Tote bei Hilfslieferung in Gaza sorgen für Entsetzen

Ein Toter wird am Donnerstag weggebracht.
Bei der Lieferung von Hilfsgütern gab es laut israelischer Darstellung Plünderungsversuche und Angriffe. Die Hamas wiederum behauptet, die Armee habe in die Menge gezielt.

Ein blutiger Zwischenfall mit womöglich Dutzenden Toten bei einer Hilfslieferung im Gazastreifen sorgte am Donnerstag für Entsetzen. Die Vereinten Nationen fordern eine Untersuchung der Ereignisse. Das sagte ein Sprecher von UNO-Generalsekretär António Guterres am Donnerstag in New York. "Es wird eine Zeit der Verantwortung geben", fügte Stephane Dujarric hinzu. 

Mitarbeiter der Vereinten Nationen seien bei dem Vorfall von heute nicht anwesend gewesen, man kenne nicht alle Fakten und sei sich bewusst, dass es unterschiedliche Darstellungen gebe. Die Angaben ließen sich unabhängig nicht prüfen

Gedränge, dann Schüsse

Der Hamas-kontrollierten Gesundheitsbehörde im Gazastreifen zufolge sollen mehr als hundert Menschen getötet und mehrere Hunderte verletzt worden sein.  Israel habe Menschen angegriffen, die auf Hilfsgüter warteten. Die israelische Armee teilte hingegen mit, zahlreiche Bewohner hätten sich um einfahrende Lastwagen mit Hilfsgütern gedrängt, um diese zu plündern. Dutzende wurden demnach dabei etwa durch Rempeleien und Getrampel getötet und verletzt. Den Angaben zufolge wurden zudem auch Menschen von den Lastwagen überfahren. Auch diese Angaben ließen sich zunächst nicht unabhängig verifizieren.

Mehrere Medien meldeten unter Berufung auf die israelische Armee zudem, dass bewaffnete Palästinenser auf einige der Lastwagen geschossen hätten. Das Militär habe zunächst Warnschüsse in die Luft abgegeben und auf die Beine derjenigen gefeuert, die sich den Soldaten trotzdem genähert hätten.

Die Times of Israel berichtete, rund 30 Lastwagen seien am frühen Morgen an der Küste in der Stadt Gaza angekommen. Tausende Palästinenser rannten demnach auf die Transporter zu. Die Armee veröffentlichte ein Video, das den Ansturm zeigen soll.

Die ägyptische Regierung wiederum warf Israel vor, das Feuer auf die wartende Menge eröffnet zu haben. Auch Saudi-Arabien und Jordanien kritisierten Israel für den Vorfall.

Auslöser des Gaza-Krieges war das schlimmste Massaker in der Geschichte Israels, das Terroristen der islamistischen Hamas und anderer extremistischer Gruppen am 7. Oktober in Israel nahe der Grenze zu Gaza verübt hatten. Auf israelischer Seite sind mehr als 1.200 Menschen getötet worden, darunter mindestens 850 Zivilisten, rund 250 Menschen wurden in den Gazastreifen verschleppt

Seitdem führt die israelische Armee massive Angriffe im Gazastreifen aus, erklärtes Ziel ist die Vernichtung der Hamas.

Die UNO hat keine Gewissheit, verurteilt aber den Vorfall

"Was uns betrifft, wissen wir nicht genau, was passiert ist und ob Menschen durch israelische Schüsse getroffen wurden und starben, ob sie von einer Menschenmenge niedergedrückt wurden oder ob sie von Lastwagen überfahren wurden", so UN-Sprecher Dujarric weiter. UN-Generalsekretär António Guterres verurteilte den Vorfall. "Die verzweifelten Zivilisten in Gaza brauchen dringend Hilfe, auch die im belagerten Norden, wo die Vereinten Nationen seit mehr als einer Woche keine Hilfe leisten konnten", hieß es. Außerdem zeigte sich der UN-Chef "entsetzt" darüber, dass im Gaza-Krieg laut der Gesundheitsbehörde bereits 30. 000 Menschen getötet und weitere 70.000 verletzt worden seien. Der UNO-Sprecher bekräftigte erneut, dass die Vereinten Nationen davon ausgehen, dass die Zahlen richtig sind.

Die Opferbilanz seit Beginn des Konflikts ist verheerend

Seit Beginn der israelischen Militäroffensive im Oktober seien bis Donnerstag früh 30.035 Menschen getötet und 70.457 verwundet worden, teilte die Hamas-Gesundheitsbehörde mit. UNO-Menschenrechtskommissar Volker Türk zitierte die Opferzahlen vor dem UNO-Menschenrechtsrat in Genf und sagte, Zehntausende würden zudem vermisst und seien vermutlich unter den Trümmern ihrer Häuser begraben. "Das ist ein Gemetzel."

Die Hamas-Zahlen lassen sich nicht unabhängig überprüfen. Die Vereinten Nationen und andere Beobachter weisen aber darauf hin, dass sich die Zahlen der Behörde in der Vergangenheit als insgesamt glaubwürdig herausgestellt hätten. Die Angaben der Hamas-Gesundheitsbehörde unterscheiden nicht zwischen Zivilisten und bewaffneten Mitgliedern von Terrororganisationen. Israels Armee teilte auf Anfrage mit, rund "10.000 Terroristen" getötet zu haben.

Türk verurteilte erneut den Auslöser der israelischen Militäroffensive: die Massaker, die am 7. Oktober von palästinensischen Extremisten in Israel verübt wurden und das Verschleppen von Zivilisten als Geiseln in den Gazastreifen. Er verurteilte ebenfalls "die Brutalität der israelischen Reaktion". "Der Krieg in Gaza muss beendet werden", forderte Türk. 

Kriegsverbrechen stehen im Raum

Israel habe im Gazastreifen Tausende Tonnen Munition in dicht besiedelten Wohnvierteln eingesetzt. Darunter seien Waffen, die großräumig Schaden anrichteten, sagte Menschenrechtskommissar Türk. Solche Waffen produzieren eine massive Druckwelle, die menschliche Organe zerreißen und tiefe Verbrennungen verursachen können. "In den vergangenen fünf Kriegsmonaten hat das Büro zahlreiche Vorfälle registriert, die auf Kriegsverbrechen der israelischen Streitkräfte hindeuten, sowie Hinweise darauf, dass die israelischen Streitkräfte wahllos oder unverhältnismäßig gezielt haben und damit gegen das humanitäre Völkerrecht verstoßen", so Türk. Das Blockieren von Hilfslieferungen und damit der Einsatz von Hunger als Kriegsmethode könnten, wenn sie bewusst durchgeführt werden, womöglich Kriegsverbrechen sein.

Die israelische Botschafterin verteidigte das Vorgehen Israels. Ihr Land sei im Krieg gegen eine Terrororganisation. Das Schlachtfeld in Gaza habe die Hamas kreiert. Weil die Kämpfer sich hinter Zivilisten versteckten, habe Israel keine andere Wahl, als dort anzugreifen. Israel setze alles daran, das humanitäre Völkerrecht einzuhalten, etwa durch Warnungen vor Luftschlägen an die Bevölkerung.

Der palästinensische Botschafter sagte, Kinder und Frauen, die verzweifelt anstünden, um etwas zu Essen zu bekommen, würden bombardiert. Er warf Israel Genozid vor. Er verurteilte die Anschläge vom 7. Oktober. Die Zeitrechnung habe aber nicht am 7. Oktober begonnen. Israel unterdrücke die Palästinenser seit Jahrzehnten.

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