Zerreißprobe für Berlusconi-Partei

Italiens Premier Enrico Letta hofft, mit abtrünnigen Berlusconi-Parlamentariern doch noch seine Regierung zu retten. Denn das rechte Lager des Cavaliere – so der noch immer gültige Ehrentitel des verurteilten Ex-Premiers Silvio Berlusconi – traf sich gestern zu einer Krisensitzung und stand angeblich kurz vor der Spaltung.
In Berlusconis Partei „Volk der Freiheit“ (PdL) regt sich Widerstand. Abtrünnige PdL-Parlamentarier gehen nach dem letzten Staatsstreich Berlusconis auf Konfrontationskurs. Mit seinem letzten Versuch, sich vor der Haft zu retten, nimmt Berlusconi noch einmal das politische Leben Italiens in Geiselhaft. Doch parteiintern stehen nach dem überstürzten Rücktrittsbefehl an seine fünf Minister die Zeichen bereits auf Spaltung. Angeblich ist eine Gruppe von 35 bis 40 Personen aus dem Berlusconi-Lager startbereit, um der PdL den Rücken zu kehren. Sie weigern sich, das parteiinterne Dokument unterzeichnen, in dem sie sich zum Massenaustritt aus dem Parlament verpflichten, sollte das Gremium des Senats am Freitag Berlusconi seinen Senatssitz entziehen. Danach folgt noch eine Abstimmung im Plenum des Senats und auch des Abgeordnetenhauses, wo Lettas Partei die Mehrheit hat.
Kampf um 19 Stimmen

Damit könnte Letta seine Regierung retten und endlich Prioritäten wie ein neues Wahl- und Haushaltsgesetz in Angriff nehmen. Gestern, Montagnachmittag, versammelte Berlusconi seine Leute zu einer Krisensitzung. Heftige Auseinandersetzungen zwischen „Falken und Tauben“, also rechten Hardlinern und dem moderaten Flügel der Partei, standen auf der Tagesordnung.
Vier der fünf Minister, die sich dem Rücktrittsbefehl beugen mussten, kritisierten offen den Befehl ihres 77-jährigen Parteiführers. Ex-Gesundheitsministerin Beatrice Lorenzin erklärte: „Ich teile nicht die Linie derjenigen, die Berlusconi beraten. Ich werde nicht Mitglied einer Partei sein, die sich in Richtung einer radikalen Rechten entwickelt.“ Ihrem Parteikollegen und bisherigen Reformminister Gaetano Quagliariello ist der Preis für Neuwahlen zu hoch: „Vorgezogene Parlamentswahlen sind ein Pyrrhussieg.“
Für den zurückgetretenen Verkehrsminister Maurizio Lupi hat die neue Forza Italia nichts mit der von Berlusconi 1994 gegründeten Bewegung zu tun.
Auch Ex-Landwirtschaftsministerin Nunzia De Girolamo wendet sich ab. Selbst Berlusconis „Ziehsohn“, Parteichef und Vize-Premier Angelino Alfano, steht nicht mehr hundertprozentig hinter seinem Chef: Es dürfen keine Schmutzkübel über jene ausgeleert werden, die sich Befehlen der Parteispitze widersetzen.
Bei der parteiinternen Zerreißprobe versuchen sich dennoch die Hardliner durchzusetzen. Dazu zählt Berlusconis Vertraute Daniela Santanché, die sich in allen Talk-Shows für den vorbestraften Medientycoon einsetzte. Auch Anwalt und Parlamentarier Nicolò Ghedini boykottiert von Beginn an die Regierungskoalition und pocht auf Neuwahlen.
Silvio Berlusconi sieht sich als strahlender Held, ein Siegertyp. Der Zweck heiligt die Mittel, sein Credo von Anfang an. Skrupellos, korrupt, kriminell. So gelang ihm der Aufstieg, so hielt er sich trotz aller Linken, die er drehte, unsagbar lang an der Macht. Berlusconi pfiff auf alle Regeln und Gesetze, fand immer wieder ein Schlupfloch – dank seines Geldes, seiner Medienmacht, seiner Anwälte, seiner treuen Wähler, die ihm alles nachsahen.
Die Opferrolle passt nicht zu ihm. Nach 59 angeblich durchwachten Nächten nach seiner rechtskräftigen Verurteilung wegen Steuerbetrugs ging er wieder zum Kampf über: Der Bruch der Koalition als Befreiungsschlag, mit dem er hofft, in all den Turbulenzen von Regierungskrise bis Neuwahlen wieder einmal davonzukommen. Seinen Senatssitz zu behalten und der Justiz die lange Nase zu zeigen. Solange er im Parlament sitzt, so lange tritt der Haftbefehl nicht in Kraft. Dafür nimmt er ein ganzes Land in Geiselhaft – und das in der schwersten Rezession seit dem Zweiten Weltkrieg. Das ist ihm völlig egal. Doch diesmal ist Berlusconi der Sieg nicht gewiss. Wann, wenn nicht jetzt, fällt für ihn der letzte Vorhang?
Kommentare