Die griechische Tragödie
Nein, die griechische Tragödie wurde nicht vom aktuellen Ministerpräsidenten Alexis Tsipras erfunden, die griechische Tragödie ist 2500 Jahre alt und stellt den Ursprung des modernen Theaters dar. Die altgriechische Tragödie zeigt aber auch Parallelen zur neugriechischen, die mit dem heutigen Referendum ihren vorläufigen Höhepunkt erreicht. So handeln schon die Dramen im Athen des fünften Jahrhunderts v. Chr. fast immer davon, dass der Hauptdarsteller in eine ausweglose Situation gerät, aus der es kein Entrinnen gibt. Je länger das Stück dauert, desto klarer wird, dass der griechische Held zugrunde geht – auch wenn er sich noch so sehr bemüht, das Unglück abzuwenden. Das kommt uns doch irgendwie bekannt vor.
Die großen Theater- und Geschichtsschreiber der griechischen Antike haben uns in ihren Tragödien und Analysen zahllose Weisheiten hinterlassen, die heute noch gerne zitiert werden. Auch oder vielleicht weil sie mitunter eine nur allzu traurige Aktualität aufzeigen:
"Der ärgste Fluch des Menschen ist das Geld."
"Wer Schulden hat, der muss lügen."
(Herodot)
"Glücklich sind die Besitzenden."
(Euripides)
"Sehr gepriesen wird immer die letzte Frist."
(Aischylos)
Obwohl diese "letzte Frist" (der Rückzahlung) abgelaufen ist, stirbt auch bei den Griechen die Hoffnung zuletzt, denn:
"Wo es einem gut geht, da ist dein Vaterland."
(Aristophanes)
Doch gut geht’s in diesem Vaterland zurzeit fast niemandem. Der altgriechische Dichter Sophokles schrieb den neugriechischen Politikern schon vor zweieinhalb Jahrtausenden ins Stammbuch:
"Die schmerzlichsten von allen Qualen sind solche, die man sich selber schuf."
(Sophokles)
Die griechischen Tragöden waren die ersten Theaterleute, die auf einer Bühne im heutigen Sinn standen. Denn wahre Schauspielkunst konnte sich erst mit dem Entstehen des Alphabets entfalten. Waren die Mimen in der Zeit vor dem griechischen Altertum auf ihr Improvisationstalent angewiesen, so schuf die sich in Athen neu etablierende Berufsgruppe der Dichter die schriftlichen Voraussetzungen, um literarische Kunstwerke zu ermöglichen. Autoren wie Sophokles, Aischylos, Aristophanes und Euripides verhalfen mit ihren Tragödien und Komödien dem Theater zu seiner ersten Blüte. Die Geburtsstunde der Schriftsteller wurde somit auch zur Geburtsstunde der Schauspieler.
Aischylos war der älteste der großen Dichter, dessen "Orestie" die einzige erhalten gebliebene antike griechische Trilogie ist – und heute noch aufgeführt wird. Sein Sinnspruch freilich
"Weisheit entsteht durch Leiden" wird den Griechen des 21. Jahrhunderts wohl kaum Trost spenden.
Natürlich können wir die alt- und die neugriechischen Tragödien nicht 1:1 miteinander vergleichen, meint der Wiener Altphilologe Georg Danek: "Erstens war das eine nur Schauspiel und das andere ist das wirkliche Leben. Zweitens sagt Aristoteles, dass in einer Tragödie Fehlentscheidungen getroffen werden, die wir erst vom Ende her beurteilen können. Die aktuelle Entwicklung in Griechenland ist aber noch nicht zu Ende, und daher können wir derzeit nicht definieren, wo die Fehler wirklich liegen."
Theaterstar Thespis
Der bekannteste Schauspieler im griechischen Altertum war Thespis, der im Jahre 534 v. Chr. – zu Ehren des Wein- und Fruchtbarkeitsgottes Dionysos – die erste Tragödie aufführte. In seinen Anfängen angeblich mit einem Wagen, dem sogenannten "Thespiskarren", von einer Wanderbühne zur anderen unterwegs, erhielt er später in Athen ein festes, vom Staat bezahltes Theater, in dem er – durch Masken unkenntlich gemacht – mehrere Rollen spielte. Frauen durften nicht auf die Bühne, auch sie wurden von Männern dargestellt.
Freilich musste Thespis seine Verse eher brüllen als sprechen, fasste doch das riesige Rund des offenen Dionysos-Theaters bis zu 17.000 Zuschauer. Am alten Tanzplatz an der Akropolis gelegen, war die Bühne von Holzgerüsten umgeben, auf denen die Besucher ihre Plätze einnahmen. Als die Sitzreihen mehrmals während der Vorstellungen zusammenbrachen und unter den Zuschauern Opfer zu beklagen waren, wurden sie durch steinerne Traversen verstärkt. Dem Publikum wurde viel Geduld abverlangt, zumal die Aufführungen zehn und mehr Stunden dauerten. Bezahlt wurden die reservierten Plätze schon in der Antike mit Drachmen – wie die griechische Währung auch ab 1831 wieder hieß, ehe sie 2002 vom Euro abgelöst wurde.
Was Aristoteles vor weit mehr als 2000 Jahren erkannt hatte, das wollen die verantwortlichen Politiker der griechischen Jetztzeit nicht wahrhaben:
"Der Staat ist eine Gemeinschaft gleichberechtigter Bürger zur Ermöglichung der besten Lebensführung."
(Aristoteles)
Aristoteles war es auch, der in seinen Aphorismen die Gefahren auf die Welt zukommen sah, wenn er festhielt:
"Armut erzeugt Revolution und Kriminalität."
(Aristoteles)
Im Wesentlichen war das Spiel in der griechischen Tragödie auf zwei Schauplätze beschränkt: Auf den der Götter auf der einen Seite und den der Könige und ihrer Angehörigen auf der anderen. Einfache Bürger wie Arzt, Matrose, Bauer, Koch, Hebamme, Kupplerin, Dieb oder Sklave wurden nur in der Komödie gezeigt, in der man auch vor derben Sexualsymbolen nicht zurückschreckte – etwa, wenn die Darsteller mit einem übermächtigen Phallus aus Leder auftraten.
Seltenes Happy End
"Die altgriechische Tragödie", sagt Professor Danek, "endet in fast allen Fällen in der Katastrophe. Es gibt aber einige wenige Stücke, die zu einem glücklichen Schluss führen."
Lassen wir sie doch als kleinen Hoffnungsschimmer gelten.
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