In Hessen begann es: Die Grüne Volkspartei

12.12.1985, Wiesbaden: Joschka Fischer legt vor Ministerpräsident Börner den Amtseid ab.
Die Grünen sind auch in Hessen die Gewinner der Krise der bisherigen Volksparteien CDU und SPD.

Das Foto ist inzwischen in den deutschen Geschichtsbüchern: Der 37-jährige Joschka Fischer wird am 12. Dezember 1985 als erster grüner Landesminister angelobt. Die für den Anlass höchst unpassenden Turnschuhe stehen inzwischen im Deutschen Schuhmuseum in Offenbach. Interessant ist aber auch der andere Mann auf dem Foto. Ministerpräsident Holger Börner, SPD, war nie ein Freund der Grünen, als „Dachlatten-Börner“ wurde er geschmäht, weil der gelernte Bauarbeiter einmal über Demonstranten gesagt hatte: „Früher hätte ich einen Angriff auf meine Person mit der Dachlatte beantwortet.“

Die erste rot-grüne Koalition hielt nur 14 Monate, aber die Grünen entwickelten sich ausgerechnet mit dem ehemaligen linken Straßenkämpfer Fischer zu einer Partei, die regierte. Rot-Grün im Bund folgte 1998 mit Gerhard Schröder und Fischer, und 2011 hat Winfried Kretschmann im Industrieland Baden-Württemberg die erste grün-rote Regierung geschlossen. Der ehemals linksradikale Student hat eben ein Buch veröffentlicht:„Für eine neue Idee des Konservativen.“

Die deutschen Grünen entwickeln sich in einer Zeit, in der Volksparteien zu einer bedrohten Art werden, zu einer Art Volkspartei, jedenfalls was das Auftreten ihrer Spitzenleute und die Zustimmung beim Wähler betrifft. Mit knapp 20 Prozent liegen sie bei Umfragen weit vor der SPD und gar nicht weit hinter der Union. Die Grünen haben einen weiten Weg hinter sich. Otto Schily, der später SPD-Minister wurde, musste vielen Aktivisten am Anfang noch erklären, dass das Gewaltmonopol des Staates Grundlage eines Rechtsstaates ist.

Hobby-Historiker Fischer

Im Jahr 1990, nach der deutschen Wiedervereinigung, verpassten die westdeutschen Grünen den Einzug in den Bundestag. Vier Jahre später veröffentlichte Joschka Fischer mit dem Buch „Risiko Deutschland“ eine historische Abhandlung, die von den „Incertitudes Allemandes“ handelt, den vielen Unsicherheitsfaktoren der deutschen Geschichte, und dann in das Kapitel „Certitudes Allemandes“ übergeht. Die deutsche Einheit wird im Gegensatz zu Bismarck als demokratische Bewegung gezeichnet, vor der niemand Angst haben müsse, die Westbindung der Bundesrepublik wird gelobt. Mit der „Verführung der Deutschen durch die latente Hegemonie“ müsse für immer Schluss sein. Das Buch sollte im Inland wie bei der NATO Befürchtungen vor einer grünen Regierungsbeteiligung im Bund sein.

Vier Jahre später war Fischer Außenminister und befürwortete im Frühjahr 1999 den Einsatz der NATO gegen serbische Truppen im Kosovo:„Nie wieder Auschwitz, nie wieder Völkermord, nie wieder Faschismus, das gehört zusammen.“

Der Farbbeutel in Fischers Gesicht am grünen Parteitag gehört auch zur grünen Geschichte, die nun, wieder in Hessen, weiter geschrieben wird. Wenn CDU und SPD heute wie erwartet hoch verlieren, wird ab morgen nicht nur über die Regierung in Wiesbaden gesprochen, sondern auch über Berlin und Merkel. Kommt unter einer neuen CDU-Führung noch ein Versuch, Union,Grüne und FDP zusammen zu führen? Oder kommen bald Neuwahlen? Die Grünen werden so oder so profitieren.

In Hessen könnte Tarek Al-Wazir (47) Fischers Werk zu Ende führen und grüner Ministerpräsident werden. Der Sohn einer deutschen Lehrerin und eines jemenitschen Diplomaten war zuletzt Regierungspartner der CDU. Die letzten fünf Jahre haben ihm und seiner Partei geholfen, das Bild einer berechenbaren Gruppe zu zeigen.

Außerdem nützt den Grünen der Aufstieg der AfD. Ihnen traut man zu, Gegenpol zum Rechtsextremismus zu werden. Wie sie intern mit dem schnellen Wachstum umgehen, wird auch noch spannend.

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