Internationale Kritik an israelischem Vorgehen gegen Demonstranten

PALESTINIAN-ISRAEL-CONFLICT-US-GAZA
Zwei weitere Palästinenser erschossen. Laut "Save the Children" 150 Kinder angeschossen.

Nach dem Tod dutzender palästinensischer Demonstranten im Gazastreifen wächst die Kritik am israelischen Vorgehen gegen die Proteste. Deutschland, Großbritannien, Belgien und die Schweiz sprachen sich am Dienstag für eine internationale Untersuchung der Vorfälle aus. Die Türkei verwies den israelischen Botschafter aus Protest vorübergehend des Landes.

Präsident Recep Tayyip Erdogan bezeichnete Israel am Dienstag als "Apartheidstaat". Dem israelischen Regierungschef Benjamin Netanyahu warf er vor, er habe "das Blut von Palästinensern an den Händen". Israel verwies den türkischen Konsul bis auf weiteres des Landes.

Bei Zusammenstößen zwischen Palästinensern und der israelischen Armee an der Grenze des Gazastreifens waren am Montag 60 Palästinenser getötet und mehr als 2.700 verletzt worden. Die Proteste entzündeten sich an der Verlegung der US-Botschaft von Tel Aviv nach Jerusalem. Der UNO-Menschenrechtsrat und Amnesty International sprachen mit Blick auf das israelische Vorgehen von "Kriegsverbrechen".

Palästinenser-Präsident Mahmoud Abbas hat den PLO-Vertreter in Washington zurückbeordert. Der Gesandte der Palästinensischen Befreiungsorganisation, Hussam Somlot, befinde sich bereits auf der Heimreise, sagte Chefunterhändler Saeb Erekat im palästinensischen Fernsehen am Dienstag. In einer Erklärung des Außenministeriums hieß es, die Entscheidung sei nach dem Umzug der US-Botschaft in Israel von Tel Aviv nach Jerusalem getroffen worden. 

Palestinian demonstrators carry tires during a protest against U.S. embassy move to Jerusalem and ahead of the 70th anniversary of Nakba, at the Israel-Gaza border, east of Gaza City

Die Arabische Liga forderte den Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) zu Ermittlungen zu den "Verbrechen der israelischen Besatzer" auf. IStGH-Chefermittlerin Fatou Bensouda erklärte, ihre Ermittler beobachteten die Ereignisse vor Ort aufmerksam, sie werde "angemessene Schritte ergreifen".

Reporter ohne Grenzen vermutet "Kriegsverbrechen"

Auch Reporter ohne Grenzen (ROG) rief am Dienstag den IStGH an. Die Organisation wirft der israelischen Armee "Kriegsverbrechen" gegen palästinensische Journalisten im Gazastreifen vor. Dabei geht es nicht nur um die jüngste Gewalt, sondern um Schüsse, die das Militär seit Ende März auf rund 20 palästinensische Journalisten abgegeben haben soll. ROG beklagt zwei Todesfälle.

Die Türkei und Südafrika beorderten aus Protest bereits am Montagabend ihre Botschafter aus Israel zu Beratungen zurück. Belgien und Irland bestellten am Dienstag Israels Botschafter ein.

Female Palestinian demonstrator gestures during a protest against U.S. embassy move to Jerusalem and ahead of the 70th anniversary of Nakba, at the Israel-Gaza border, east of Gaza City

Im Gegensatz zur internationalen Kritik bescheinigte die US-Botschafterin bei den Vereinten Nationen, Nikki Haley, Israel, "mit Zurückhaltung" gegen die palästinensischen Demonstranten vorgegangen zu sein. Die USA hatten Diplomaten zufolge bereits am Montag im UNO-Sicherheitsrat einen Entwurf für eine gemeinsame Stellungnahme, die die Forderung einer unabhängigen Untersuchung beinhaltete, blockiert.

Auf Antrag Kuwaits kommt der Sicherheitsrat am Dienstag um 16.00 Uhr MESZ zu einer Dringlichkeitssitzung zusammen. Kuwait kündigte den Entwurf einer UNO-Resolution zum Schutz palästinensischer Zivilisten an.

Auch Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron fordert zum Schutz der Zivilbevölkerung auf. Er teilte am Dienstag dem israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanyahu seine große Besorgnis über die Lage im Gazastreifen telefonisch mit, hieß es aus Elysee-Kreisen. Macron verurteilte demnach die Gewalttätigkeiten und erwähnte das Recht, friedlich zu demonstrieren.

Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) drückte ebenfalls in einem Telefonat mit Netanyahu ihre "Sorge über die Eskalation der Gewalt aus", wie Regierungssprecher Steffen Seibert mitteilte. Deutschland habe "Verständnis für die Sicherheitsbelange Israels". Kritik am harten Vorgehen der israelischen Armee wurde nicht geäußert. Stattdessen hieß es mit Blick auf die Palästinenser, das Recht auf freie Meinungsäußerung und zur friedlichen Versammlung dürfe nicht "missbraucht werden, um Unruhen zu provozieren".

Am Dienstag gedachten die Palästinenser des 70. Jahrestages der Nakba (deutsch: Katastrophe) - der Vertreibung und Flucht von mehr als 700.000 Landsleuten nach der Staatsgründung Israels. Neue schwere Zusammenstöße entlang der Grenze blieben jedoch aus. Die Zahl der Demonstranten war deutlich kleiner als am Vortag, nur vereinzelt kam es zu Gewalt. Zwei Palästinenser wurden nahe dem Flüchtlingslager Al-Bureij von israelischen Sicherheitskräften erschossen.

Laut NGO 150 Kinder angeschossen

Tausende Palästinenser beerdigten unterdessen die Opfer der Proteste vom Vortag. Nach Angaben der Kinderschutzorganisation Save the Children sind bei den Zusammenstößen mindestens 150 Kinder angeschossen worden. Allein am Montag seien sechs Kinder getötet worden, teilte Save the Children am Dienstag in London mit. Seit Beginn der Proteste am 30. März seien 14 Kinder sogar gestorben. Unter den 60 Todesopfern waren auch nach palästinensischen Angaben auch mehrere Kinder und Jugendliche, darunter ein kaum acht Monate altes Mädchen, das an Tränengas erstickt sein soll. Ein namentlich nicht genannter Arzt im Gazastreifen sagte der Deutschen Presse-Agentur jedoch, die Todesursache lasse sich nicht eindeutig feststellen. Die Eltern hätten betont, der Tod ihrer Tochter sei Folge des Tränengases.

"Das Töten von Kindern kann nicht gerechtfertigt werden", sagte die für die palästinensischen Autonomiegebiete Save the Children-Funktionärin Jennifer Moorehead. "Wir rufen alle Parteien dringend auf, sicherzustellen, dass Kinder nicht verletzt werden und Kinder im Einklang mit der Genfer Konvention und der Menschenrechte geschützt werden, erklärte Moorehead. Die Krankenhäuser im Gazastreifen seien bereits vor den jüngsten Auseinandersetzungen zu 90 Prozent ausgelastet gewesen. Verwundete müssten am Gang behandelt werden. Vielen Einwohnern sei die notwendige Hilfe überhaupt nicht zugänglich.

Der endgültige Status Jerusalems ist einer der größten Streitpunkte im Nahost-Konflikt. Die Palästinenser beanspruchen den 1967 von Israel besetzten und 1980 annektierten Ostteil Jerusalems als künftige Hauptstadt des von ihnen angestrebten eigenen Staates. Israel beansprucht ganz Jerusalem als Hauptstadt.

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