"Hier ist Polen" – Aufstand gegen PiS-Regierung
"Früher demonstrierten die Polen, um die Staatsform zu ändern, heute demonstrieren sie, dass sie nicht geändert wird", ruft Ryszar Petru ins Mikro; der Chef der liberalen Partei "Modernes Polen" steht vor dem Verfassungsgericht inmitten eines Meeres aus Polen- und Europafahnen. Seine Partei hat zusammen mit anderen Oppositionsparteien und rund 50.000 Polen am Samstag in Warschau gegen die Politik der Regierungspartei "Recht und Gerechtigkeit" ( PiS) demonstriert.
Ministerpräsidentin Szydlo weigert sich indes weiter, ein am Mittwoch gefälltes, höchst brisantes Urteil des Verfassungsgerichts zu veröffentlichen. Das Gericht betrachtet eine Rechtsreform, die es selbst betrifft und massiv schwächt, als "verfassungswidrig". Die Regierung ihrerseits sieht die Reform in Kraft und erkennt wiederum das Gericht nicht an.
Unterstützung bekommen Reform-Kritiker von der "Venedig-Kommission", einem Rechtsgremium des Europarats: Sie spricht von einer Gefährdung von "Demokratie, Menschenrechten und Rechtsstaatlichkeit". Giann Buquiccho, Chef der Kommission, rief Polens Regierung am Samstag noch einmal auf, von ihrer "Krisenpolitik" abzusehen.
Diese Kritik will Szydlo im Sejm diskutieren, doch mit einem Einlenken ist nicht zu rechnen, denn das letzte Wort hat der starrsinnige Parteichef Jaroslaw Kaczynski. Gegnern und vor allem Demonstranten spricht er das Recht ab, Polen zu sein – oder nennt sie "Polen der schlechtesten Sorte". "Hier ist Polen" skandiert daher trotzig die Masse.
Kaczynski plant eine nationalkonservative Umformung der Gesellschaft und hohe Sozialausgaben. Das kommt gut an – in Umfragen steigt die PiS auf 37 Prozent. Die beiden liberalen Oppositionsparteien "Modernes Polen" und die ehemalige Regierungspartei "Bürgerplattform" (PO) haben jeweils gerade einmal 17 Prozent. Grzegorz Walczak, der sich für die Partei "Modernes Polen" einsetzt, ist pessimistisch: "Ich bin hier, um für die Unabhängigkeit des Gerichts zu protestieren, aber es ist auch ein wenig Selbstamusement. Die PiS wird nicht klein beigeben."
Die außerparlamentarische Protestgruppe "Komitee zur Verteidigung der Demokratie", die auch am Samstag mitlief, kündigte weitere Demos an. Auch die Kanzlei der Premierministerin wird belagert, abends gingen die Proteste weiter. "Beata, veröffentliche das Urteil!" wurde skandiert.
Zu einer Vertiefung der Gräben wird sicher eine Erklärung der PO-EU-Abgeordneten sorgen. Sie wollen eine Resolution zur Situation im EU-Parlament verlesen. Gegner betrachten das als Nestbeschmutzung.
Die EU-Kommission, welche im Jänner ein Rechtsstaatlichkeitsverfahren gegen Polen eingeleitet hat, will sich nach Ostern zu Wort melden. Theoretisch droht der Entzug von Stimmrechten. Faktisch kann Warschau auf Beistand Budapests zählen – durch ein Veto. Der polnische Rechtsexperte Zbigniew Roman glaubt an "indirekte Sanktionen" der EU – etwa das Nichtbeachten polnischer Vorschläge sowie das besonders genaue Prüfen polnischer Anträge.
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