Fünf gute Gründe, zur Wahl zu gehen
1 Zur Wahl zu gehen ist ein Zeichen, dass einem die Demokratie wichtig ist.
Vor hundert Jahren brach der Erste Weltkrieg aus. Vor hundert Jahren gab es noch kein allgemeines Wahlrecht in Österreich, erst der Untergang der Monarchie mit Kriegsende 1918 machte den Weg zur Einführung des allgemeinen, gleichen und geheimen Wahlrechts frei. Wenn man die zwölf Jahre Diktatur zwischen 1933 und 1945 abzieht, gibt es in der langen Geschichte Österreichs nur 86 Jahre mit demokratischen Wahlen. Viele Nachbarländer haben erst vor 25 Jahren ihre diktatorischen Regime abgeschüttelt, manche haben bis heute keine gefestigte Demokratie. Wählen zu gehen heißt, ein Zeichen zu geben, dass einem die Demokratie wichtig ist.
2 Wählen stärkt die einzige, direkt-demokratisch legitimierte EU-Institution. Nichtwählen schwächt das Parlament.
Eine häufige Klage über die Europäische Union lautet: Sie ist weit weg, sie ein undurchsichtiger, undemokratischer Moloch. Gerade deswegen sollte man jedoch zur EU-Parlamentswahl gehen: Sie ist die einzige Möglichkeit, in der EU mitzureden. Bei Wahlabstinenz begibt man sich nicht nur selbst eines Mitbestimmungsrechts, sondern schwächt genau jene EU-Institution, die als Einzige von den EU-Bürgern gewählt wird: das EU-Parlament.
3 Ein starkes EU-Parlament stärkt die Anliegen der Bevölkerung gegenüber EU-Kommission und EU-Rat.
Je höher die Wahlbeteiligung, desto stärker ist das EU-Parlament im Kräfteverhältnis gegenüber den Regierungen und der EU-Kommission. Das EU-Parlament ist weniger von Lobbys beeinflusst als die Kommission, es vertritt, weil von Bürgern gewählt, allgemeine Bürgeranliegen. Das hat das EU-Parlament in den letzten Jahren mehrfach unter Beweis gestellt: Das EU-Parlament zwang die Kommission, jene Verordnung zurückzuziehen, die die Saatgutvielfalt gefährdet hätte. Das EU-Parlament wehrte Überwachungsansinnen ab, die die Privatsphäre verletzt hätten. Und es verhinderte, dass zahlungskräftige Kunden im Internet gegenüber "Normalsterblichen" bevorzugt werden können (es sicherte die "Netzneutralität").
4 In Europa können die Wähler die großen Linien bestimmen.
Viele Wähler glauben, sie könnten in der EU nichts mitentscheiden. Das ist nicht richtig. Man kann die großen Linien mitbestimmen, also den Wegweiser Richtung Konservativismus, Sozialpolitik, Liberalismus oder Grünpolitik stellen. Im EU-Parlament herrscht, anders als in den nationalen Parlamenten, nicht die traditionelle Front "Regierung gegen Opposition". Es gibt keine Regierung, daher sind die Abgeordneten freier in ihren Entscheidungen und können ohne Klubzwang entlang ihren Grundhaltungen verhandeln bzw. abstimmen.
5 Wählen stärkt Europa gegenüber dem Rest der Welt.
In der globalisierten Wirtschaft hat ein geeintes Europa mehr Chancen, Produktstandards, Handelsrichtlinien oder insgesamt sein sozial abgefedertes Wirtschaftsmodell durchzusetzen, als wenn dies jedes Land für sich versucht. Wählen zu gehen, stärkt das europäische Modell.
Wer jetzt immer noch nicht überredet ist, am Sonntag zur Wahl zu gehen, für den gibt es einige innenpolitische Motive zur Auswahl: Wer unsere Regierung ursuper findet, sollte SPÖ/ÖVP ankreuzen. Wenn jemand Michael Spindelegger ärgern will, bietet sich eine Vorzugsstimme für Othmar Karas an. Wem Straches EU-Rap gefällt, sollte Leopold Figl auf den Stimmzettel schreiben. Wer unbedingt originell auffallen will, wählt Angelika Mlinar mit Vorzugsstimme. Wem das alles immer noch zu kompliziert ist, kann bei Grün Zuflucht nehmen. Das sind die, die für die Tomaten/Paradeiser sind.
Der EU-Wahlkampf in Zitaten:
Die interessantesten Erkenntnisse aus den letzten Wochen? Dass, erstens, ein 25-jähriger Bad Mitterndorfer rhetorisch alle Wahlkämpfer in die Tasche steckt. Freundlich, selbstironisch, exzellentes Englisch: Der Tom Neuwirth hinter der Kunstfigur Conchita ist verblüffend professionell und scheint deutlich weniger exaltiert zu sein als viele seiner Anhänger.
Zweite Erkenntnis: Ginge Frau/Herr Wurst aber wie der einst so beliebte ORF-Star Eugen Freund in die Politik, wäre sie/er wohl in Nullkommanix ein armes Würstchen. Merke: In der Politik ist der Lack schnell ab. Drittens: Wer wie die Neos gegen den Strom schwimmt, sollte bei rauerem Seegang nicht gleich verzagt sein, weil sonst jede Glaubwürdigkeit baden geht. Vierte Erkenntnis (danke, Ö3): Die viel gescholtene Gurkenkrümmungsnorm gab es in Österreich (aus verpackungstechnischen Gründen) lange, bevor sie von der EU „erfunden“ wurde. Sie ist übrigens seit sechs Jahren wieder abgeschafft.
Fremdbestimmt – Gott sei Dank
Fünftens: Fingerspitzengefühl ist nicht die größte Stärke der EU-Bürokratie – theoretisch sogar ein gutes Zeichen. Es geht beinhart um die Sache, selbst wenn es die EU-Wahl beeinflussen könnte: So fand vergangenen Freitag die fünfte Verhandlungsrunde zum umstrittenen Freihandelsabkommen mit den USA statt. Damit hängt der strenge Geruch des Chlorhuhns über dem EU-Wahlkampf, was EU-feindlichen Parteien nützt. In Österreich geschah sogar noch Schlimmeres: Da zwang uns die EU gerade zur Budget-Nachbesserung. Die Opposition tobte zwar gegen den Finanzminister wegen dessen Brüssel-Brief, hätte aber auch gegen die „Fremdbestimmtheit“ durch Brüssel wüten können. Aber: Ohne das Damoklesschwert eines EU-Defizitverfahrens würde die heimische Politik wohl keine großen Schritte wagen. Die Kommission kann bei drohenden finanziellen Schwierigkeiten eines Euro-Landes in dessen öffentlichen Haushalt eingreifen. Sie fand den österreichischen Sparkurs ganz offensichtlich nicht überzeugend genug. Natürlich rächen sich jetzt die Versäumnisse der Vergangenheit. Hätte man nämlich eine Schuldenbremse (wie auch die seinerzeit so aggressiv bekämpfte „Pensionsautomatik“) eingeführt, hätte Österreich mehr Souveränität behalten.
Sechstens: Für rechtspopulistische Parteien ist die Wahl trotzdem keine „gmahte Wiesn“, weil die Verdrossenen eher dem Urnengang fernbleiben. Folgerichtig fleht ausgerechnet die FPÖ, doch zur Wahl zu gehen.
Siebtens: Die Koalitionsparteien haben ja eigentlich gar keine Kandidaten ins Rennen geschickt: Othmar Karas hat die ÖVP irgendwie abgeschüttelt, Eugen Freund hat sich den roten Schuh nie angezogen. In Wahrheit ist das auch eine Richtungsentscheidung zwischen den beiden Top-Kandidaten für den Kommissionspräsidenten, Martin Schulz (Sozialdemokraten) und Jean-Claude Juncker (Konservative). Oder auch nicht, wenn dann doch ein anderer Präsident aus dem Hut gezaubert wird.
Die meisten Franzosen fühlen sich am Vorabend der EU-Wahl im Dickicht von 31 Parteilisten und einer verworrenen Europa-Debatte buchstäblich verloren. Deshalb sind alle Wahlprognosen mit Vorsicht zu genießen. Zwar hat auch eine jüngste Umfrage wieder der "Front national" von Marine Le Pen den Platz eins mit 23 Prozent vorhergesagt, gefolgt von der konservativen UMP (21 Prozent), den Sozialisten (16 Prozent), einer Zentrumspartei (11 Prozent) und den Grünen (9 Prozent). Die Wahlbeteiligung könnte sich auf 40 Prozent beschränken.
Aber so wie in den Niederlanden ist auch in Frankreich eine Überraschung, und zwar jeder Art, möglich: nämlich ein Absacken der „Front National“ (FN) auf Platz zwei, hinter die UMP. Genauso wie ein Anstieg der FN Richtung 30 Prozent denkbar bleibt.
Fest steht, dass die Versuche einer Einbindung der französischen Öffentlichkeit in eine transnationale Kampagne, wie sie die Sozialisten unter Einbeziehung des SPD-Politikers Martin Schulz versuchten, kaum gegriffen haben. Die tonangebenden TV-Sender gingen mit ihrer Berichterstattung über den Wahlkampf auf EU-Ebene extrem sparsam um.
Was übrig bleibt, sind die immerzu wieder kehrenden ökonomischen Hiobsbotschaften, die die meisten Franzosen in dem Gefühl bestärken in der EU auf der Verliererstraße zu stehen: Nullwachstum der Wirtschaft zu Jahresauftakt, Exportdefizit (minus 61 Milliarden Euro im Vorjahr), Betriebs-Absiedelungen am laufenden Band und scheinbar unaufhaltsamer Industrie-Abbau, keine Aufhellung am Arbeitsmarkt (die Arbeitslosenrate liegt bei über 10 Prozent).
Daher tickt Frankreich auch anders als exportstarke Nationen, wie etwa Österreich oder Deutschland: in fast allen Lagern, ob SP-Regierung oder konservative Opposition, wird eine Portion Wirtschaftsprotektionismus gefordert, der (zu) starke Euro als Exporthindernis gebrandmarkt, die Konkurrenz von Billig-Handwerkern aus Osteuropa beklagt und mit den sparpolitischen Auflagen Brüssels gehadert. Für was soll also diese EU gut sein, die von allen zumindest als Mit-Ursache für Frankreichs Verhängnis kritisiert wird, fragen sich die Franzosen. Für nichts, antwortet Marine Le Pen.
Gleichzeitig für und dagegen
Ganz so klar erscheint die Sache aber auch nicht: ein und die selbe Umfrage zeigt, dass eine Mehrheit mit dem Euro unzufrieden ist (54 Prozent), aber eine noch breitere Mehrheit (73 Prozent) den Euro behalten will. Nur 22 Prozent finden die EU-Mitgliedschaft „für Frankreich schlecht“. Deshalb hält Le Pen ihren ausgefeilten EU-Austrittsplan, den sie kürzlich in einem KURIER-Interview offenbarte, im französischen Wahlkampf unter Verschluss.
Ansonsten aber hat die FN-Chefin einen offenen Boulevard vor sich, zumal die regierende SP seit ihrer Niederlage bei den Kommunalwahlen im März entkräftet und seit dem Amtsantritt des neuen Premiers Manuel Valls verdattert wirkt. Valls hat eine steuerpolitische Wende zugunsten der Unternehmer und eine Verschärfung der Sparpolitik angekündigt, die der Überzeugung etlicher SP-Politiker und ihrer Anhänger krass zuwider läuft. Zum Ausgleich hat Valls in aller Eile einen Steuerabbau für Niedrigverdiener beschlossen, diese Ankündigung ist aber verpufft.
Im Endeffekt dürfte das Ausmaß der Wahlenthaltung über das Abschneiden von Le Pen entscheiden: in abgeschlagenen Industrierevieren, verarmten Provinzstädten und verängstigten Speckgürteln, wo die FN üblicherweise ihre meisten Stimmen bekommt, könnte dieser Urnengang der Wahlmüdigkeit zum Opfer fallen.
In den Niederlanden sieht die ansonsten erfolgsgewohnte anti-europäische Partei für die Freiheit (PVV) des Rechtspopulisten Geert Wilders in der Wahlmüdigkeit der Bürger die Ursache für den Absturz. Nur etwas mehr als jeder dritte Niederländer gab am Donnerstag seine Stimme ab. Die PVV landete laut TV-Prognose bei 12,2 Prozent, was den vierten Platz ausmacht.
Die Nachwahlbefragung in den Niederlanden zeigt: Es gibt keinen automatischen Trend zu den radikalen Europa-Gegnern. Gleichzeitig kann aber noch nicht gesagt werden, dass EU-feindliche Parteien in anderen Ländern auch verlieren werden.
Der Trend, den die Niederlande mit dem Absturz Wilders (Meinungsforscher sagten seiner Partei einen Höhenflug voraus) aufzeigen, dürfte sich zumindest in Großbritannien nicht fortsetzen. Die ausländerfeindliche UKIP von Parteichef Nigel Farage hat bei den eben stattgefundenen Kommunalwahlen den Tories und der Labour Party viele Stimmen abgeworben. Bei der EU-Wahl – das Ergebnis wird erst am Sonntag bekannt gegeben – könnte UKIP, die den EU-Austritt Großbritanniens verlangt, 30 Prozent der abgebenen Stimmen erreichen und Erster werden, so eine Prognose von BBC.
Wolfgang Brandstetter will einen Irrtum zurechtrücken; einen, der gerade jetzt, im Finale des EU-Wahlkampfes, gerne von jenen geäußert wird, die mit der Europäischen Union und ihrem Parlament nicht sonderlich viel am Hut haben. "Es heißt ja landläufig, ein Großteil der österreichischen Rechtsvorschriften und Gesetze werde längst von Brüssel oder der Union vorgegeben, und dass Spielraum und Bedeutung der nationalen Parlamente stetig abnehmen. Aus meiner Sicht ist das ein Denkfehler", sagt Brandstetter. Warum?
"Vielfach ist genau das Gegenteil der Fall: Im Justizbereich machen wir immer wieder die Erfahrung, dass österreichische Regelungen von der Europäischen Union übernommen werden. Die EU bietet also die Chance, unsere Gesetze und Ideen zu exportieren."
Als konkrete Beispiele nennt der Ressortchef im Justizministerium die Opferschutz-Richtlinie aus dem Jahr 2012 und das Jugendstrafrecht: "Die in der österreichischen Strafprozess-Ordnung getroffene Definition, was man unter einem Opfer versteht, war offenkundig so hochwertig, dass sie in einer entsprechenden EU-Richtlinie komplett übernommen wurde." Und beim Jugendstrafrecht hätten ihm seine europäischen Amtskollegen signalisiert, dass man sich in der Union manches von Österreich abschauen will.
Die politische Botschaft, die der Justizminister damit verbindet, lautet: "Wir sollten lernen, die EU nicht immer als ein Gebilde zu sehen, das uns von oben nach unten vieles vorgibt und verordnet." Vielmehr müsse Österreich dort, wo man besondere Kompetenz habe, die Union mit eigenem Know-How besser machen. Bei der EU-Wahl favorisiert Brandstetter erwartungsgemäß ÖVP-Kandidat Othmar Karas. "Er steht für den Ansatz, mit Sachkompetenz in Brüssel zu punkten."
Schwedisches Know-how
Eine wichtige Reise steht dem Justizminister in knapp zwei Wochen ins Haus: Nachdem vor wenigen Tagen schwere Missstände in der Justizvollzugsanstalt Stein publik wurden, will Brandstetter Know-how aus Skandinavien importieren.
Der Ressortchef fliegt nach Stockholm, um sich den schwedischen Strafvollzug anzusehen. Sowohl bei der Gefängnisführung wie auch bei der Wiedereingliederung von Straffälligen in die Gesellschaft gilt Schweden europaweit als Vorzeigeland.
Was die einzelnen Parteien zu TTIP, AKW und Datenschutz sagen finden Sie hier.
Dieser Link führt zur Wahlhilfe für die EU-Wahl.
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