Ergenekon-Prozess: Lebenslang für Ex-Militärchef

Als „Jahrhundert-Prozess“ wurde das Verfahren schon lange bezeichnet, und am Montag wurde die Urteilsverkündung diesem Titel gerecht: Zum ersten Mal in der Geschichte der Türkei hat ein ziviles Gericht einen ehemaligen Generalstabschef des Landes wegen eines Putschversuches gegen die Regierung zu lebenslanger Haft verurteilt. Ex-General Ilker Basbug wurde schuldig gesprochen, als führendes Mitglied des rechtsgerichteten Geheimbundes Ergenekon einen Umsturz gegen Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan geplant zu haben.
Absperrungen
Die Umgebung des eigens für den Prozess errichteten Gerichtssaals auf dem Gelände eines Gefängnisses in Silivri, 40 Kilometer westlich von Istanbul, war am Tag der Urteilsverkündung weiträumig abgesperrt. Mehrere Tausend Polizisten hinderten Demonstranten daran, zum Gerichtsgebäude vorzudringen. Ein Oppositionsabgeordneter sagte zu den strengen Sicherheitsvorkehrungen, er fühle sich an ein „Nazi-Lager“ erinnert.
Es gebe Hinweise auf einen geplanten Anschlag der linksextremistischen Gruppe DHKP-C, berichtete die Nachrichtenagentur Anadolu. Mitglieder der Gruppe waren erst vor ein paar Tagen festgenommen worden, als sie versuchten, mit einem Boot Sprengstoff über die Ägäis von Griechenland in die Türkei zu schmuggeln.
Im Saal selbst verlas der Vorsitzende Richter Hasan Hüseyin Özeser mehr als zwei Stunden lang die Urteile gegen die insgesamt 275 Angeklagten. Es hagelte lebenslängliche Haftstrafen – in insgesamt 20 Fällen – sowie lange Freiheitsstrafen von bis zu 50 Jahren. Özeser sprach 21 Angeklagte frei und entließ 17 Beschuldigte aus der Haft, weil ihre Strafen durch die Untersuchungshaft als verbüßt gelten.
Viele Demonstranten in der Nähe des Gerichtssaals sprachen von einem internationalen Komplott, das gegen das Erbe Atatürks und gegen die Souveränität der Türkei gerichtet sei, mit Erdogan als Handlanger. „Der Befehl für den Prozess kam aus den USA und aus Israel“, sagte ein Demonstrant. Ein anderer meinte, Erdogan habe sich gefügige Richter gesucht, „damit er Patrioten vor Gericht stellen kann“.
Fest steht, dass das Urteil im Ergenekon-Prozess ein Meilenstein im Machtkampf zwischen dem islamisch-konservativen Erdogan-Lager und den säkularistischen Kräften wie der Armee ist. Diese Polarisierung dürfte in den kommenden Monaten weiter zunehmen. „Einen heißen Herbst“ werde die Türkei erleben, rief einer der Angeklagten. Er könnte recht haben.
Die türkische Generalstaatsanwaltschaft stuft die ultranationalistische Untergrundgruppe "Ergenekon" als terroristische Vereinigung ein. Zu den Mitgliedern des als Staat im Staate bezeichneten Geheimbundes sollen frühere Offiziere, Anwälte und Journalisten gehören. Sie streben den Anschuldigungen zufolge eine Wiedererrichtung des Großtürkischen Reiches an.
Der Name "Ergenekon" geht auf ein sagenhaftes Tal zurück, in dem die Turkvölker der Legende nach einst Zuflucht fanden. Seit Jahrzehnten wird der nationale Mythos politisch instrumentalisiert.
Der Gruppe wird vorgeworfen, einen Putsch gegen die islamisch-konservative Regierung von Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan geplant und Anschläge verübt zu haben. Der Geheimbund soll zwölf Spezialeinheiten für die Ausführung von Attentaten zusammengestellt haben. "Ergenekon" steht im Verdacht, sich auch über mafiöse Geschäfte und den Drogenhandel zu finanzieren.
Die Justiz geht seit 2007 gegen "Ergenekon" vor. Insgesamt wurden mehr als 400 Menschen festgenommen. In einem seit fünf Jahren laufenden Prozess sind 275 Verdächtige angeklagt, darunter ranghohe Militärs wie der frühere Generalstabschef Ilker Basbug. 64 der Beschuldigten droht wegen der Vorbereitung eines bewaffneten Umsturzversuchs lebenslange Haft. Die oppositionelle Republikanische Volkspartei (CHP) wirft der Regierung vor, den "Ergenekon"-Fall für eine Abrechnung mit ihren Gegnern zu missbrauchen.
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