"Putsch von oben": Ärger über Gerangel um Juncker
Hannes Swoboda ist irritiert, Jean Asselborn findet das Gipfel-Ergebnis "erbärmlich": Dass Jean-Claude Juncker nicht ohne weitere Hürden Chef der nächsten EU-Kommission werden soll, sorgt für Empörung bei Vertretern des Parlaments und bei Politikern der Mitgliedsländer. Das Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs am Dienstag endete ja ohne konkretes Ergebnis - da Widerstand aus Ungarn und vor allem Großbritannien gegen Wahlsieger Juncker kommt, soll nun unter der Ägide von EU-Ratspräsidenten Herman Van Rompuy sondiert werden.
"Ernüchternd bis erbärmlich"
Der Luxemburger Außenminister Asselborn nannte das Ergebnis des Gipfels gar "ernüchternd bis erbärmlich": "Der Rat ist Cameron gestern fast 100-prozentig entgegengekommen", sagte er am Mittwoch im Deutschlandfunk in Bezug auf die Wünsche des britischen Premiers. Die Staats- und Regierungschefs hätten dem EU-Ratspräsidenten Herman Van Rompuy ein Mandat gegeben, etwas zu suchen, was schon längst gefunden sei. "Es wird auf Zeit gespielt, es wird auf Müdigkeit gespielt, mit dem Ziel, das zu erreichen, was eigentlich im Kopf von Cameron und einigen anderen ist."
Konservativer Widerstand
Trotz vierstündiger Beratungen war man Dienstag nach Mitternacht auseinander gegangen, ohne ein Ergebnis verkünden zu können - der Widerstaand gegen Juncker kommt dabei vor allem aus den eigenen Reihen: Bundeskanzlerin Angela Merkel etwa vermied ganz bewusst eine Festlegung auf den konservativem EU-Wahlsieger. Sie habe zwar ihre Unterstützung für den EVP-Spitzenkandidaten "nicht vergessen", doch könne es keinen Automatismus bei der Nominierung geben. Dies entspreche nicht den EU-Verträgen. Auch sei dafür zu "sorgen, dass wir im Rat gut miteinander arbeiten können", sagte sie in Anspielung auf den Widerstand gegen Juncker in einigen EU-Staaten.
"Im Europäischen Rat ist das nicht so klar wie im Parlament oder wie auch meine Meinung ist, sondern es gab doch eine Reihe von Wortmeldungen, die nicht diese klare Anerkennung des Ergebnisses sehen, überraschenderweise aus jener Partei, die Jean-Claude Juncker nominiert hat", sagte der Kanzler Werner Faymann in Hinblick auf die Europäische Volkspartei (EVP), die als stärkste Kraft aus den Europawahlen hervorgegangen ist. "Es ist die Diskussion aufgekommen über eine Blockade", berichtete Faymann von den Gipfelberatungen. "Das ist eine Diskussion, die mich nicht freut."
Vom politischen Gegner wird er allerdings teils durchaus gefördert: Faymann bekräftigte am Dienstag ebenso wie SPE-Spitzenkandidiat Martin Schulz seine Unterstützung für Juncker - Faymann bedauerte, dass der EU-Gipfel in dieser Frage noch nicht weiter gekommen sei. Es sei eine Frage der Glaubwürdigkeit, dass ein Spitzenkandidat Kommissionspräsident werde "und nicht irgendwelche anderen herausgezogen werden, die gar nicht Rede und Antwort gestanden sind im Wahlkampf".
Briten wollen nicht
Der Luxemburger braucht die Unterstützung der Staats- und Regierungschefs, die ihn für das hohe Amt vorschlagen müssen. Widerstand gegen Juncker kommt vom britischen Premierminister David Cameron, aber auch von den EVP-Parteikollegen des Luxemburgers, dem schwedischen Regierungschef Fredrik Reinfeldt und seinem ungarischen Amtskollegen Viktor Orban. Reinfeldt, dessen Land nicht dem Euro angehört und er sich wie Cameron gegen eine weitere Vertiefung der Union ausgesprochen hat, sagte beim Eintreffen beim Gipfel: "Wir haben niemals die Idee eines Spitzenkandidaten unterstützt." Orban hingegen lehnt den Luxemburger mit dem Argument an, dessen Regierung und Parteigänger hätten Ungarn geschadet.
Mehrheitssuche
Dagegen dementierte die slowenische Ministerpräsidentin Alenka Bratusek Gerüchte, dass auch ihr Land dem Cameron-Lager angehöre. Slowenien werde Juncker unterstützen, "wenn er eine breite Mehrheit hat", sagte sie. Aus London war zuvor verlautet, dass der britische Premier Ungarn, Litauen, Irland, Schweden, Slowenien und Deutschland als mögliche Verbündete gegen Juncker sehe. Die als mögliche Alternativkandidaten genannten Regierungschefs Enda Kenny (Irland) und Jyrki Katainen (Finnland) betonten beim Gipfel demonstrativ ihre Unterstützung für Juncker. EU-Ratspräsident Herman van Rompuy ist nun beauftragt worden, sofort und bis zum nächsten EU-Gipfel Ende Juni in Konsultationen mit den EU-Staaten zu treten.
Balanceakt
Vor Beginn des Gipfels in Brüssel stellte sich das EU-Parlament demonstrativ hinter den konservativen Spitzenkandidaten. Die Fraktionschefs des scheidenden Europaparlaments beschlossen eine Erklärung, in der Juncker als Kandidat der größten Fraktion (EVP) ermächtigt wird, als erster Anwärter auf das Amt des Kommissionschef die erforderliche Mehrheit zu finden. Geht seine Bestellung im Europäischen Rat durch, soll das Zustimmungsvotum im Europaparlament Mitte Juli stattfinden. Der designierte Kommissionspräsident braucht eine absolute Mehrheit aller Abgeordneten (367 Stimmen), die wohl nur durch eine Zusammenarbeit der beiden großen Fraktionen, der Konservativen und der Sozialdemokraten, zu erreichen ist.
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