Hugo Portisch: "Kein Sieg über IS ohne Bodentruppen"

KURIER: Herr Portisch, Frankreichs Präsident François Hollande hat nun nach den Attentaten von "Krieg" gesprochen. Aber ist das nicht genau jene Antwort, die die IS-Terroristen erreichen wollen?
Hugo Portisch: Nein, der "Islamische Staat" führt Krieg, und zwar einen ganz brutalen. Frankreich antwortet auf diesen Krieg und nennt ihn auch so. Apropos der Westen: Der nimmt zur Zeit Hunderttausende Muslime auf, die zum Teil vor dem IS fliehen. Sieht so ein Krieg gegen den Islam aus?
Werden Luftangriffe gegen den IS reichen? Die Kurden werden es nicht alleine schaffen, den IS zurück zu drängen. Müssen nicht auch Bodentruppen eingesetzt werden?
Wenn man den Krieg gewinnen will, wird man ihn auch führen müssen, und das wird vermutlich ohne den Einsatz von Bodentruppen nicht möglich sein. Wer die aber stellen wird, das ist noch eine große Frage. Vielleicht kommt es doch noch zu einer echten großen Koalition gegen den IS. Da könnte ich mir mehrere Teilnehmer gut vorstellen.

Die USA sind immer schwer einzuschätzen. Nächstes Jahr sind Wahlen. Um den Demokraten nicht zu schaden, wird sich Obama auch weiterhin drücken.
In Ihrem neuen Buch "Aufregend war es immer" verurteilen Sie, dass Bush aus Rache für 9/11 den Krieg mit dem Irak begonnen hat. Wo liegt der Unterschied nun zu den französischen Bombardements?
Beim Irak-Krieg von George Bush liegt der Fall anders. Das war kein Rachefeldzug. Der Irak wurde ohne Grund angegriffen. Der Krieg basierte auf einer Lüge, dass im Irak Massenvernichtungswaffen erzeugt werden.
Wie kann den Dschihadisten der Boden entzogen werden?
Der erste Schritt wäre Frieden in Syrien, um die Region zu stabilisieren. Damit könnte man den "Islamischen Staat" sehr isolieren.
Soll es den Frieden mit oder ohne Syriens Präsidenten Bashar al-Assad geben?
Nach dem Fall von Gaddafi im Arabischen Frühling wäre Assad der nächste gewesen. Diktatoren zu beseitigen, ist eine gute Idee, aber nur wenn man weiß, was danach kommt.
Auch in Syrien weiß man noch nicht genau, wer und was nach Assad kommt.
Dass Assad weg muss, fordere ich nicht. Wenn es keinen Frieden ohne Assad gibt, dann muss er Teil der Lösung sein, um Frieden zu bekommen.
In Ihrem neuen Buch kritisieren Sie, dass Europa schon längst eine schnelle Eingreiftruppe stellen könnte, die gegen den IS kämpft. Warum ist das nicht schon längst passiert?
Ja, das frage ich mich auch. Da nimmt man lieber Tausende, ja Zehntausende Flüchtlinge auf, die vor den islamistischen Schlächtern fliehen. Und steht damit vor der nächsten Gefahr: Dem raschen Erstarken der rechtspopulistischen Kräfte im eigenen Land. Die haben es noch leichter mit ihren Angstparolen, wenn zu den Kriegsflüchtlingen auch noch die Afrikaner dazukommen.
Befürchten Sie, dass der IS Terrorangriffe in ganz Europa durchführen wird?
Ganz Europa ist ein bisschen groß. Aber dass sie es da und dort versuchen werden, ist nicht auszuschließen. Ob es ihnen auch gelingt, hängt davon ab, ob Europa, aber auch die USA und Russland alle ihnen zur Verfügung stehenden Mittel gemeinsam einsetzen, um solchen Versuchen vorzubeugen. Und zu diesen Mitteln gehört sicher in erster Linie elektronisch geführte Aufklärung.
François Hollande will Russlands Präsidenten Wladimir Putin treffen. Bedeutet das das Ende der russischen Isolation?
Für Putin ist es zweifellos eine gute Gelegenheit, sich selbst aus der Isolation zu befreien. Er hat sich mit seinem Eingreifen in Syrien an alle internationalen Verhandlungstische zurückgebracht.
Zuletzt gab es auch eine Annäherung zwischen Obama und Putin. Wie wichtig ist das Zusammenwirken USA/ Russland, um den IS zu bezwingen?
So lange die Weltpolitik so konstruiert ist, wie man sie vor siebzig Jahren im Rahmen der UNO gestaltet hat, nämlich mit den fünf Veto-Mächten als oberstes Entscheidungsgremium, wird man immer auf die Zusammenarbeit mit Russland angewiesen sein. – Siehe die soeben zu Ende gegangenen Verhandlungen über einen atombombenfreien Iran und die soeben begonnenen möglichen Friedensverhandlungen zur Beilegung des Krieges in Syrien. In beiden Fällen müssen Russland und die USA nebst anderen wichtigen Mächten zusammenwirken.
Die Flüchtlingskrise hat gezeigt, wie zerrissen die EU ist. Wie muss die EU nun handeln?
Die EU ist nicht – beziehungsweise noch nicht – zerrissen, zur Zeit verweigern nur einige Mitgliedsstaaten ihre Solidarität, das heißt, sie nahmen und nehmen zwar alles entgegen, was sie von den anderen Europäern brauchen, aber das Schicksal Europas ist ihnen wurscht. Darauf wird man eine Antwort finden müssen.
Sie meinen die ehemaligen kommunistischen Länder. Sind Sie verärgert über das Verhalten der Ex-Ostblockländer?
Ja, denn sie wollten in die EU, damit sie schnell ihre kaputte Wirtschaft aufbauen können. Sie haben sich viele Vorteile durch den raschen EU-Beitritt erhascht. Aber das Projekt Europa ist diesen Ländern wurscht. Ihr Verhalten gegenüber Europa und den Flüchtlingen nenne ich unmoralisch.
In Frankreich wird bei rückgekehrten Dschihadisten an Hausarrest, Entzug der Staatsbürgerschaft oder an Überwachung mit Fußfessel gedacht. Was ist Ihre Lösung?
Das ist schwierig. Verlust der Staatsbürgerschaft ist meiner Ansicht nach selbstverständlich. Wer in einer fremden Armee kämpft, noch dazu gegen das eigene Land, hat seine Staatsbürgerschaft verwirkt. Aber das allein reicht bei Weitem nicht, um mit dem Problem fertig zu werden. Ich befürchte, dieses Problem wird sich erst von selbst auflösen, wenn der "Islamische Staat" niedergezwungen ist.
Eines Ihrer erfolgreichsten Bücher heißt "Hört die Signale". Welche Signale muss Europa nun hören?
Europa muss jetzt Zusammenhalt und absolute Kooperation demonstrieren. Die EU muss sich auf ihre Gründungswerte und Ziele besinnen. Ohne Solidarität in der Flüchtlingsfrage und jetzt in der aktuellen Terrorgefahr wird die EU scheitern.
Buchtipp
Die Memoiren „Aufregend war es immer“ von Hugo Portisch schafften den Sprung in die Bestseller-Listen. Erschienen im ecowin-Verlag um 24,95 Euro.
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