Eiserne Lady mit Konsensqualitäten

Konservative Kontrahentinnen: Theresa May (59, li.) will in Downing Street 10 einziehen und hat gute Chancen ...
Ab September wird es wieder eine Premierministerin geben – es könnte Theresa May sein.

"Eine verdammt schwierige Frau", so beschrieb Ex-Schatzkanzler Ken Clarke Innenministerin Theresa May neulich im Gespräch mit seinem alten Ministerkollegen Malcolm Rifkind in einem TV-Studio von Sky News. "Und Sie und ich haben für Thatcher gearbeitet", fügte er mit vielsagendem Augenzwinkern hinzu. Clarke glaubte, die Kamera wären ausgeschaltet. Aber der Sender strahlte den Mitschnitt trotzdem aus.

Prompt verbreitete sich die Phrase quer durch die Foren der sozialen Medien. Ein kleiner sexistischer Seitenhieb kehrte sich zum stolzen feministischen Schlachtruf um. Unbeabsichtigt hatte Clarke so der Kandidatur jener Frau, die sich im Rennen um den konservativen Spitzenposten als die unspektakuläre Option der Vernunft präsentiert hatte, eine spannende neue Qualität verliehen.

Bisher hatte vor allem ihre Rivalin in der Stichwahl, die wirtschaftsliberale Brexit-Befürworterin Andrea Leadsom, Assoziationen mit dem historischen Vorbild Britanniens bisher einziger Premierministerin geweckt. Nun rief das Titelblatt des Express die "Schlacht der eisernen Ladys" aus. "Wer wird die neue Maggie?", fragte die Daily Mail.

Mit wahrem Feminismus hatte diese Begeisterung freilich weniger zu tun als mit der tief in der britischen Seele verankerten Sehnsucht nach der sprichwörtlichen "matron", der Figur der strengen Oberschwester, die nach dem Gemetzel des Referendums als mütterliche Zuchtmeisterin die Krankenstation regiert. Ihrem überzeugenden Vorsprung in den ersten zwei Runden des Obfrauenwahlkampfs unter konservativen Abgeordneten nach zu schließen, ist es die erfahrenere May, die diesem Ideal überzeugender entspricht. Als letzte Hürde benötigt sie noch die Bestätigung der Parteibasis, um im September zur Premierministerin gekürt zu werden.

Gockelkampf

Das letzte Stück Weg dorthin ebnete ihr letztlich erst der Gockelkampf zwischen Boris Johnson und Michael Gove. Der unaufhaltsame Aufstieg der 59-jährigen begann aber schon lang zuvor.

2002, ein Jahr nach der zweiten Tory-Niederlage gegen Tony Blairs New Labour, schien der Ruf der Konservativen als Regierungskraft ruiniert. Ihrer eigenen Partei warf May damals die harte Wahrheit an den Kopf: "Machen wir uns nichts vor, wir haben noch einen Weg zu gehen, bevor wir an die Regierung zurückkehren können. Unsere Basis ist zu schmal, und manchmal ist das auch unser Mitgefühl. Ihr wisst, wie uns manche Leute nennen: die bösartige Partei – the nasty party."

Bis heute nehmen ihr das viele Tories übel. Doch ihr kühner Vorstoß schuf den Ansatz zu einer Generalüberholung einer verzopften, überalterten Partei, die acht Jahre später David Camerons Wahlsieg in der Rolle des modernen Kuschelkonservativen ermöglichte.

Allerdings gehört May selbst – und das teilt sie mit der kleinbürgerlichen Thatcher – keinesfalls zum Klüngel privater Eliteschulabgänger, mit denen sich der aristokratische Cameron so gern umgab. Als Tochter einer anglikanischen Pfarrersfamilie studierte sie Geografie in Oxford und arbeitete in der Bank of England, von wo sie ab den Achtzigern erst in die regionale, dann in die nationale Politik wechselte.

Im Referendumswahlkampf stellte sich Theresa May ohne viel öffentlichen Einsatz auf die Pro-EU-Seite. Andererseits hatte sie 2013 in ihrem Konflikt mit dem europäischen Menschenrechtsgerichtshof um die Ausweisung des jordanischen Salafisten Abu Qatada behände die Orgel euroskeptischer Gefühle bedient.

Grundsätzlich waren es in Mays sechsjähriger Amtszeit vor allem einwanderungspolitische Entscheidungen, die die bekennende Christin zu Posen der Härte inspirierten. So fuhren unter ihren Weisungen vor drei Jahren Plakatwagen mit einem fett gedruckten Slogan durch britische Städte: "Illegal im UK? Fahrt nach Hause oder riskiert euren Arrest."

Nun macht May – im Gegensatz übrigens zur Brexit-Kandidatin Leadsom – das Aufenthaltsrecht in Großbritannien ansässiger EU-Bürgerinnen vom Verlauf der Verhandlungen mit der EU abhängig. Ein gefährliches Signal, schließlich ist seit dem Referendum die Zahl fremdenfeindlicher Übergriffe gegen EU-Einwanderer sprunghaft angestiegen. "Es wäre tragisch, wenn gerade jene Frau, die die Phrase ,Nasty Party‘ erfand, sie den Konservativen nun noch einmal um den Hals hängen würde", schreibt der euroskeptische Chefredakteur Fraser Nelson dazu im konservativen Wochenblatt The Spectator.

Theresa May und Andrea Leadsom machen Schlagzeilen. Doch sie sind nicht die einzigen Frauen mit Aufwind in der britischen Politik. Eine neue Ära der Weiblichkeit scheint angebrochen nach dem Brexit-Schock. Auch die schottische Erste Ministerin Nicola Sturgeon hat das Ruder nach einem – für ihre Partei – gescheiterten Referendum übernommen und Kurs gehalten. Kezia Dugdale leitet die Schottische Labour Partei, Ruth Davidson die Konservativen. In Nordirland sitzt mit Arlene Foster eine Frau an der Spitze. Und Angela Eagle hat in der britischen Labour Partei Jeremy Corbyn den Kampf angesagt.

Melanie Sully, Leiterin des Go-Governance Institutes in Wien, erörtert, warum die Frauen in Großbritannien gerade im Vormarsch sind: Sie gehören nicht zu der Eaton Elite wie Cameron, Johnson, Gove. „Sie sind nicht in dieser Westminster-Blase, sondern kommen von außen, mit mehr Sinn für die Realität.“ Theresa May habe mehrmals betont, dass sie Verständnis dafür habe, dass die Menschen die Elite satt hätten. Sie stehe für eine „andere Art von Politik“. Zudem, so Sully, hätten diese erfolgreichen Frauen „keine Zeit für Small Talk“. „Damit verblüffen sie die Männer: Sie konzentrieren sich auf ihre Aufgabe und setzen um.“ Sie zeigen sich als „Macher-Typen mit Handschlag-Qualität“.

Obwohl die erwähnten Frauen vor allem durch ihre TV-Auftritte punkten konnten, bleibt eines wohl weiter gleich: Medien konzentrieren sich bei weiblichen Politikern vor allem auf die Frage nach Kindern und Haushalt beziehungsweise um Outfit und Schuhwerk. Aktuellstes Beispiel Theresa May, die bei der Budgetrede des Finanzministers im Bild zu sehen war: Gesprochen wurde danach – über ihr Dekolleté.

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