Freiheitsheld oder Verräter?

Ein neuer Film feiert den polnischen Oberst, der den USA Sowjet-Geheimnisse verriet.

Wer war Ryszard Kuklinski, der Oberst der polnischen Volksarmee und Agent der CIA, der von 1972 bis 1981 40.000 Seiten Dokumente über Aufmarschpläne und Waffensystem des Warschauer Pakts an die USA lieferte? Handelte er zugunsten oder zum Schaden von Polen?

An der Weichsel wird diese Frage durch einen einheimischen Film befeuert, der vergangene Woche in die polnischen Kinos kam. " Jack Strong" heißt er, nach dem Pseudonym des Agenten. Der Untertitel "Operation Freiheit" macht klar, wie Kuklinski gesehen werden soll – als Retter Polens.

Um zu verhindern, dass die UdSSR bei einer Konfrontation mit den USA Polen in ein Hiroshima verwandelt, habe sich der Stabsoffizier zur Mitarbeit mit der CIA entschlossen, auf dass Moskau vor einem Angriffskrieg abgeschreckt würde. Zudem, so der Film und eine US-Biografie, habe Kuklinskis Material die Sowjetunion so unter Druck setzen können, dass sie 1980 von einem Einmarsch in Polen absah, wo die freie Gewerkschaft Solidarnosč mitbestimmte.

Kuklinski, der 1981 kurz vor seiner Aufdeckung in die USA floh, starb 2004 in Florida im Alter von 73 Jahren an einem Schlaganfall.

"Kuklinski verdient eine dankbare Erinnerung seiner Landsleute, die heute in einem freien und souveränen Land leben", meint Staatspräsident Bronislaw Komorowski bei der Premiere des Films, bei der auch Kuklinskis ehemalige Führungsoffiziere der CIA anwesend waren.

Nach einer älteren Umfrage glauben 62 Prozent der Polen, der Agent habe zum Nutzen Polens gehandelt. Zu ihnen gehört auch Grzegorz Popielek, der das Grab Kuklinskis auf dem Warschauer Militärfriedhof besucht. Er selbst war Solidarnosč-Mitglied und gehört zu einer Offiziersfamilie – sein Vater habe zu Hause in den 80er-Jahren positiv über Kuklinskis Tat gesprochen.

Zum Tod verurteilt

In Abwesenheit wurde der polnische Offizier 1984 wegen Hochverrats zum Tode verurteilt, was 1990 im demokratischen Polen in eine hohe Haftstrafe umgewandelt wurde. "Für die einen Polen wird er ein Verräter bleiben, für die anderen ein Held", meint Leszek Miller, Chef der Linkspartei SLD, diplomatisch im Gespräch mit dem KURIER. Miller hat 1997 in seiner Eigenschaft als Premier Kuklinski rehabilitieren müssen, auf Druck der USA sowie auf Bestreben der Polen in Amerika. Es war eine der Bedingungen für die NATO-Mitgliedschaft des Landes, so Miller, der Kuklinski persönlich getroffen hatte. "Er hat einen hohen Preis gezahlt", so Miller in Anspielung auf dessen Söhne, die unter ungeklärten Umständen in den USA ums Leben kamen.

Walesa auf Distanz

Doch ausgerechnet Lech Walesa, Ex-Chef der Solidarnosč und Gegenspieler der kommunistischen Regierung, vermied es, Kuklinski zu treffen, als dieser 1998 Polen besuchte, und ist bis heute in der Bewertung des CIA-Agenten undeutlich.

Pointierter äußern sich die polnische Linke und ehemalige Militärs der Volksrepublik. Das Nachrichtenmagazin Przeglad weist darauf hin, dass Kuklinski bereits in den 60ern für den polnischen Nachrichtendienst WSW arbeitete und eigene Kollegen bespitzelte. Auch soll er 1968 in Vietnam von der CIA angeworben worden sein, als er dort im Rahmen einer internationalen Kommission zu Besuch war. Kuklinski sei als Frauenheld in den Saigoner Nachtclubs in eine Falle getappt. Die offizielle Version, die freiwillige Kontaktaufnahme per Brief mit der US-Botschaft in Bonn 1972, wäre zu gefährlich gewesen, meint das Magazin.

Abwehrpläne verraten

"Wäre es zu einem Konflikt gekommen, so hätte dies Kuklinski geschadet", so Aleksander Makowski in polnischen Medien. Der Ex-Geheimdienstoffizier arbeitete leitend für polnische Dienste vor und nach der Wende. Ihm zufolge habe der polnische Überläufer Sicherheitsmaßnahmen gegen einen Chemie-Angriff von NATO-Staaten weitergeleitet.

Adam Krzeminski, Politik-Redakteur der Polityka, erklärte gegenüber dem KURIER, die Bedeutung von Kuklinski werde überschätzt. Doch der Film kommt dem Wunsch vieler Polen entgegen, eine weitere wichtige Figur der Weltgeschichte ihr Eigen nennen zu können. Die jetzt aufgetauchte Frage, ob Straßen und Plätze nach ihm benannt werden sollen, ist daher äußerst umstritten.

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