Finanzminister befinden über Griechenlands Schicksal

Ein Mann im Anzug schüttelt einem älteren Mann die Hand, umgeben von weiteren Personen.
Tsipras vor Vertrauensfrage: Parlament stimmt zu, aber Regierungsmehrheit ist verloren.

Wieder ein Tag der Hürden für Griechenland: Premier Alexis Tsipras hat zwar die Zustimmung des Parlaments für das neue Hilfsprogramm mit den damit verbundenen Sparauflagen erhalten. Eine Ablehnung war ohnehin unwahrscheinlich, da die wichtigsten Oppositionsparteien ein Ja signalisiert hatten. Die Regierungsmehrheit hat Tsipras aber verfehlt. Wie Mitarbeiter des Regierungschefs Reportern im Parlament sagten, stünden nur noch 118 der 162 Abgeordneten der Koalition hinter Tsipras.

Damit verfüge die Links-Rechts-Regierung nicht mehr über die für eine Minderheitsregierung nötige Mehrheit von 120 Parlamentariern. Weshalb Tsipras nach dem 20. August die Vertrauensfrage stellen will. Bis zu diesem Datum, wenn ein EZB-Kredit in Höhe von 3,2 Mrd. Euro fällig wird und bis die erste Tranche der neuen Finanzhilfe ausgezahlt ist, wolle Tsipras aber weiter die Regierung führen. Die konservative Nea Demokratia (ND) kündigte mittlerweile an, bei der angekündigten Vertrauensabstimmung gegen Tsipras votieren zu wollen - womit Neuwahlen immer wahrscheinlicher werden.

Zumindest können sich nun am Nachmittag die Euro-Finanzminister mit den Maßnahmen auseinandersetzen und letzte Hindernisse aus dem Weg räumen. Vor allem der für seine harte Position gegenüber Griechenland bekannte deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble hatte zuletzt immer wieder Bedenken angemeldet und ließ offen, ob er zustimmen werde.

Grexit stand vor der Tür

Tsipras hat eindringlich um Zustimmung zum neuen Hilfsprogramm mit den damit verbundenen Sparauflagen für sein Land geworben. Athen habe das Sparprogramm akzeptieren müssen, um einen von Schäuble ins Spiel gebrachten vorübergehenden Austritt Griechenlands aus der Eurozone zu verhindern. Dies wäre nach Ansicht von Tsipras finanzieller "Selbstmord" gewesen. Der Premier betonte, er bedauere seine Zustimmung nicht und habe ein reines Gewissen. Er fügte hinzu: "Wir konnten einen Bankrott abwenden." Im Hinblick auf die Abgeordneten des linken Flügels seiner Syriza-Partei, die eine Ablehnung des Sparprogramms angekündigt hatten, sagte Tsipras: "Wer glaubt, er hätte etwas Besseres erreichen können, der soll es uns sagen."

91,7 Milliarden Euro

Wie die Nachrichtenagentur Reuters zuvor erfuhr, soll das auf drei Jahre angelegte Rettungsprogramm einen Umfang von 91,7 Mrd. Euro haben, einschließlich Erlösen aus dem Verkauf von Staatsvermögen. In einer ersten Rate sollen noch im August 23 Mrd. Euro nach Athen fließen. Mit den neuen Darlehen steigt der Schuldenberg des Landes 2016 auf einen Rekord von 201 Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP). Griechenland muss im Gegenzug umfangreiche Reformen auf den Weg bringen (siehe Bildergalerie unten).

Athens Hausaufgaben:

Eine Statue von Sokrates vor einer griechischen Flagge unter blauem Himmel.

A Greek flag flutters by a statue of ancient Greek
Eine Menschenmenge wartet vor einer Apotheke in Griechenland.

People queue outside a pharmacy that is open durin
Ein Bäcker formt Teig zu kleinen Gebäckstücken in einer Bäckerei.

A baker makes cookies as people are reflected in a
Zahlreiche Yachten liegen in einem Hafenbecken vor blauem Himmel.

A yacht arrives at Alimos marina, west of Athens
Ein Mann schleudert eine EU-Flagge vor einer Gruppe von Polizisten.

GREECE ECONOMIC CRISIS
Eine ältere Hand klopft an eine verwitterte Tür.

A pensioner leans against the main door of a branc
Ein Mann wartet an einem Bahnhof in Athen, während ein Zug vorbeifährt.

A man stands as a train passes in front of him at

Wenn es an das Eingemachte geht, flüchten Politiker gerne in das Ungefähre. Denn das lässt Spielräume zu. Das wird momentan am Falle Griechenlands und der Debatte über die Bewertung der Riesenschulden besonders deutlich. Am Ende könnte von der Klärung der Begriffsverwirrung sogar abhängen, ob sich der Internationale Währungsfonds (IWF) an dem neuen Hilfsprogramm für Hellas beteiligt oder nicht.

"Schuldenschnitt", "klassischer Haircut", "Umschuldung", Schuldenerleichterungen", "Schuldenentlastungen", "Umstrukturierung", "Reprofiling" - so lauten die Begriffe, mit denen Bundeskanzlerin Angela Merkel, ihre Mitstreiter und Kontrahenten "in Berlin, Brüssel, Frankfurt, Athen und Washington operieren. Dahinter steht die Frage: Was kann man tun, damit Griechenland von seinen knapp 302 Milliarden Euro Schulden nicht erdrückt wird?

Dass die Griechen auf diese Last, die ihre jährliche Wirtschaftsleistung Ende des ersten Quartals um 70 Prozent überstieg und die nach Einschätzung der EU-Kommission und anderer Experten 2016 sogar auf über 200 wachsen wird, nicht verlässlich Jahr für Jahr Zinsen und Tilgungen zahlen können, ist Konsens. Der IWF fordert von den Europäern daher, ihrem Euro-Partner "Erleichterungen", "Entlastungen", eine "Umstrukturierung" der Kredite zu gewähren. Er hat sogar, das ist schon länger her, schon einmal von "Haircut" gesprochen. Jedenfalls will der Fonds sich ohne Hilfen zur Linderung der Schuldenlast, so sagt er, an einem neuen Hilfsprogramm nicht beteiligen. Die Deutschen aber halten eine IWF-Beteiligung für kaum verzichtbar.

Griechenland sollen also "Schuldenerleichterungen" gegeben werden, "Schuldenentlastungen" - das sagen fast alle. Diese allgemeinen Begriffe bieten aber Raum für vieles. Das macht sie bei den Politikern in der Griechenland-Debatte so beliebt.

In politisch vermintes Feld begibt sich der, der konkret wird. Das gilt für die Begriffe "Schuldenschnitt", "Haircut" oder auch "klassischer Haircut". Sie alle bedeuten, dass ein Geldgeber ganz oder zum Teil auf Kreditrückzahlungen verzichtet. Der Geldgeber muss den Betrag dann als Verlust ausbuchen. Betrifft dies einen Staat, geht es um Steuergelder und negative Folgen für den Haushalt. Das macht dieses radikalste Mittel einer Schuldenhilfe für den Gläubiger politisch riskant, schwer zu verkaufen. Kanzlerin Angela Merkel und Finanzminister Wolfgang Schäuble schließen dies für Griechenland aus.

Griechenland dagegen könnte ein "Haircut" helfen, wie der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher, sagt. Denn weniger Schulden bedeuten in den Augen privater Investoren bessere Aussichten, dass das Land fällige Zahlungen dauerhaft leisten kann. "Es geht um Vertrauen", sagt Fratzscher. Kurzfristig hätte Griechenland finanziell wenig davon, denn bis ins nächste Jahrzehnt hinein wurden Zins- und Tilgungen schon gestundet.

Es gibt aber noch andere, "mildere" Möglichkeiten der Hilfe. Hier geht es um die Begriffe "Umschuldung", "Umstrukturierung" und "Reprofiling". Dafür gibt es drei Stellschrauben: den Zins eines Kredits, die Laufzeit und die Gewährung zins- und tilgungsfreier Zeiten. Gedreht wurde an all diesen Schrauben bereits 2012, als Griechenland das zweite Hilfsprogramm gewährt wurde. Danach haben die europäischen Griechenland-Kredite mittlerweile eine Laufzeit von durchschnittlich über 32 Jahren, der Zins liegt bei nur noch rund 1,35 Prozent, wie der Euro-Rettungsfonds ESM kürzlich schrieb.

Aktuell ist vor allem eines im Gespräch: eine weitere Verlängerung der Kreditlaufzeiten bis zu 50 oder gar über 60 Jahren. Beim Zins und bei tilgungsfreien Zeiten dagegen ist die Luft für weitere Entlastungen bereits dünn. Trefflich streiten kann man dennoch, wie stark man an den genannten Schrauben dreht. Schäuble hat bereits Pflöcke eingeschlagen: "signifikante" Wertminderungen bei den Krediten mitsamt den künftig erwarteten Zinszahlungen darf es nach seinem Dogma nicht geben. Das aber begrenzt das Ausmaß dessen, was hier noch verändert werden kann. Dreht man nämlich den Zins zu stark nach unten, sinkt der Gegenwartswert des Kredits.

Es gilt aber auch: nicht bei allen Griechenland-Krediten darf an Stellschrauben gedreht werden. Das betrifft etwa die Darlehen des Internationalen Währungsfonds (IWF), rund 20 Milliarden Euro sind offen. Der Fonds forderte zwar von den Europäern schon mal einen Schuldenschnitt, nimmt seine Kredite aber aus. Er proklamiert für sich generell einen bevorrechtigten Schutz und steht für solche Operationen nicht zur Verfügung. Auch die bei der Europäischen Zentralbank und den nationalen Euro-Notenbanken liegenden Griechenland-Anleihen von rund 27 Milliarden Euro sind in der Umschuldungsdiskussion kein Thema. Würden diese Papier von den Griechen allerdings zurückgekauft, was über einen Kredit des Rettungsfonds ESM denkbar wäre, könnten sie sehr wohl Teil einer Umschuldung werden.

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