Zu Besuch in Gelsenkirchen: Wo die AfD nicht viel werben muss

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Mitte September stehen Kommunalwahlen im deutschen Bundesland Nordrhein-Westfalen an. In einer der ärmsten Städte Deutschlands will ein Vertreter der Ultrarechten Oberbürgermeister werden.
Von Uwe Mauch

Mit „Salam aleikum“ werden Eintretende im „Aljamil“-Markt am Neustadtplatz begrüßt. Die Gastronomiebetriebe daneben heißen „Mekka“ und „Damaskus Tor“. In der Fußgängerzone beim Hauptbahnhof haben nur die Friseurin, der „Herren Salon Goldener Finger“ und die Apotheke deutschsprachige Tafeln. Die Mehrheit der Passantinnen trägt Kopftuch. Die Männer sitzen an diesem Montagvormittag zusammen und trinken. Die einen Cola, die anderen Bier.

Die mit dem Bier hören lautstark Nazi-Hiphop. Die Stimmung mäandert zwischen müde-resignativ und aggressiv.

Schalke 04, der Fußball spielende Integrationsfaktor für viele in dieser Stadt, hat am Wochenende auch schon wieder verloren.

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Montagvormittag in Gelsenkirchen: Die Menschen hier wirken müde, viele auch resignativ.

„Diesmal mutig wählen“

Man muss kein Prophet sein, um zu erahnen, mit welchen Botschaften die Alternative für Deutschland (AfD) in den Wahlkampf in Gelsenkirchen gestartet ist. Auf den Plakaten für die Kommunalwahl am 14. September versucht der Oberbürgermeister-Kandidat der AfD, Norbert Emmerich, die üblichen Reflexe zu provozieren. Er verspricht: „Heimat im Herzen“ und vage „Echte Veränderung für GE.“ Er fordert im Gegenzug: „Diesmal mutig wählen!“

Bei der Bundestagswahl im Februar hatte die AfD in Gelsenkirchen mit 25 Prozent die meisten Zweitstimmen geholt – fast doppelt so viele wie 2021. Und das in einer jahrzehntelangen Hochburg der Sozialdemokratie.

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Markig die Sprüche der AfD, nett-adrett der ältere Herr als Oberbürgermeister-Kandidat

Emmerich zeigt sich auf den Plakaten als der nette ältere Herr mit dem gepflegten weißen Schnauzer. Könnte er es sein, der die mit freiem Auge erkennbaren Probleme Gelsenkirchens, einer Stadt fast so groß wie Graz, löst?

Viele Häuser am Stadtrand wirken verwahrlost, Straßen und Gehsteige sind teils löchrig, die Schienen der Straßenbahn wurden auch schon lange nicht mehr saniert. Glasscherben liegen auf den wenigen Radwegen.

An einer Trinkhalle, einem Kiosk, an dem in erster Linie Alkohol verkauft wird, beklagt man, dass die Schulen seit Jahrzehnten nicht renoviert wurden. Es fehle an Lehrenden für die Kinder in den Schulen und Kitas und an medizinischem Personal in den Krankenhäusern.

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Exodos: Was für ein Symbol für dieses Haus und diese Stadt in der Mitte des Ruhrpotts!

Gelsenkirchen gilt schon seit Jahren als eine der ärmsten Städte Deutschlands. Mit 15,8 Prozent verzeichnet man auch die landesweit höchste Arbeitslosenquote.

Die hitzig geführte Debatte über die Zuwanderung lenkt davon ab, wie das Gespräch vor einem Kiosk am Ückendorfer Platz zeigt. Bitte keine Namen, keine Fotos!

Also der Inhaber des Kiosks, ein Syrer, ist jedenfalls „ein guter Ausländer“, weiß eine Pensionistin. Er sei immer hilfsbereit und habe sich nach seiner Flucht etwas aufgebaut.

Aber die Bulgaren, die Rumänen und „alles, was sie sonst noch bei uns reinlassen“, die vergifteten mit ihren Bandenkriegen und ihrer Unwilligkeit, sich zu integrieren, das Klima in Gelsenkirchen.

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Am Rande notiert: Die Nachbarstädte haben den Niedergang der Stahlindustrie und des Bergbaus besser verkraftet.

Sozialer Frieden

Ein deutlich jüngerer hier Geborener, der sein Vormittagsbier vor dem Fremden aus Österreich verschämt im Rucksack verschwinden lässt, nickt still. Und die AfD, die trägt mehr zum sozialen Frieden in Gelsenkirchen bei? Lautes Schweigen vor dem Kiosk.

„Das ähnelt dann durchaus manchen Landstrichen im Osten, wo wir die gleichen politischen Konstellationen haben“, hatte der Politologe Martin Florack im Interview mit dem ZDF den starken Stimmenzuwachs bei der Bundestagswahl vor einem halben Jahr erklärt: „Also große Unzufriedenheit sowohl mit der Bundes- und Kommunalpolitik, aber auch eine Ausweglosigkeit.“

Einen Oberbürgermeister der AfD hält keiner der Gesprächspartner für möglich – zumindest nicht an diesem Montagmorgen.

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