Italien: Renzi will ohne Wahlen an die Macht

Matteo Renzi während einer Rede mit einem Finger am Mund.
Die Linke stürzt ihren eigenen Premier. Letta hat am Freitag seinen Rücktritt eingereicht.

Das kommt auch nicht alle Tage vor: Der Chef der Demokratischen Partei (PD), Matteo Renzi, hat am Donnerstag die Ablöse seines Parteifreundes Enrico Letta vom Posten des Ministerpräsidenten durchgesetzt. "Es ist Zeit für eine neue Phase", hatte Renzi eine neue Regierung für Italien gefordert – mit ihm als Premier. Das PD-Gremium war mit klarer Mehrheit – 136 Ja-Stimmen gegen 16 Nein-Stimmen – Renzis Vorstoß gefolgt. Noch-Regierungschef Letta hat bereits am Freitag bei Staatspräsident Giorgio Napolitano seinen Rücktritt nach nur zehnmonatiger Amtszeit eingereicht.

"Bürde für das Land"

Matteo Renzi wird von einer Gruppe von Reportern und Kameraleuten umringt.
epa04074216 Italian Democratic Party (PD) leader Matteo Renzi (C) arrives to the PD office for a party meeting in Rome, Italy, 13 February 2014. Renzi, the energetic 39-year-old mayor of Florence, has since his election as PD leader in December launched a campaign against the government over its failure to implement promised reforms and boost the economy. Prime Minister Enrico Letta was set for a showdown with Renzi, who is rumored to be seeking to take over his job. EPA/ALESSANDRO DI MEO
"Diese Regierung riskierte, zu einer Bürde für das Land zu werden", hatte Renzi, der 39-jährige Bürgermeister von Florenz, gegenüber Parteikollegen seinem Ärger Luft. Seit Monaten attackierte er seinen "Parteifreund" Letta, von dem er grundlegende Wirtschaftsreformen und vor allem ein neues Wahlgesetz forderte.

"Ich bin gelassen. Sollte die Angelegenheit schlecht ausgehen, könnte ich in jedes beliebige Kloster gehen, um Zen-Unterricht zu geben", hatte Letta noch am Mittwoch bei einer Pressekonferenz gescherzt, als er seinen Wirtschaftsplan für Italien vorgestellt hatte. Und weiter: "Es ist ein italienisches Phänomen, dass die Hürden aus den eigenen Parteireihen größer sind als jene der Opposition."

PD-Chef Renzi hatte wiederholt Lettas Regierungsarbeit kritisiert, dem er mangelnden Reformwillen vorwirft. Er hätte Italien nur noch verwaltet, jedoch keine Schritte für Wachstum und Beschäftigung ergriffen.

Dem hemdsärmeligen "rottamatore", Verschrotter, der die Politiker-Kaste abschaffen will, werfen Gegner hingegen persönliches Kalkül vor. Er könnte es vor lauter Ehrgeiz und Machthunger nicht mehr erwarten, an die Macht zu kommen.

"In Europa wird man normalerweise Regierungschef, nachdem man bei der Wahl gewonnen hat. Anders in Italien, bei uns reicht ein Sieg bei den Primärwahlen einer Partei", analysiert der Politologe Ernesto Galli della Loggia in der italienischen Zeitung Corriere della Sera die italienische Anomalie, in der Renzi wohl neuer Premier wird.

Todesstoß

Auch wenn der Florentiner viele Sympathien im Berlusconi-Lager und unter Politik-Verdrossenen genießt, wird sein Todesstoß für Letta – wie Blitzumfragen zeigen – nicht gutgeheißen. Rund 80 Prozent der Befragten sprachen sich gegen einen fliegenden Wechsel aus.

Eine neue politische Krise kann das Land, das in der schwersten Wirtschaftskrise seit dem Zweiten Weltkrieg steckt, aber nicht gebrauchen. Der Steuerdruck hat laut aktuellem Bericht des Statistikamtes Istat ein neues Rekordhoch von 44,1 Prozent erreicht. Drastisch gestiegene Arbeitslosenzahlen und sinkende Einkommen verschärfen die angespannt-prekäre Lage zusätzlich.

Mit 34 Jahren bestieg Matteo Renzi den Bürgermeisterstuhl der toskanischen Kunstmetropole Florenz. Mit gerade einmal 38 kürte man ihn zum Chef der sozialdemokratischen Regierungspartei PD. Nur ein paar Monate später - inzwischen hat er seinen 39. Geburtstag gefeiert - sägte Renzi am Stuhl des Ministerpräsidenten - immerhin Parteifreund im Partito Democratico - und gewann. Am Donnerstag trat Letta zurück.

In den Wochen zuvor hat der ebenso dynamische wie selbstbewusste Florentiner Renzi wohl keinen Tag vergehen lassen, ohne die seiner Meinung nach viel zu lahme Regierung des Enrico Letta aufs Korn zu nehmen. Massive Reformen verlangt er, und zwar subito - also sofort. Wie ein Wirbelwind scheint er die Politiker-Garde wegfegen zu wollen.

Gegner nennen den Überflieger und Senkrechtstarter aus der Toskana mal populistisch, mal postideologisch. Ein Dorn im Auge ist er in der Partei all jenen, die aus einem sozialistisch-kommunistischen Umfeld kommen, und das sind in Italien nicht wenige; vor allem die Getreuen des früheren Parteichefs Pier Luigi Bersani, zu denen Renzi früh auf Konfrontationskurs ging.

Während Bersani mit dem umstrittenen Silvio Berlusconi nie eine Koalition eingehen wollte, ist der hemdsärmelige Charismatiker Renzi in gutem Kontakt mit dem "Cavaliere". Der findet eine Art Seelenverwandtschaft mit diesem "Nachwuchspolitiker" vor. Er empfängt ihn in seiner "Bunga-Bunga"-Villa Arcore und lässt sich von ihm aufwerten: Beide vereinbarten Details zu einer Wahlrechtsreform. Dass er den 77-jährigen Berlusconi, der rechtskräftig verurteilt und aus dem Senat geflogen ist, also zu schätzen scheint und wieder hoffähig macht, das nehmen dem studierten Juristen aus Florenz sicher viele übel.

Gegen den Amtsschimmel

Renzi schreitet jedoch unbekümmert in einem Tempo voran, dass die Parteifreunde befürchten müssen, er werde sich verschleißen. Denn schon die Aussicht, ohne Neuwahlen die Regierungsmacht sofort zu übernehmen, kann ihm eigentlich nicht gut passen. Zu wichtig wäre eine Wahlrechtsreform, die das Land leichter regierbar machen würde, und dann eine ordentlich angesetzte Neuwahl.

Aber er hat mächtig Rückenwind. Mit praller Zweidrittelmehrheit ist Renzi im Dezember bei einer Urwahl zum Chef der derzeit größten Partei Italiens gekürt worden. Ein Jahr zuvor hatte er schon einmal nach diesem Machtinstrument gegriffen, jedoch gegen Bersani verloren. Im Dezember gewann er nun haushoch, wobei Letta seinen Konkurrenten unterstützte. Seitdem stichelt Renzi: Die Bürokratie, die Steuerlast und Steuerflucht, die schwerfällige Justiz, bei all diesen Problemen fehle es der unfähigen Politik an Ehrgeiz, diese anzugehen, wettert er gerne. Die tiefe Wirtschaftskrise biete auch eine letzte Chance, gezwungenermaßen zu reformieren: "Weg mit den Provinzen, mit dem Senat, mit der Hälfte der Sessel in den Regionalräten", schlägt er etwa vor, die Axt bei den administrativen und politischen Ämtern anzulegen. Und die Fesseln der EU-Sparpolitik möchte er abstreifen.

Für einen Großteil seiner Landsleute ist Renzi Hoffnungsträger. Ihm trauen die Unterstützer zu, auch im Lager des konservativen Berlusconi um Stimmen zu werben. Denn er gilt als erfahren im Umgang mit den Medien und auch als forsch und impulsiv - was gerade bei den jungen Italienern gut ankommt. Mitunter wird der Vater dreier Kinder etwa mit Tony Blair oder mit dem jungen Gerhard Schröder verglichen. Nun will Renzi das Sorgenkind Italien aus dem tiefen Sumpf ziehen.

Kommentare