmann bewundert, weil sie die Kluft zwischen Grundlagenforschung und Umsetzung der Forschungsergebnisse in der Praxis leicht überbrücken. Oder ob es beim Thema 5G-Ausbau, Robotik und künstliche Intelligenz ist, wie Kurz immer wieder betont und seinen Gesprächspartnern vom Premier bis zum Kronprinzen erzählt.

BUNDESKANZLER KURZ IN JAPAN: KONZERT DER WIENER PHILHARMONIKER

Hiroshima-Gedenken

So sehr sich die Österreicher von der Zukunft hinreißen lassen, so sehr steht – abgesehen von politischen Gesprächen – am Samstag die Vergangenheit im Mittelpunkt. Und mit ihr auch wieder die Zukunft: Sebastian Kurz und seine Entourage besuchen Hiroshima. Jene Stadt, die nach Ende des Zweiten Weltkrieges in Europa von der ersten jemals eingesetzten Atombombe praktisch ausgelöscht wurde. „Little Boy“ war der Name der Bombe, die die Amerikaner am 6. August 1945 über Hiroshima abwarfen, um Japan zur Kapitulation zu zwingen. In dem Feuerball und der unermesslichen Hitze starben 90.000 Menschen sofort, weitere 90.000 bis 166.000 Menschen an den Spätfolgen. Drei Tage später kamen beim zweiten Bombenabwurf in Nagasaki 70.000 Menschen ums Leben, noch einmal so viele später.

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Gigantischer Feuerball

Einer, der das Grauen erlebt und überlebt hat und sich erinnert, ist Sadao Yamamoto. Der 88-jährige Mann aus Hiroshima – er ist auf Initiative von Minister Faßmann bei den Gesprächen dabei – war 14, als an jenem Augusttag um 8.15 Uhr ein Feuerball über der Stadt explodierte. 2,5 Kilometer war der Bub vom Abwurfort der Bombe entfernt, und er weiß, dass er zunächst gar nichts dachte. Auch nicht gleich an eine Bombe, obwohl er Flugzeuge gesehen hatte.

Yamamoto wurde von der Druckwelle umgeworfen, sein Körper war auf der linken Seite verbrannt. Aber er hatte, ebenso wie seine Familie, Glück zu überleben. Den Vater, der viel näher am Abwurfort gewesen war, schützte ein Betonhaus. Und man blieb in Hiroshima, wie fast alle Überlebenden (heute gibt es noch 50.000). Denn dass eine Atombombe gefallen war, erfuhren die Bewohner lange nicht. Daher wusste man auch nichts von einer möglichen Verstrahlung. Was hat Yamamoto am meisten erschüttert? „Dass wir den Krieg verloren haben“, sagt der alte Mann ohne zu zögern, damals. Heute weiß er, es war ein sinnloser Krieg, der nicht zu gewinnen war.

Der Bürgermeister von Hiroshima, Matsui Kazumi, erzählt, dass es noch bis vor Kurzem verpönt war, über seine Erfahrung mit der Bombe oder die der Familie zu reden. Er selbst habe das erst vor zehn Jahren getan – man schämte sich ob möglicher vererbter Gendefekte oder anderer Krankheiten, und es sei stigmatisierend gewesen.

Kanzler Kurz sagt sein Credo vom Ende der Atomwaffen auf dieser Welt und dass er dafür weiter eintreten werde. Der Bürgermeister bedankt sich dafür und für Österreichs Engagement für den Atomwaffenverbotsvertrag, der 2017 von der UNO beschlossen, aber erst von 21 Staaten ratifiziert wurde (nicht von den Atomstaaten). Japan müsse das auch tun, aber die Interessen mit den USA stünden dem offenbar entgegen.

Dann singen der Bürgermeister und der Überlebende in einem Hotelsaal in Hiroshima das Hiroshima Friedenslied. Und der begeisterte Hobbysänger Kazumi legt noch ein schmetterndes „Freude schöner Götterfunken“ nach.

Vom Glück der Musik

Damit sind wir schon bei der Liebe der Japaner zu Musik. Zum Abschluss des Besuchs der Österreicher spielen die Wiener Philharmoniker, genauer genommen: ein Quartett von ihnen, im Festsaal des Grand Hyatt in Tokio ein Konzert, Mozart, Schubert, Strauß – schließlich feiert man 150 Jahre diplomatische Beziehungen mit Japan, der am 1. Februar geschlossene EU-Japan-Handelsvertrag soll zudem Österreichs Exporte voranbringen, und da kann es nicht schaden, die Gastgeber glücklich zu machen. Und die sind im grenzenlosen Glück, wenn sie Mozarts Streichquartett, Schuberts Quartettsatz und Johann Strauß’ „Kettenbrückenwalzer“ hören. Nicht umsonst studiert knapp die Hälfte der rund 600 japanischen Studenten in Österreich am Mozarteum oder anderen Musik- und Kulturinstituten, erzählt der Wissenschaftsminister. Und überall im Land haben Japaner Österreich-Vereine gegründet, in denen sie (250 Rot-weiß-rot-Fans alleine in Hiroshima) ihrer Liebe zu Maria Theresia und zur österreichischen Musik frönen.

Woran es aber liegt, dass japanische Ohren stundenlang den Klängen Mozarts lauschen wollen, während unsere zumindest nicht für so ausgiebige japanische Musik gemacht sind? Darüber gibt es viele musikwissenschaftliche und gefühlspsychologische Theorien, aber keine ist zwingend. Vielleicht ist es einfach nur eine Kultur- und Mentalitätsfrage. So wie auch Stillhalten und Gezähltwerden nicht jedermanns Sache ist.

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