Juncker zum Kommissionschef gewählt

Zuerst gab's Beifall für seine Rede, danach ein respektables Ergebnis: Die EU hat einen neuen Kommissionspräsidenten.

Die Wahl ist geschlagen: Nach langem Zittern, ob die Stimmenzahl für Jean-Claude Juncker auch ausreichen wird,hat der Luxemburger ein durchaus gutes ergebnis erzielen können. Notwendig war die absolute Mehrheit sämtlicher 751 Abgeordneten, also mindestens 376 Mandatare - Juncker erzielte nach Angaben aus Parlamentskreisen 422 der Stimmen und lag damit deutlich darüber. Parlamentspräsident Martin Schulz, in der Wahl noch Konkurrent Junckers, bezeichnete die Wahl als "historisch".

Eine Übersichtsgrafik der Spitzenpositionen in der EU mit Porträts und Namen der Amtsinhaber.
Spitzenpositionen in EU-Institutionen (Parlament, Rat, Kommission, Außenbeauftragte, Eurogruppe) - Neubesetzungen und Kandidaten für vakante Posten mit Fotos Grafik 0832-14-EU.ai, Format 88 x 214 mm
Insgesamt gaben 729 Europamandatare ihre Stimme ab, davon waren 47 Zettel leer, diese wurden als Enthaltung gezählt, sagte Schulz. Zehn weitere Stimmzettel waren ungültig. Juncker selbst zeigte sich erleichtert. Er stimme dem von Schulz vorgeschlagenen Prozedere der schriftlichen Übermittlung des Wahlausgangs natürlich gerne zu. "Aber bitte schicken Sie die Kopien an alle" in der EU, spielte der neue Kommissionspräsident offenbar auf Großbritannien und Ungarn an, ohne aber deren Premiers namentlich zu nennen. Der britische Premier David Cameron und der ungarische Regierungschef Viktor Orban hatten zuletzt beim EU-Gipfel als einzige der 28 Staats- und Regierungschefs die Nominierung Junckers abgelehnt.

Die Mitglieder der Kommission (siehe Grafik) werden morgen gekürt: Juncker kann nun die einzelnen Kandidaten für seine neue Kommission benennen. Österreich hat neuerlich Regionalkommissar Johannes Hahn (ÖVP) als Kandidat nominiert.

Humoristische Einlagen

Die Debatte, die der Wahl vorausgegangen war, war wenig von Misstönen geprägt - vielmehr gab man sich launig: Juncker selbst ging am Dienstag auf Vorwürfe des britischen EU-Gegners Nigel Farage und der Französin Marine Le Pen mit einem leichten Sarkasmus ein. Der Brite hatte Juncker nämlich attestiert, "jemand zu sein, der einen bessere Sinn für Humor hat als die meisten, die ich in Brüssel getroffen habe". Allerdings sei eine Abstimmung über nur einen Kandidaten vergleichbar mit ehemaligen Sowjetzeiten. Auch die geheime Wahl sei eine "Beleidigung der Wähler".

Juncker meinte dazu lediglich, mit seiner Kritik an der geheimen Wahl wolle Farage nur verhindern, "dass seine Wähler herausfinden, dass er für mich gestimmt hat. Von daher gesehen empfiehlt sich doch eine geheime Abstimmung". Juncker launig: "Die geheime Wahl ist eine Konzession zugunsten von Herrn Farage. Ich hätte das nicht gemacht."

"Danke, dass sie nicht für mich stimmen"

Marine Le Pen vom rechtsextremen Front National kritisierte, dass "Juncker am Unheil unserer Völker teilnehmen" werde. Bei den EU-Wahlen in Frankreich hätten die Franzosen "Nein zu Brüssel, Nein zur Konfiszierung der Demokratie, Nein zur Dummheit der regressiven Politik und zur organisierten massiven Einwanderung gesagt". Die EU sei ein "verrücktes, tödliches Projekt" geworden. Juncker sei tatsächlich bei den EU-Wahlen nicht gewählt worden und habe keine Legitimität. Er wolle jetzt die ganze EU zu einem Steuerparadies ausweiten. Es sei notwendig, "endlich die Kommission und die ganze europäische Technostruktur in den Papierkorb der Geschichte werfen zu können". Juncker antwortete, er "danke Le Pen, dass Sie nicht für mich stimmen. Ich bin Ihnen zu tiefstem Dank verpflichtet".

Demokratieschub vs. Kompromiss

Der ÖVP-Delegationsleiter im Europaparlament, Othmar Karas, bezeichnete die Wahl Junckers als unumkehrbaren Demokratieschub für die EU. Noch nie sei ein Kommissionspräsident mehr durch die Bürger legitimiert gewesen als Juncker und dieses Recht dürfe nicht mehr weggenommen werden. Juncker werde "zum unabhängigsten Kommissionspräsidenten".

Der SPÖ-Delegationsleiter Jörg Leichtfried sagte, Juncker sei ein Kompromisskandidat. Allerdings habe er sich beim Hearing vor den Sozialdemokraten tatsächlich glaubwürdig für das Prinzip gleicher Löhne für gleiche Arbeit am gleichen Ort und damit gegen Sozialdumping eingesetzt. Seine Fraktion habe vor der Abstimmung beschlossen, Juncker mehrheitlich zu unterstützen, jedoch: "Rund 30 bis 35 von 190 werden nicht für den Luxemburger sein." Es könne aber "nicht so sein, dass die Orbans und Camerons gewinnen. Das wollen wir nicht". Der britische Premier David Cameron und der ungarische Regierungschef Viktor Orban hatten sich massiv gegen Juncker ausgesprochen.

Keine "Spaltung"

Die grüne Delegationsleiterin Ulrike Lunacek sagte bereits im Vorfeld, ihre Fraktion werde zu zwei Drittel nicht für Juncker stimmen. Sie selbst gehöre zu dem einen Drittel, das Juncker unterstütze. Darauf angesprochen, dass die Grünen in dieser Frage gespalten seien und das EU-Parlament bei einer Ablehnung Junckers sich selbst schwächen und ein Desaster auslösen würde, sagte Lunacek, sie wehre sich "dezidiert" dagegen, von Spaltung zu reden. "Das ist eine Strategie, was Juncker betrifft" und ein Signal für künftige Kooperationen. Es gehe auch nicht um die Frage, ob es für Juncker ein Triumph werde oder nicht. Für einen Mangel an Zustimmung seien aber keineswegs die Grünen zuständig.

Der freiheitliche Delegationsleiter Harald Vilimsky lehnt Juncker ebenso wie seine drei Parlamentskollegen entschieden ab. Juncker sei eine Antithese zu einem Europa, das auf der Souveränität von Nationalstaaten beruhe. Juncker sei der Lokführer im Hochgeschwindigkeitszug in Richtung eines Bundesstaates Europa. Außerdem stehe Juncker für einen "Einheitsbrei", so Vilimsky.

Der nimmermüde Konsensfabrikant

Eine Grafik zeigt die Präsidenten der EU-Kommission seit 1958 mit Amtszeiten und Parteizugehörigkeit.
Zeitleiste mit bisherigen Präsidenten mit Parteizugehörigkeit sowie nominierte Person Grafik 0644-14-EU.ai, Format 134 x 66 mm

Juncker hat in seiner Rede im Europaparlament - die er übrigens auf Deutsch, Englisch und Französisch hielt - mit einem 300 Milliarden Euro schweren Investitionsprogramm gegen Arbeitslosigkeit für Zustimmung geworben. Das "anspruchsvolle Investitionspaket" aus öffentlichen und privaten Mitteln solle mehr Wettbewerbsfähigkeit, Wachstum und soziale Gerechtigkeit ermöglichen, sagte Juncker am Dienstag in Straßburg.

Mehrfacher Applaus

Das Programm werde die "Re-Industrialisierung Europas" fördern und auf drei Jahre angelegt sein. Die Europäische Union müsse wieder ein attraktiver Standort für Investoren und Arbeitnehmer werden, betonte der Luxemburger Christdemokrat, der abwechselnd Französisch, Deutsch und Englisch sprach. "Die Wirtschaft muss den Menschen dienen, nicht umgekehrt", Profitgier dürfe nicht vor soziale Errungenschaften gehen. Er sei ein "begeisterter Anhänger" der sozialen Marktwirtschaft und wolle "ein Kommissionspräsident des sozialen Dialogs sein", sagte Juncker, dem die Abgeordneten wiederholt Applaus spendeten.

Starkes Zeichen nach außen

Für das das Amt des EU-Außenbeauftragten forderte Juncker einen profilierten Politiker. Der oder die neue Amtsinhaberin müsse ein starker und erfahrener Akteur sein, sagte Juncker am Dienstag vor seiner Wahl zum Chef der EU-Kommission im EU-Parlament. "Die EU-Außenpolitik muss stark nach außen repräsentiert werden."

Die Staats- und Regierungschefs der EU wollen am Mittwoch in Brüssel über die Nachfolge der britischen EU-Außenbeauftragten Catherine Ashton entscheiden. Juncker kündigte an, dass dem EU-Außenbeauftragten diejenigen EU-Kommissare unterstellt werden, die für Außenthemen mit zuständig seien. Der EU-Außenbeauftragte ist am EU-Rat als Vertretung der EU-Staaten angedockt und fungiert zugleich als Vizepräsident der EU-Kommission.

Kommentare