Habermas zu Juncker-Streit: "Mutwillige Zerstörung"
Nationalstaaten-Denken versus europäische Integration: Dass der Spitzenkandidat der Europäischen Konservativen, Jean-Claude Juncker, nach dem Urnengang am Sonntag nicht automatisch zum Kommissionpräsidenten gekürt wird, sorgt für Unmut in Europa. Und nicht nur viele Wähler sind verärgert, weil sie nicht wissen, was mit ihrer Stimme passiert: Auch Vordenker wie Jürgen Habermas fühlen sich nicht ernst genommen.
"Akt mutwilliger Zerstörung"
„Wenn diese Runde wirklich eine andere Person als einen der beiden Spitzenkandidaten vorschlagen sollte, würde sie das europäische Projekt ins Herz treffen“, sagt der Philosoph und geistige Vater der Frankfurter Schule in einem Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Denn es habe erstmals eine Wahl auf EU-Ebene stattgefunden, die den „Namen einer politischen Wahl halbwegs verdient“ – dass Staatschefs wie Cameron oder Orban sich nun nicht hinter Juncker stellen würden, wertet er als „Akt mutwilliger Zerstörung“.
Habermas nimmt die Staatschefs in die Pflicht – denn offenbar sei „kein einziger Politiker und keine einzige Politikerin aus diesem Kreis der Regierungschefs bereit und in der Lage, sich aus den Routinen des täglichen Machtpokers zu lösen.“ Die Aufstellung der zwei Spitzenkandidaten habe einen „von Merkel offensichtlich befürchteten Demokratisierungsschub ausgelöst“, das „bisher abgehobene institutionelle Europa“ sei so in den Strom der polarisierten Willensbildung seiner Bürger hineingeraten.
Rechter Erfolg als Absage an die Eliten
Was den Wahlerfolg der Europagegner – wie etwa des Front National oder auch der FPÖ – angeht, ist Habermas weniger pessimistisch als manch anderer. Er findet es sogar „gut, dass die Europagegner ein Forum gefunden haben, auf dem sie den politischen Eliten die Notwendigkeit vor Augen führen, die Bevölkerungen selbst endlich in den Einigungsprozess einzubeziehen.“ Der Rechtspopulismus erzwinge die Umstellung „vom bisherigen Elitemodus auf die Beteiligung der Bürger“ – etwas, was dem Parlament nur guttun könne.
Die deutsche Regierung fordert er im Gespräch mit der F.A.Z. zudem auf, die Politik von Adenauer, Helmut Schmidt und Kohl fortzusetzen – dass Deutschland von der Krise pofitiert habe, sei „unsolidarisch“: „Wir müssen aufhören, eine hochgefährliche halbhegemoniale Stellung, in die die Bundesrepublik wieder hineingerutscht ist, in alter deutscher Manier rücksichtslos auszuspielen.“
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