
© APA/EPA/ZOLTAN BALOGH
Migranten in Budapest drohen mit Hungerstreik
Tausende Flüchtlinge aus Ostbahnhof verbannt. Ungarn bestellt österreichischen Botschafter ein.
Aus Protest gegen ihre Verbannung aus dem Budapester Ostbahnhof (Keleti) wollen tausende Flüchtlinge nun in den Hungerstreik treten. Mehr als 1.500 von ihnen halten sich aktuell in der sogenannten "Transitzone" außerhalb des Bahnhofsgebäudes auf, sagte die Flüchtlingshelferin Andrea Horvath von Migration Aid am Dienstag.
Migration Aid versorgt die Flüchtlinge am Ostbahnhof täglich mit Essen. Nun fürchtet die freiwillige Helferin, es könnte zu Konflikten zwischen den Flüchtlingen kommen, wenn ein Teil in den Hungerstreik trete, während sich andere weiterhin um Essen anstellen. Wann und ob der Bahnhof wieder für die Schutzsuchenden geöffnet wird, wisse auch sie nicht, sagte Horvath.
Nach rund einer Stunde öffnete das Gebäude zwar wieder seine Tore, die Zugänge sind jedoch von zahlreichen Polizisten mit Helmen und Schildern abgeriegelt, die Flüchtlingen den Zutritt verweigern.
Während es anfangs zu lautstarken Protesten kam - zahlreiche Betroffene hatten bereits Tickets bis nach München gekauft - hatte sich die Situation am frühen Nachmittag beruhigt. Vor den Eingängen campierten allerdings weiterhin Hunderte Migranten. Auch kleine Kinder und stillende Mütter saßen auf dem Boden.
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Ostbahnhof vorübergehend geschlossen
Angesichts der chaotischen Zustände hatte die ungarische Polizei Dienstagfrüh den Budapester Ostbahnhof vorübergehend geschlossen. Der Zugverkehr wurde ab 9.00 Uhr eingestellt. Alle Anwesenden wurden per Lautsprecherdurchsage in mehreren Sprachen aufgefordert, den Bahnhof zu verlassen. Gegen 10.00 Uhr wurde der Bahnhof dann schließlich wieder geöffnet.
Auf den Bahnsteigen sowie am Gelände vor dem Bahnhof herrschten chaotische Zustände. Tausende Flüchtlinge versuchten, die in Richtung Westen fahrenden Züge zu besteigen. Polizisten sperrten den Zugang zu den Bahnsteigen mit einem Kordon ab. Trotzdem harrten am Vormittag nach wie vor Hunderte Flüchtlinge dort aus.
Die am Bahnsteig des wichtigsten Bahnhof der ungarischen Hauptstadt wartenden Züge durften nicht bestiegen werden. Hunderte Polizisten führten die wartenden Flüchtlinge nach draußen. Am Montag hatte die ungarische Polizei überraschend auf die Kontrollen verzichtet, und damit tausenden Flüchtlingen ermöglicht, in Zügen Richtung Österreich und Deutschland zu gelangen.
Der Zustrom weiterer Flüchtlinge zum Ostbahnhof der ungarischen Hauptstadt riss auch am Dienstag nicht ab, wie Kati Bukucs, eine der freiwilligen Flüchtlingshelferinnen, erklärte
Keine Polizei
Am Wiener Westbahnhof kamen bereits Dienstagfrüh drei Züge aus Budapest an. Die ÖBB geleiteten die Flüchtlinge zu provisorischen Betreuungsstationen, die mit freiwilligen Helfern besetzt waren. Polizei war weit und breit keine zu sehen.
Anders als am Vortag waren die Züge nicht völlig überfüllt. Die Züge seien zwar sehr voll gewesen und mit Verspätung eingetroffen, aber nicht überfüllt, weshalb die ÖBB die Garnituren an Grenze auch übernommen hätten, wie ÖBB-Sprecher Michael Braun erklärte. Am Montag hatten sich die ÖBB geweigert dies zu tun, weshalb die Züge stundenlang in Hegyeshalom standen. Am Dienstagvormittag war die Polizei wieder am Budapester Ostbahnhof aufgetaucht und hatte die Platzkarten der Reisenden kontrolliert, um so eine Überbelegung der Züge zu verhindern.

Noch ein Zug aus Budapest in Wien erwartet
Am Dienstagvormittag war noch ein Railjet von Budapest nach Wien unterwegs, der Budapest-Keleti um 9:10 Uhr verlassen hat, kurz bevor die Polizei den Bahnhof sperrte. Es werde erwartet, dass dieser mit Verspätung in Wien ankomme, sagte ÖBB-Sprecher Michael Braun.
In der Gegenrichtung, von Wien nach Budapest, sei man bemüht, die "Verbindung aufrecht zu halten", erklärte Braun. Es könne aber sein, dass die Garnituren bis Györ oder Tatabanya kurzgeführt würden, sollte der Budapester Ostbahnhof weiter gesperrt bleiben.
Reisenden nach Ungarn raten die ÖBB, sich auf ihrer Webseite (www.oebb.at) oder telefonisch im Call Center unter 05 1717 zu informieren.
Kritik an EU-Politik
Unterdessen kamen im Budapester Parlament die Parlamentsausschüsse für Nationale Sicherheit und Landesverteidigung zu einer Sitzung zusammen. Minister Janos Lazar, Stabschef von Premier Viktor Orban, warnte dabei vor der "dauerhaften Völkerwanderung", die Europa erreicht hätte.
Europa und Ungarn müssten sich darauf vorbereiten, dass sich in naher Zukunft Millionen Flüchtlinge auf die Reise begeben. Aus diesem Grunde bedürfe es nachhaltiger Maßnahmen. Lazar machte die "linke Politik" der Europäischen Kommission verantwortlich, die einem jedem Einlass in die EU genehmigt würde. Verteidigungsminister Csaba Hende schloss unterdessen, den Einsatz von Waffengewalt gegen die "unbewaffneten Massen" an Flüchtlinge aus.
Der ungarische Ministerpräsident Viktor Orban hat ein Krisen-Treffen mit den EU-Spitzen angekündigt, um über das Thema Flüchtlinge zu beraten. Er werde am Donnerstag mit EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker, EU-Ratspräsident Donald Tusk und EU-Parlamentspräsidenten Martin Schulz beraten, heißt es auf der Regierungs-Webseite. Die EU-Kommission bestätigt ein Treffen Junckers mit Orban.
Tschechien holte mehr als 200 Migranten aus Zügen
In Tschechien sind unterdessen in der Nacht auf Dienstag und am frühen Morgen mehr als 200 Flüchtlinge aufgegriffen worden, die in Zügen aus Österreich und Ungarn nach Deutschland gelangen wollten. Darunter seien auch 61 Kinder gewesen, sagte eine Polizeisprecherin. Die Menschen seien vorübergehend in Turnhallen der Städte Breclav und Hodonin untergekommen, bevor sie in Erstaufnahmelager gebracht werden.
Die weit überwiegende Zahl der Flüchtlinge stammte aus Syrien. Die Fremdenpolizei hatte in der Nacht am tschechisch-österreichischen Grenzbahnhof Breclav auf die Züge gewartet. Zuvor hatte die ungarische Polizei sich vom größten Budapester Bahnhof zurückgezogen und so die Abreise der Flüchtlinge ermöglicht.
Auch Österreich ließ die Menschen weitgehend ungehindert weiterreisen. "Wir halten uns an die Gesetze, unabhängig davon, wie sich andere Länder verhalten", sagte die tschechische Polizeisprecherin Katerina Rendlova. Die Flüchtlinge seien an der Weiterreise gehindert worden, weil ihnen die erforderlichen Reisepapiere gefehlt hätten.
Die Zahl der Flüchtlinge, die die Route über den Südosten Tschechiens nehmen, nimmt nach Einschätzung der Polizei zu. Der Regionspräsident von Südmähren, der Sozialdemokrat Michal Hasek, sprach gegenüber der Agentur CTK von einem "traurigen Rekord".
Lunacek: Dublin-System "tot"
Angesichts der großen Flüchtlingsströme in Europa fordert die Grüne EU-Abgeordnete Ulrike Lunacek, dass Österreich das Dublin-System für Kriegsflüchtlinge aussetzt und mehr Flüchtlinge aufnimmt. "Dublin ist tot", sagte Lunacek am Rande des Forum Alpbach.
Ausdrücklich lobte sie die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel, die das Dublin-System für Flüchtlinge aus Syrien ausgesetzt hat. "Österreich sollte Selbiges machen", so Lunacek. Dublin besagt, dass Asylwerber in jenem Land aufgenommen werden müssen, über das sie in die EU gelangen.
Erfreut zeigte sich Lunacek über die Solidarität der Österreicher mit den Flüchtlingen, die gestern mit dem Zug zu Tausenden von Ungarn via Österreich nach Deutschland reisten.
In Österreich müssten die Landeshauptleute und Bürgermeister vor dem Herbst und Winter nun endlich mehr Quartiere für Asylwerber schaffen, betonte die Grüne EU-Abgeordnete. Innerhalb der EU hofft sie, dass auch die osteuropäischen Ländern mehr Flüchtlinge aufnehmen.
Ungarn bestellte österreichischen Botschafter ein
Ungarn hat am Dienstag den österreichischen Botschafter in Budapest, Ralph Scheide, ins Außenministerium zitiert. Grund waren Aussagen von Bundeskanzler Werner Faymann (SPÖ) im ORF-"Sommergespräch" am Montagabend. Faymann hatte dort den ungarischen Stacheldrahtzaun an der Grenze zu Serbien ebenso heftig kritisiert, wie den Umgang des Landes mit der Dublin-Verordnung.
Es sei falsch zu glauben, dass man die Problematik so lösen könnte, hatte Faymann in Bezug auf die umstrittene, 175 Kilometer lange Grenzbarriere erklärt: "Da wissen wir, dass Schlepper Möglichkeiten des Ausweichens haben. Daher ist nur eine politische Lösung möglich."
Zudem hatte der Bundeskanzler suggeriert, Ungarn halte sich nicht an die Dublin III-Richtlinie, wonach jener Staat für das Asylverfahren zuständig ist, wo Schutzsuchende erstmals EU-Boden betreten haben. "Dann ist vorgesehen, dass dort das Verfahren abzuwickeln ist, das ist sehr lückenhaft. Einige machen das zu wenig."
Außenminister Szijjarto"enttäuscht"
Ungarns Außenminister Peter Szijjarto zeigte sich am Dienstag "enttäuscht" von den Aussagen Faymanns. Er erwarte sich vom Regierungschef eines Nachbarlandes, erst dann Kommentare abzugeben, wenn dieser die Fakten vollständig verstanden habe und nicht, Unwahrheiten zu verbreiten, zitierte die ungarische Agentur MTI Szijjarto. Zudem könnten Faymanns Aussagen zu "gefährlichen Spannungen" führen.
Den Vorwurf, Ungarn würde Migranten einfach durchreisen lassen, wies der Außenminister zurück. Der Schengen-Grenzkodex lege klar fest, dass es Aufgabe der Mitgliedsstaaten sei, ihre Außengrenzen zu schützen, sagte Szijjarto. Ungarn werde sich daran halten, auch wenn es dafür kritisiert werde, fügte er hinzu.
Bereits am Vormittag hatte das ungarische Außenministerium den französischen Botschafter vorgeladen. Grund war ebenfalls Kritik des französischen Außenministers Laurent Fabius an der ungarischen Flüchtlingspolitik.
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