Juncker: 780 Millionen Euro für Umsiedelung

EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker nutzte heute seine erste Rede zur Lage der Europäischen Union, um seine Pläne zum Vorgehen in der Flüchtlingskrise vorzustellen. Er forderte eindringlich vor dem Europäischen Parlament in Straßburg die Verteilung von weiteren 120.000 Flüchtlingen aus Italien, Griechenland und Ungarn. Der Plan folgt dem bereits vor dem Sommer gemachten Vorschlag der Verteilung von 40.000 Flüchtlingen aus Griechenland und Italien. Somit ergibt sich eine Zahl von insgesamt 160.000 auf die EU-Staaten zu verteilenden Flüchtlinge. Außerdem wurde ein Sieben-Punkte-Papier (siehe unten) vorgestellt. Demnach werden für die Umsiedlungsmaßnahmen aus dem EU-Haushalt Gelder in Höhe von 780 Millionen Euro zur Verfügung gestellt.
Er hoffe wirklich, "dass sich diesmal alle beteiligen werden", sagte Juncker zur geplanten geplanten EU-Quote. Ob insbesondere die osteuropäischen EU-Staaten der geforderten verpflichtenden Quote zustimmen, ist derzeit fraglich.
Arbeit ab dem ersten Tag
Schengen, das angesichts der letzten Flüchtlingswellen nach Europa zur Disposition stand, werde nicht abgeschafft, so der Kommissionschef. Und: Asylwerber sollen nach Junckers Willen ab dem ersten Tag arbeiten können. Zudem plant Brüssel eine stärkere finanzielle Unterstützung afrikanischer Staaten, um Fluchtursachen zu beseitigen. Dazu soll es einen Not-Treuhandfonds über 1,8 Milliarden für Hilfe in Afrika geben.
Die Flüchtlingskrise habe "erste Priorität". Von den Mitgliedsstaaten forderte er neben Solidarität "Menschlichkeit und Würde". Es sei richtig, "dass Europa nicht das ganze Elend der Welt beherbergen könne“. "Aber lasst uns ehrlich sein ... Flüchtlinge machen aktuell nur 0,11 Prozent der EU-Bevölkerung aus. Im Libanon, der lediglich ein Fünftel unseres Reichtums genießt, sind es hingegen 25 Prozent."
Schon bei der 40.000er Quote gab es keine Verbindlichkeit und lediglich eine freiwillige Einigung auf die Aufteilung von 32.000 Flüchtlingen. Die Kommission hat angesichts der Probleme in Herkunftsländern einen Not-Treuhandfonds mit 1,8 Mrd. Euro vorgestellt, der zur Bekämpfung der Ursachen der Flüchtlingskrise in Afrika beitragen soll. Über die Vorschläge der EU-Kommission beraten die Innenminister kommenden Montag in Brüssel.
Keine Frage der Religion
Keinesfalls dürfe nach Religion unterschieden werden, wenn es ich um Flüchtlinge handle, sagte Juncker in Richtung jener Staaten, wie etwa der Slowakei, die zuletzt erklärten, lediglich Christen aufnehmen zu wollen. "Geht es da um Selektion, machen wir einen Unterschied Christen, Juden, Muslime? - Dieser Kontinent hat schlechte Erfahrungen mit der Unterscheidung auf der Grundlage religiöser Kriterien gemacht. Es geht nicht um Religion, Philosophie oder Überzeugung. Wenn es um Flüchtlinge geht, sind das Menschen, die zu uns kommen", wofür Juncker starken Applaus im Plenum des EU-Parlaments erhielt.
Die Flüchtlingskrise werde noch länger anhalten. "Aber Boote zurückdrängen, Brände in Flüchtlingsheimen zu legen, arme Menschen nicht sehen zu wollen, das ist nicht Europa. Ich möchte nicht erleben, dass Europa Menschen ablehnt, die Hilfe suchen".
Darüber hinaus will die Kommission am Mittwoch erstmals eine EU-weit geltende Liste mit sogenannten sicheren Herkunftsländern vorlegen, die schnellere Abschiebungen ermöglichen würde. Juncker sagte dazu am Mittwoch vor dem Parlament, dass alle EU-Kandidatenländer sichere Staaten seien. Asylanträge von Staatsbürgern aus diesen Ländern können rascher abgewickelt werden und haben nur wenig Aussicht auf Erfolg. Sollte sich jedoch herausstellen, "dass in diesen Ländern Menschenrechtsverletzungen geschehen, die die Gewährung von Asyl rechtfertigen", müsse man darüber nachdenken, ihnen den Kandidatenstatus abzusprechen, sagte der EU-Kommissionspräsident. "Die EU ist in keinem guten Zustand. Es fehlt an Europa und es fehlt an Union - Das muss sich ändern!"
Brief an Bettel und Schulz
Dem KURIER liegt Junckers Brief vor, den er vorab an Martin Schulz, den Präsidenten des EU-Parlaments und Xavier Bettel, den luxemburgischen Premier adressierte. Darin führt der Kommissionschef aus, dass sich die EU an einem prägenden Moment der Geschichte befinde, da sie vor beispiellosen Herausforderungen stehe. "Wie die Rede zur Lage der Union umreißt, ist es nun nicht die Zeit für Business as Usual", so Juncker. Stattdessen sei es an der Zeit für "pragmatische Lösungen, die es uns erlauben, erfolgreich diese Herausforderungen zu bestehen und stärker im Geist der Europäischen Solidarität und Verantwortung hervorzugehen."
Hier finden Sie den Brief von Jean-Claude-Juncker
In dem Brief umreißt Juncker 10 Prioritäten, die er angehen möchte: An erster Stelle steht die neuerliche Ankurbelung der Wirtschaft, Schaffung von Jobs und Investitionen. Gleich danach folgt ein gemeinsame Digitaler Markt, gefolgt von konzertierter Klimapolitik. Auch die Migrationsfrage wird behandelt. Abschließend schreibt Juncker von einer Union des demokratischen Wandels. "Wir rechnen mit Eurer Partnerschaft, gemeinsam die europäischen Herausforderungen durchzustehen und Resultate zu liefern. Unsere Bürger erwarten und verdienen nichts weniger".
Bundeskanzler Werner Faymann, der ja lange schon die Forderung nach einer EU-Quote unterstützt. freut sich über Bewegung in der Flüchtlingsdebatte. Es brauche nun "dringend" einen Sondergipfel, wo man diese Pläne besprechen könne, so Werner Faymann in einer Aussendung.
EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker hat am Mittwoch im Europaparlament sieben konkrete Maßnahmen vorgestellt. Dabei handelt es sich um:
1. Vorschlag zur Notumsiedlung von 120.000 Flüchtlingen aus
Griechenland,
Ungarn und
Italien.
Die Verteilung der 15.600 Flüchtlinge aus Italien, 50.400 aus Griechenland und 54.000 aus Ungarn soll nach einem verbindlichen Schlüssel auf Grundlage von quantifizierbaren Kriterien (Bevölkerungszahl: 40 Prozent, BIP: 40 Prozent, durchschnittliche Zahl der bisherigen Asylanträge: zehn Prozent, Arbeitslosenquote: zehn Prozent) erfolgen. Betroffen von der Aufteilung sind nur 22 EU-Länder, unter ihnen Österreich. Griechenland, Ungarn und Italien sind ausgenommen und Großbritannien, Irland und Dänemark haben eine Ausnahmeregelung. Infrage kommen Flüchtlinge aus Ländern, bei denen die durchschnittliche Anerkennungsquote in der EU mindestens 75 Prozent beträgt, derzeit sind dies Syrien, Eritrea und Afghanistan. Für die Umsiedlungsmaßnahmen werden aus dem EU-Haushalt Gelder in Höhe von 780 Mio. Euro zur Verfügung gestellt.
2. Ein auf Dauer angelegter Umsiedlungsmechanismus für alle Mitgliedstaaten:
Wie in der Europäischen Migrationsagenda angekündigt, schlägt die Kommission einen strukturierten Solidaritätsmechanismus vor, der jederzeit von der Kommission aktiviert werden kann, um einem EU-Mitgliedstaat zu helfen, der sich in einer Notlage befindet und dessen Asylsystem aufgrund eines unverhältnismäßig großen Zustroms von Drittstaatsangehörigen extremem Druck ausgesetzt ist. Ob eine solche Notlage vorliegt, entscheidet die Kommission anhand der Zahl der in den letzten sechs Monaten gestellten Asylanträge, dem BIP pro Kopf sowie der Zahl der irregulären Grenzübertritte der letzten sechs Monate.
3. Eine gemeinsame europäische Liste sicherer Herkunftsstaaten:
Damit könnten Asylanträge von Staatsangehörigen aus EU-weit als sicher geltenden Staaten schneller bearbeitet und Rückführungen schneller durchgeführt werden, wenn die individuelle Prüfung des Antrags keinen Anspruch auf Asyl ergibt. Die bisherige EU-Liste sicherer Herkunftsländer wird um Albanien, Bosnien und Herzegowina, die ehemalige jugoslawische Republik Mazedonien, Kosovo, Montenegro, Serbien und die Türkei erweitert. Juncker kündigte aber gleichzeitig an, dies bedeute nicht, dass das Asylrecht für Menschen aus diesen Staaten nicht mehr gelte.
4. Effektivere Organisation der Rückkehr/Rückführung:
Ziele sind die Förderung der freiwilligen Rückkehr und die Umsetzung der Rückführungsrichtlinie, Verbesserung des Informationsaustauschs, Stärkung der Rolle und des Mandats der EU-Grenzschutzagentur Frontex bei Rückführungseinsätzen und Einführung eines integrierten Rückkehrmanagements.
5. Rasche Hilfe der EU-Staaten für Flüchtlinge:
Die Mitgliedstaaten müssen die dringendsten Bedürfnisse der Asylsuchenden, was Unterbringung und Versorgung mit Waren und Dienstleistungen angeht, rasch und angemessen erfüllen.
6. Externe Dimension der
Flüchtlingskrise:
Die EU leistet in Syrien Hilfe an Ort und Stelle insbesondere für Binnenflüchtlinge und unterstützt Nachbarländer wie Jordanien, Libanon oder Türkei, die den Großteil der Flüchtlinge aus Syrien beherbergen. Bisher wurden dafür 3,9 Mrd. Euro zur Verfügung gestellt. Die Bekämpfung von Menschenschmugglern stellt eine weitere Priorität dar, dafür wurde die umstrittene Anti-Schleppermission EUVAVFOR MED gegründet. Mit den Herkunfts- und Transitländern wurden zudem rund 17 Rückübernahmeabkommen und sieben Mobilitätspartnerschaften unterzeichnet. Für Anfang Oktober ist eine Flüchtlingskonferenz mit den Westbalkanländern in Ungarn geplant, eine weitere mit afrikanischen Staaten am 11. und 12. November auf Malta.
7. Treuhandfonds für
Afrika:
Die Europäische Kommission hat 1,8 Mrd. Euro für einen Nothilfe-Treuhandfonds bereitgestellt, der helfen soll, afrikanische Staaten zu stabilisieren und die Migrationsursachen zu bekämpfen. Profitieren sollen die Länder der Sahelzone, in der Tschadsee-Region, am Horn von Afrika und in Nordafrika.
Juncker hat bei seiner Rede zur Lage der Nation auch betont, dass der Austritt Griechenlands aus der Eurozone "keine Option" gewesen sei. Es sei die "Pflicht der EU-Kommission" gewesen, das allgemeine Interesse zu wahren. "Sich nicht mit Griechenland zu befassen, wäre eine unverzeihliche Schwäche gewesen". Griechenland liege ihm sehr am Herzen, betonte Juncker. Er habe dem früheren griechischen Premier Alexis Tsipras "unermüdlich erläutert, dass es 19 Demokratien in der Eurozone gibt, nicht nur die griechische Öffentlichkeit".
In der Debatte über die Mitgliedschaft Großbritanniens hat Juncker der Regierung in London Entgegenkommen signalisiert. "Ich werde an einem fairen Deal für Großbritannien arbeiten", sagte Juncker am Mittwoch vor dem Europäischen Parlament in Straßburg.
Die Mitgliedschaft des Königreichs sei besser für die EU und für das Land selbst. Juncker erinnerte daran, dass sowohl die EU-Kommission als auch die britische Regierung eine Vertiefung des Binnenmarktes und Bürokratieabbau wollten. Allerdings dürfe aus dem Abbau von Regeln keine Regelanarchie werden, mahnte Juncker. Die britische Regierung unter Premierminister David Cameron will bis Ende 2017 ein Referendum über die Mitgliedschaft in der EU abhalten. Der britische Konservative will Kompetenzen von der EU-Ebene zurückholen.
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