Parlament will Juncker als Kommissionschef

Ein Mann legt Angela Merkel tröstend die Hand auf den Rücken.
Abgeordnete und Martin Schulz unterstützen den Luxemburger. Nun steht auch Merkel hinter ihm.

Das EU-Parlament stellt sich hinter den Luxemburger Jean-Claude Juncker als Kandidat für den nächsten Kommissionspräsidenten: Die Fraktionschefs des Europaparlaments beschlossen Dienstagmittag eine Erklärung, in der Juncker als Kandidat der größten Fraktion (EVP) ermächtigt wird, als erster die erforderliche Mehrheit zu finden. 645 der derzeit 766 Abgeordneten sprachen sich dafür aus.

Auch Schulz ist für Juncker

Auch Junckers einstiger Konkurrent im Wahlkampf stellt sich hinter ihn: Der sozialdemokratische Europa-Spitzenkandidat Martin Schulz macht sich für den Luxemburger als ersten Anwärter auf das Amt des EU-Kommissionspräsidenten stark. Es werde eine Empfehlung der Fraktionsvorsitzenden und des EP-Präsidenten dafür geben, Juncker das Mandat zu erteilen, sagte Schulz am Dienstag in Brüssel. Nur die Führer der europakritischen Fraktionen ECR und EFD, Martin Callanan und Nigel Farage, trugen die Erklärung der Fraktionschefs nicht mit, hieß es in Parlamentskreisen.

Hinter diesem Beschluss stehe eine Mehrheit von über 500 Abgeordneten. "Ich hoffe, dass die EVP Juncker als Kandidaten nominieren und der Rat das respektieren wird." Sollte Juncker kein Mandat bekommen, wäre der nächste in der Reihe der Kandidaten am Zug, fügte Schulz hinzu. "Und das bin ich."

Machtkampf der Staatschefs?

Am Dienstagabend kommen die 28 EU-Granden zu einem Sondergipfel in Brüssel zusammen, um die weiteren Weichen für die Personalentscheidungen zu stellen - dass es dort eine Einigung auf Juncker geben wird, darf bezweifelt werden. Deutschlands Bundeskanzlerin Angela Merkel hat das gewichtigste Wort bei der Bestellung. Bisher gab sie sich zurückhaltend, doch selbst sie sagte am Abend, dass "Jean-Claude Juncker unser Spitzenkandidat für das Amt des Kommissionspräsidenten ist".

Generell ist die Besetzung des Kommissionschef ein Machtspiel der Staaten - das EU-Parlament wollte durch die Spitzenkandidaten dem bisherigen Kuhhandel ein Ende setzen. Rechtlich verbindlich ist das Konzept der Spitzenkandidaten allerdings nicht.

"Nein" von Briten und Ungarn

Ebenso gegen Juncker sind der britische Premier David Cameron sowie Ungarns Viktor Orbán und Fredrik Reinfeldt aus Schweden - blockieren können sie den Luxemburger aber nicht: Die Tory-EU-Abgeordneten gehören nicht zur EVP, die Fidesz-Mandatare können Junckers Wahl sicher nicht stoppen. Juncker benötigt für die Nominierung eine Zweidrittelmehrheit im Rat. ÖVP-Parteivorsitzender Michael Spindelegger hat sich indessen für Juncker positioniert. "Ich bestehe darauf, dass er Kommissionspräsident wird." Für das Amt gebe es "keinen anderen Namen", so Spindelegger vor dem Treffen in Brüssel. Wenn jetzt an Vereinbarungen von vor der Wahl gerüttelt würde, wäre dies "fatal", sagte Spindelegger.

Zudem kann der langjährige Premier des Großherzogtums und Eurogruppen-Vorsitzende auch mit der Unterstützung sozialdemokratischer Regierungschefs rechnen. Bundeskanzler Werner Faymann hat sich am Montag für ihn ausgesprochen.

Schulz will Sowboda nachfolgen

Martin Schulz, der gegen Juncker verlor, hat nun einen neuen Job in Aussicht: Er will Hannes Swoboda als Fraktionschef der Sozialdemokraten im EU-Parlament nachfolgen. Er werde sich am 18. Juni um das Amt des Fraktionsvorsitzenden bewerben, sagte Schulz am Dienstag in Brüssel. Schulz will dann als EU-Parlamentspräsident zurücktreten und mit den Fraktionen die Verhandlungen über den nächsten EU-Kommissionschef führen, wie er sagte.

Doch SPD-Chef Sigmar Gabriel brachte Schulz am Abend noch als deutschen EU-Kommissar ins Gespräch. Der aktuelle deutsche Vertreter Günther Oettinger (CDU) kündigte hingegen an, selbst EU-Kommissar bleiben zu wollen.

Juncker: Der nimmermüde Konsens-Fabrikant

Im Tauziehen um den nächsten EU-Kommissionspräsidenten spielen Mehrheiten eine wichtige Rolle. Nach dem EU-Vertrag muss der Europäische Rat der Staats- und Regierungschefs dem Europaparlament einen Kandidaten vorschlagen. Die Entscheidung des EU-Gipfels muss rein rechtlich betrachtet mit qualifizierter Mehrheit zustande kommen. Bisher musste der Beschluss einstimmig sein.

In der Geschichte der EU wurde ein Land noch nie in einer so wichtigen Frage wie der Besetzung des EU-Kommissionspräsidenten überstimmt. 2004 verhinderte etwa der damalige britische Premier Tony Blair den Belgier Guy Verhofstadt als Kommissionspräsident, den Posten bekam anschließend der portugiesische Amtsinhaber Jose Manuel Barroso. Insofern sind Planspiele mit Mehrheiten im Rat bisher noch eine theoretische Angelegenheit. Dies könnte sich ändern, wenn anders kein Kompromiss zustande kommt.

Absolute nötig

Die größten Fraktionen im EU-Parlament haben bereits klar gemacht, dass sie nur einen der Spitzenkandidaten aus dem EU-Wahlkampf für das Amt des EU-Kommissionschefs unterstützen. Das EU-Parlament muss nach einem Vorschlag des EU-Gipfels den Kommissionspräsidenten mit absoluter Mehrheit wählen. Das heißt, dass im Parlament am Ende des Verfahrens mindestens 367 Abgeordnete für den Nachfolger von Jose Manuel Barroso an der Spitze der EU-Behörde votieren müssen.

Der britische Premier David Cameron will laut Medienberichten eine Sperrminorität gegen Jean-Claude Juncker, den Kandidaten der stärksten Gruppierung im EU-Parlament, der christdemokratisch-konservativen Europäischen Volkspartei (EVP), unter den EU-Staaten organisieren. Cameron sieht demnach Ungarn, Litauen, Irland, Schweden, Slowenien "und möglicherweise Deutschland" als Verbündete gegen eine Nominierung Junckers. Offen gegen Juncker hat sich bisher nur der ungarische Ministerpräsident Viktor Orban, dessen Fidesz-Partei zur EVP gehört, ausgesprochen.

Mindestens 15 Staaten

Rein rechnerisch sind für eine qualifizierte Mehrheit im Rat mindestens 260 von 352 Stimmen und mindestens 15 EU-Staaten erforderlich. Die EU-Staaten haben bei Abstimmungen je nach ihrer Größe unterschiedlich viele Stimmen - Deutschland, Frankreich, Großbritannien und Italien haben jeweils 29 Stimmen, Ungarn hat zwölf Stimmen, Österreich zehn. Auf Wunsch kann ein Land sogar beantragen, dass bei einer Abstimmung mindestens 62 Prozent der EU-Bevölkerung repräsentiert sein muss. Dieses Prinzip der doppelten Mehrheit stellt einen zusätzlichen Sicherheitsmechanismus dar, der ein Land vor Verletzung wichtiger nationaler Interessen schützen soll, aber bisher nicht zur Anwendung kam.

Das heißt im konkreten Fall, dass Cameron mit der genannten Koalition von kleineren Staaten allein noch keine Sperrminorität gegen Juncker zustande bringen würde. Ihm würden im Rat noch 23 Stimmen zur Verhinderung Junckers fehlen, die er aber hätte, wenn er Deutschland auf seine Seite ziehen könnte. Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel, die Junckers EVP-Parteienfamilie angehört, ist daher in einer wichtigen Rolle als Königsmacherin für den nächsten EU-Kommissionspräsidenten.

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