Die Rebellen in den hinteren Bänken

Die Abstimmung über Großbritanniens EU-Mitgliedschaft rückt immer näher: Premier Cameron, der sein Land in der EU halten will, hat auch in der eigenen Partei starke Gegner.
Europafeinde hier, Syrien-Krieg da: Premier Cameron und Labour-Chef Corbyn in der Defensive.

Ende 2015 – und Großbritannien scheint politisch in die Achtzigerjahre zurückgekehrt zu sein. Kleinparteien wie die Liberaldemokraten, die Europagegner der UKIP und die Grünen sind in Westminster wieder zur Bedeutungslosigkeit zurechtgeschrumpft. Einzige Ausnahme: das historisch außergewöhnliche Monopol der Schottischen Nationalisten von der SNP auf schottische Parlamentssitze.

Zwischen den regierenden Tories und der Labour-Opposition klafft seit der Wahl des Alt-Linken Jeremy Corbyn zum Labour-Chef ein so tiefer ideologischer Graben wie schon lange nicht mehr. Doch sowohl Corbyn als auch Premier David Cameron sitzen alles andere als sicher im Sattel, und an ihren Rockzipfeln zerrt dabei ausgerechnet das eigene Gefolge.

Laute Kampfansage

"Ich würde ihn nicht von hinten, sondern von vorne erdolchen", drohte Jess Phillips, eine heuer frisch gewählte Labour-Abgeordnete aus Birmingham ihrem Chef neulich unverblümt in einem Interview mit dem jungen linken Paradejournalisten Owen Jones. Sie dekorierte diese Kampfansage zwar mit dem Beisatz "falls er unserer Partei Schaden zufügt", aber die Wortwahl spricht Bände über den offenen Krieg zwischen Corbyn und "seiner" Parlamentsfraktion.

Die Rebellen in den hinteren Bänken
Britain's Labour Party leader Jeremy Corbyn speaks on the BBC's Andrew Marr Show in this photograph received via the BBC in London, Britain November 29, 2015. REUTERS/Jeff Overs/BBC/Handout via Reuters ATTENTION EDITORS - FOR EDITORIAL USE ONLY. NO RESALES. NO ARCHIVE. NOT FOR SALE FOR MARKETING OR ADVERTISING CAMPAIGNS. THIS IMAGE HAS BEEN SUPPLIED BY A THIRD PARTY. IT IS DISTRIBUTED, EXACTLY AS RECEIVED BY REUTERS, AS A SERVICE TO CLIENTS. NO COMMERCIAL OR BOOK SALES. NO THIRD PARTY SALES. NOT FOR USE BY REUTERS THIRD PARTY DISTRIBUTORS.
In der Unterhaus-Debatte über das Syrien-Bombardement demütigte Schattenaußenminister Hilary Benn mit seiner leidenschaftlichen Unterstützung für die Bombenangriffe den überzeugten Pazifisten Corbyn. Anfang Dezember wiederum sprang Stellvertreterin Angela Eagle bei einer parlamentarischen Fragestunde für den Parteichef ein und parodierte dabei offen dessen steifen Debattenstil, der sich im Ombudsmann-artigen Verlesen von Zuschriften aus dem Volk erschöpft. Als sie ihr Gegenüber, Schatzkanzler George Osborne, mit einer fiktiven Frage "von Donald aus Brüssel" (EU-Ratspräsident Donald Tusk) konfrontierte, galt das schallende Gelächter von beiden Seiten des Hauses ihrem eigenen, abwesenden Chef.

Ein Parteiobmann, der nach rund 100 Tagen im Amt von den eigenen Unterhaus-Genossen als Lachnummer vorgeführt wird, müsste normalerweise längst den Hut nehmen. Aber Corbyn weiß eine große Mehrheit der einfachen Parteimitglieder hinter sich, nicht zuletzt unter den 180.000 seit seinem Amtsantritt eingeschriebenen, vornehmlich jungen Neuzugängen.

Nach der ersten Euphorie des Links-Rucks an der Spitze droht der Labour Party nun also eine ruinöse Spaltung zwischen der Basis und deren professionellen Repräsentanten.

Es blieb einem Veteran wie dem ins House of Lords abgewanderten Ex-Vize-Premier John Prescott überlassen, seine disziplinlosen Ex-Kollegen daran zu erinnern, dass Corbyn "auf demokratische Weise das Recht erworben hat, die Partei zu führen." Das Problem ist bloß, dass einige von ihnen einst selbst unter Blair und Brown im Kabinett saßen, als der heutige Chef ihnen als chronisch rebellischer Hinterbänkler das Leben schwer machte. Corbyn wollte ihre Rache zähmen, indem er offene Grundsatzdiskussionen willkommen heißt. Stattdessen sind es nun die Dolche, die bei Labour offen getragen werden.

Und dennoch findet auf der Gegenseite David Cameron kaum Gelegenheit, vom Chaos in der Opposition zu profitieren. Nach dem Selbstmord eines jungen konservativen Parteiaktivisten dringen beharrlich neue Geschichten über institutionelles Mobbing in der Tory-Partei an die Öffentlichkeit, die ihr Image als exklusiv elitärer Club einzementieren.

"Feige Regierung"

Gleichzeitig bezeichnet ein natürlicher Verbündeter wie John Longworth, der Generaldirektor der britischen Handelskammern, Camerons Regierung nach der x-ten Vertagung der umstrittenen Entscheidung über den Bau einer neuen Flughafen-Landebahn für London wörtlich als "feige".

Und über allem schwebt jenes übermächtige Thema, das schon in den 1990ern dem damals ebenfalls mit einer dünnen Mehrheit regierenden John Major die zweite Amtszeit vergällte. So wie Major zu Zeiten des Maastricht-Vertrags wird auch Cameron bei der kommenden Volksabstimmung über den Brexit – also Großbritanniens Austritt aus der EU – seine Verhandlungen mit Brüssel als Erfolg verkaufen müssen.

Wie die britische Reaktion auf seinen großen Auftritt als entschlossener Reformer beim Brüsseler Gipfel am vergangenen Donnerstag zeigte, verursachen aber positive Wortspenden von Angela Merkel & Co. beim euroskeptischen britischen Publikum bloß noch mehr Argwohn. Da half es wenig, dass George Osbornes Finanzministerium zugeben musste, auf konkreten Zahlen zur Beschäftigung von EU-Bürgern im Vereinten Königreich zu sitzen, die man aber aus taktischen Gründen nicht veröffentlichen wolle.

David Cameron war noch nicht einmal aus Brüssel heimgekehrt, schon häuften sich Gerüchte über die Identität jenes mysteriösen Ministers, der droht, sich bereits im Jänner offen für einen Brexit auszusprechen. Und das, obwohl es erstens noch nicht einmal einen Termin für die EU-Abstimmung gibt und zweitens der Premier seinen Kabinettsmitgliedern schon im Juni mit Rauswurf gedroht hatte, falls sie für einen Austritt ins Feld ziehen.

Die Versuchung, über die Ära Cameron hinauszudenken, keimt ja bei vielen Konservativen. 2016 könnte diese Gedanken allerdings spannender machen, als es dem Premier lieb sein kann.

Heikle Verhandlungen: London und die EU

Fahrplan zum Referendum Die EU-Länder wollen sich bis Mitte Februar mit dem britischen Premierminister David Cameron über seine Forderungen zur Reform der Europäischen Union einigen. Cameron hat fix zugesagt, die Briten vor Ende 2017 in einem Referendum darüber abstimmen lassen, ob das Land in der EU bleiben soll. Politische Beobachter aber rechnen schon mit einem Termin Mitte 2016. Der Wahlkampf zwischen Gegner und Befürwortern läuft bereits.

Heikle Forderungen Cameron fordert eine umfassende Reform. So soll das Ziel einer immer engeren Zusammenarbeit innerhalb der EU nicht mehr für Großbritannien gelten. Nicht-Euro-Länder wie Großbritannien dürfen gegenüber der Eurozone nicht benachteiligt werden. Außerdem sollen Einwanderern aus der EU Sozialleistungen wie Kindergeld und Steuererleichterungen für die ersten vier Jahre gestrichen werden. Das aber widerspricht den grundlegenden EU-Verträgen.

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