"Gescheitertes Projekt offene Grenzen": Großbritannien schottet sich ab

British Prime Minister Keir Starmer leaves for Prime Minister's Questions
Einwanderern soll es schwerer gemacht werden, ins Land zu kommen und auch im Land zu bleiben. Sozialdienste sehen sich vor dem Kollaps, Unis bangen sich um ihre Zukunft und der Opposition gehen die Pläne nicht weit genug.

„Wir dürfen niemals“, schrieb der damalige Oppositionsführer Keir Starmer 2020, „das Tory- oder Medien-Narrativ akzeptieren, das Migranten oft zum Sündenbock macht und dämonisiert. Die Probleme in Bezug auf niedrige Löhne, Wohnraum und öffentliche Dienstleistungen, würden, ergänzte er, nicht durch Migranten verursacht - sondern durch ein gescheitertes Wirtschaftsmodell.

Fünf Jahre später könnte seine Aussage nicht konträrer sein. Zu Wochenbeginn kündigte der britische Premier ein Ende, „des gescheiterten britischen Experiments der offenen Grenzen“ an. Die Zahl der legalen Einwanderer soll drastisch reduziert werden. 

Englischtests und kürze Aufenthaltsdauer

Konkret wird künftig auch von jenen, die mit einem Arbeitsvisa oder als Familienangehörige ins Land kommen, ein Englischtest abverlangt. Das unbefristete Aufenthaltsrecht wird nicht länger nach fünf, sondern erst nach zehn Jahren ausgestellt. Ein spezielles Visum für Sozialdienste wird abgeschafft, die Anforderungen für ein qualifiziertes Arbeitsvisum nach oben geschraubt, und Uni-Absolventen dürfen künftig nur noch 18 statt 24 Monate nach ihrem Studium im Land bleiben. 

FILE PHOTO: Students and visitors are seen walking around the main campus buildings of University College London (UCL) in London, Britain

Das University College London hat rund 18.000 nicht-britische Studierende. 

Ohne diese Maßnahmen, ergänzte Starmer, drohe Großbritannien zu einer „Insel der Fremden“ zu verkommen. Ein aufgeregtes Raunen geht seitdem durch die britischen Medien, kommt diese Aussage doch sehr nahe an die Parolen des rechtskonservativen Politikers Enoch Powell. In seiner umstrittenen „Flüsse von Blut“-Rede warnte Powell 1968 davor, dass Briten „Fremde im eigenen Land“ werden könnten. 

Starmer wies den Vergleich zurück - und doch lässt sich seine 180-Grad-Wendung kaum leugnen. 

Reizthema Migration

Legale wie illegale Migration ist in Großbritannien ein Dauerbrenner. Die Ankündigung, man werde „die Kontrolle über die eigenen Grenzen“ wiedererlangen, war ein wesentlicher Grund, warum Briten für den Brexit stimmten. Die Unruhen nach dem Attentat auf junge Mädchen in Southport vergangenen Sommer wurden durch fremdenfeindliche Aufwiegler geschürt. Ihre Botschaften fallen in einem Land mit großer Armut und einem scharfen sozioökonomischen Gefälle aber auch auf fruchtbaren Boden. 

UK Government to review relationship with EU following Brexit

Und Rechtspopulist Nigel Farage wird nicht müde, die Anti-Migrations-Trommel zu schlagen. Die jüngsten Lokalwahlen zeigten, dass viele Briten seine harte Linie – etwa Hotels, die Asylwerber beherbergen, schließen zu wollen – unterstützen. 

Weniger Menschen in die EU, mehr nach UK

Während die Zahl der irregulären Grenzübertritte in die Europäische Union  laut Frontex in den ersten vier Monaten des Jahres um 27 Prozent auf fast 47.000 zurückgingen, wurde in Großbritannien mit 18.100 Ärmelkanal-Überquerungen ein neuerlicher Anstieg um fünf Prozent registriert.

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Die Zahl der illegalen Grenzüberschreitungen nach Großbritannien ist gestiegen.

Auf all diese Faktoren muss Keir Starmer reagieren. Doch ob Abschottung der richtige Weg ist, wird sich zeigen. 

Sozialdienste warnen nun, dass sie ihre Pforten schließen müssten. Die Verschärfungen gegen Studierende können weitreichende Folgen für den Hochschulsektor nach sich ziehen. „Die Verschärfung der Anti-Migranten-Rhetorik  ist beschämend“, meinte Labour-Abgeordnete Nadia Whittome: „Migranten sind unsere Nachbarn, unsere Freunde und unsere Familie.“ Und der konservativen Opposition gingen die Maßnahmen  nicht weit genug: England, forderte der Tory-Schatteninnenminister Chris Philp, müsste endlich aufhören, die Menschenrechte zu berücksichtigen. 

Einzig Nigel Farage zeigt sich diese Woche amüsiert. Er habe die Rede am Montag genossen, meinte er am Mittwoch im Parlament an Keir Starmer gerichtet: „Sie schienen sehr viel von uns zu lernen.“

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